Der Balanceakt der Notenbanken geht weiter

Trotz allem: Den Falken bei Fed und EZB fallen immer mehr die Federn aus

(Bildquelle: EZB/Fed)

Der neuralgischste Punkt bleibt die Geldpolitik. Dabei stehen allmähliche Inflationsrückgänge der harten Rhetorik der Notenbanker gegenüber. Insgeheim bereiten sie jedoch den Einstieg in den Ausstieg aus der Zinserhöhungswende vor. Dafür sprechen auch die anhaltenden Konjunkturrisiken, die den Aktien fundamentale Kraft nehmen. Immerhin zeichnet sich eine Stabilisierung ab. Für zunächst zunehmende Kursschwankungen sprechen ebenso die anhaltenden geopolitischen Krisen, z.B. im Chip-Streit.

Weltkonjunktur: Noch ohne Schwung

Aktuelle Zurückhaltungen bei der Kreditvergabe wirken toxisch auf das Wachstum der verschuldungsverliebten US-Volkswirtschaft. Hinzu kommen schwache industrielle und Verbrauchererwartungen.

Aber Washington ergreift umfangreiche Gegenmaßnahmen. Und trotz Abkühlung im zweiten Halbjahr bleibt die harte Konjunkturlandung aus. Dabei hilft auch das absehbare Ende des US-Zinserhöhungszyklus. Tatsächlich haben sich die Aufträge für Investitionsgüter zuletzt immerhin stabilisiert.

Noch leidet die Eurozone und hier insbesondere Deutschland unter der aktuell schwachen Weltkonjunktur.

In China ist aber die Erholung nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Gezielte fiskal- und geldpolitische Impulse werden ihre Wirkung nach Abebben der aktuellen Corona-Welle entfalten, was allerdings dauern wird.

Eine ab Herbst zu erwartende Nachfragestabilisierung wird die exportsensitive deutsche Wirtschaft wiederbeleben. Eine Erholung mit Schmackes wird es jedoch nicht geben. Die mittlerweile zahlreichen zinspolitischen Einbremsungen und eine Bundesregierung, die Wirtschafts- und Standortpolitik ideologisch-staatswirtschaftlich, statt rational-marktwirtschaftlich betrachtet, fordern ihren Tribut. Dass im vergangenen Jahr 132 Mrd. US-Dollar mehr Direktinvestitionen abflossen, als in Deutschland investiert wurden, sollte Berlin signalisieren, dass Deutschland der kranke Mann Europas ist.

Rohstoffe: Zunächst nur verhaltenes Erholungspotenzial

Die Produktionssenkungen der Opec wirken als Rücklaufsperre beim Ölpreis. 80 US-Dollar je Barrel scheint für Saudi-Arabien die rote Linie zu sein. Daneben wird die für 2024 absehbare weltwirtschaftliche Erholung den Ölpreis grundsätzlich stützen. Vor diesem Hintergrund ist ebenso eine Preisstabilisierung bei Industriemetallen zu erwarten. Aufgrund des globalen Trends zum Klimaschutz nimmt insbesondere die Nachfrage nach Kupfer zu, das durch Angebotsausfälle des weltgrößten Kupferproduzenten Chile weiteren Auftrieb erhält.

Trotz aktueller Konsolidierung hat der Goldpreis Perspektive. Einen klaren Einbruch gäbe es nur, wenn vom Zinsertrag real – also nach Inflation – etwas übrigbliebe. Dies ist mit Blick auf die existierenden Konjunktur- und Strukturprobleme nicht zu erwarten. Die Notenbanken werden auch zukünftig den Karren der Fiskalpolitik ziehen müssen. Damit bleibt die Zinskonkurrenz für Gold schwach. Und als sicherer Hafen profitiert das Edelmetall sowieso von der internationalen Krisenlage. Ebenso bleibt die Goldnachfrage der Notenbanken u.a. aus China robust, die ihre Abhängigkeit von US-Staatspapieren schon aus geostrategischen Gründen weiter mindern.

Inflation und Geldpolitik: Das Ende der Zinswende

Der Rückgang der Kerninflation in den USA und Europa ist zäh, aber er setzt sich fort. Offizielle Inflationsziele kommen dennoch erst Ende 2024 in Sichtweite. Denn wegen Zweitrundeneffekten u.a. durch hohe Tarifabschlüsse bleibt die Inflationsentspannung ein Marathon.

Insgesamt betreibt die US-Notenbank einen schwierigen Balanceakt zwischen Inflationsbekämpfung und sanfter Konjunkturlandung. Angesichts der immer noch hohen Kerninflation kann die Fed ihre harte Rhetorik noch nicht ablegen, weiß aber, dass die Zeit für weiter nachgebende Preissteigerungsraten spielt und so laxere Zinspolitik erlaubt. Die Aussage, geldpolitische Entscheidungen jeweils von Sitzung zu Sitzung auf Grundlage vorliegender Daten zu treffen, gibt ihr viel Beinfreiheit dafür. Nach einer letzten Zinserhöhung im Juli – siehe Protokoll der vergangenen Fed-Sitzung – werden sich die Finanzmärkte ab Herbst immer mehr auf Zinssenkungsphantasie in den USA einstellen, die sich dann 2024 materialisiert.

Auch wenn laut EZB eine weitere Zinserhöhung im Juli „sehr wahrscheinlich“ ist, will sie wie die Fed zukünftig von Sitzung zu Sitzung über die weitere Zinspolitik entscheiden. Ihre Alibis für weniger restriktive Zinspolitik sind die sich abflachende Inflationsdynamik und Konjunkturabkühlung.

Ohnehin lassen ihr die Strukturdefizite in der Eurozone nur eingeschränkten Spielraum für klassisch-stabilitätspolitisches Handeln. Auf der Packung der EZB steht zwar noch Stabilität drauf, es steckt aber Realpolitik drin. Hinter vorgehaltener Hand ist die Politik sowieso an Inflationstoleranz interessiert. Ansonsten müsste die völlig überschuldete (Euro-)Welt auf einen finanzpolitisch erwünschten Entschuldungseffekt verzichten, der sich eben nur dann einstellt, wenn die Inflation oberhalb der Zinsen liegt. All das spricht für ein Zinserhöhungsende der EZB im Sommer. Übrigens, wo es keine hohen Kreditzinsen gibt, kann es auch keine attraktiven Anlagezinsen geben.

Da sich in den USA die Zinssenkungsphantasie ab Herbst einstellt, der Euroland aber ab 2024 folgt, ist von einer schwankungsanfälligen Seitwärtsbewegung des Euro zum US-Dollar auszugehen.

Aktienmärkte: Branchen- und Einzelwertselektion im Vordergrund

Auch wenn die negativen Realrenditen bei Zinspapieren ihre Tiefstände hinter sich gelassen haben, werden sie wegen der absehbaren Zinssenkungsphantasien zu keiner echten Bedrohung für Aktien.

Fundamental werden die Moll-Töne gedämpft, da die Unternehmensergebnisse gemäß Prognosen ihren Tiefpunkt durchschritten haben und sich langsam in den Wachstumsbereich vorarbeiten.

Zwischenzeitliche Konsolidierungen bei europäischen Konjunkturwerten wären angesichts enttäuschender Daten zwar nicht ungewöhnlich. Doch trifft jegliche Aufhellung auf zyklische Sektoren, die die Rezession einpreisen und sich teilweise auf mehrjährigen Tiefs in puncto Substanzbewertung befinden, also Value-Charakter haben. Das gilt vor allem für Unternehmen aus den Sektoren Industrie, Banken und Automobile.

Grundsätzlich können deutsche Konjunkturwerte über die Niederungen der deutschen Wirtschaftspolitik hinwegblicken. Schließlich erwirtschaften DAX-Unternehmen im Durchschnitt etwa 80 Prozent ihrer Umsätze im Ausland, sind dort immer stärker ansässig und sind ebenso weltweit energiediversifiziert. Aufwärtspotenzial erfahren deutsche Aktien vor allem durch die allmähliche Konjunkturbelebung Chinas und die Zinssenkungsphantasie der Fed, was den Exportländern zugutekommt. Deutliche Bewertungsabschläge gegenüber US-Aktien gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis verleihen deutschen Aktien ohnehin Nachholpotenzial.

Vor allem jedoch sollten Konjunkturtitel aus der zweiten Reihe nicht zu kurz kommen. Tatsächlich schneiden sie in den frühen Phasen einer zu erwartenden Konjunkturbesserung immer gut ab. Werden in schwierigen Zeiten die stabiler und diversifizierter aufgestellten großen Titel favorisiert, verfügen die kleinen in Zeiten der Reflation über höhere Wachstumshebel, die sie nicht zuletzt auch bewertungstechnisch attraktiv machen. Tauschen Anleger im Sommer allmählich groß in klein um, hat der MDAX gute Outperformancechancen.

Am US-Aktienmarkt geht die Hausse vor allem auf die bekannten dicken High-Tech-Fische zurück. Zwischenzeitlich gesunde Konsolidierungen, um die bislang erzielte Performance zu sichern, wären nicht ungewöhnlich, da sich die Begeisterung um das Thema Künstliche Intelligenz beruhigt, ein geopolitischer Chip-Streit stattfindet und sich Tech-Aktien wieder deutlich verteuert haben. Auch in Amerika bieten konjunkturzyklische Nebenwerte eine Alternative. Für massive Rückschläge spricht ohnehin wenig. Die gleichgewichtete Variante des S&P 500 – bereinigt also um die starke Übergewichtung der Tech-Champions – schließt allmählich zum klassischen Index auf und zeigt insofern wachsende Marktbreite an.

Konkret stimmen Titel aus den US-Sektoren zyklischer Konsum, Industrie und Grundstoffe in den allmählichen Positivismus mit ein. Das bessere Wirtschaftsjahr 2024 wirft seine Schatten voraus.

Tech-Aktien: Die Geschäftsmodelle sind völlig intakt

Laut einer Studie der Boston Consulting Group gehören vier Tech-Riesen in diesem Jahr zu den weltweit innovativsten Unternehmen. Überhaupt bleiben Datenspeicherung in der Cloud, Online-Werbung und Künstliche Intelligenz nachhaltige Megathemen. Zudem verfügen viele Unternehmen weiterhin über stabile Cash-Flows und kerngesunde Bilanzen, auch aufgrund tiefer „Burggräben“. In ihren Bereichen sind sie de facto Monopolisten, was ihnen entsprechende Preissetzungsmacht verleiht. Apropos KI, von ihrer Entwicklung bis zur immer größeren Anwendung in der Praxis wird es deutlich kürzer dauern als beim Internet.

Nicht zuletzt werden Wachstumswerte durch zunehmende Zinssenkungsphantasien angetrieben. Die Finanzierung von Digitalisierung wird günstiger und künftige Firmengewinne werden mit niedrigeren Zinsen abgezinst, was mehr Bewertungsspielraum erlaubt.

Sentiment und Charttechnik DAX: Kurzfristige Konsolidierungen sind kein Beinbruch

Der von CNN Business veröffentlichte Fear & Greed Index bewegt sich nach wie vor im Bereich extremer Gier, so dass er als Kontraindikator zunächst für Kursberuhigungen spricht.

Insgesamt sind wir aber von überschäumender Euphorie als Menetekel für massive Aktien-Rückschläge weit entfernt. Die nach wie vor große Anlegerskepsis zeigt sich in einer schwachen Investitionsbereitschaft. Auch, dass in der Eurozone das Verhältnis von Put- zu Call-Optionen auf hohem Niveau liegt, dokumentiert, dass die Aktienmärkte nach unten gut abgesichert sind. Der DAX befindet sich in einer stabilen, wenn auch schwankungsanfälligen Seitenlage.

Charttechnisch liegen im DAX Unterstützungen bei 15.857, 15.817 und 15.710 Punkten. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 15.705 und 15.660. Um die Aufwärtsbewegung fortzusetzen, müssen zunächst die Widerstände bei 15.900, 15.920 und 16.000 überschritten werden. Darüber liegen weitere Barrieren bei 16.025, 16.165 und 16.210 Punkten.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725.

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