Corona, Krieg, Inflation und die allgemeine wirtschaftliche Verunsicherung schlagen dem deutschen Michel schwer aufs Gemüt. Bei ihren Lösungsansätzen kümmert sich die Politik leider zu viel um Ideologie und zu wenig um neue Wachstumsperspektiven und wundert sich auch noch, dass Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden.
Früher war alles besser
Wenn man so wie ich auf die 60 zugeht, erinnert man sich an die guten alten Zeiten. Zwar gab es auch früher Krisen. Z.B. hatten wir Anfang der 80er-Jahre die Eurosklerose und zur Jahrtausendwende war Deutschland der kranke Mann Europas. Rückblickend wurden diese Probleme jedoch wirtschaftlich vernünftig gelöst. So beschloss 2003 die damalige rot-grüne Bundesregierung die Agenda 2010, die das Leistungsprinzip stärkte und Deutschland wieder fit machte. So etwas ist aktuell undenkbar.
Heute sind die Probleme vielfältiger und gewaltiger als die damaligen, die im Vergleich fast niedlich anmuten. Sie ziehen nicht vorbei wie Schlechtwetterfronten. Die glorreichen Zeiten, als wir uns am alten deutschen Geschäftsmodell – Energie und Vorprodukte billig importieren, daraus tolle Güter fertigen und dann in die Welt exportieren – laben konnten wie der Bär am Honigtopf, sind vorbei. Das billige Russen-Gas gibt es nicht mehr und die Chinesen haben den Daumen sowieso auf den Rohstoffen. Daneben schließt China industrietechnisch immer stärker zu uns auf.
Und unser guter Freund Amerika, der früher noch mit seiner Weltdominanz die Globalisierung zum Wohle Export-Deutschlands vorantrieb, ist jetzt auf protektionistischem Weg. Zum Unglück kommt auch noch die Inflation dazu. Der schwache Zustand des deutschen Fußballs – die Worte kommen mir nur schwer über die Lippen bzw. aus der Feder – ist leider symptomatisch für die Lage in Deutschland.
Angesichts dieser Multi-Krise spürt der deutsche Michel Unsicherheit und Angst. Seit 2019 – das letzte gute (Wirtschafts-)Jahr – befinden wir uns im permanenten Ausnahmezustand.
Die deutschen Wirtschaftstugenden finden in Berlin kein Gefallen mehr
Politik ist laut Amtseid angehalten, Schaden abzuwenden und den Problemen mit geeigneten Gegenmaßnahmen konsequent entgegenzuwirken. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Und was tun wir? Man will der Mittelschicht noch mehr Steuern aufbürden. Dabei ist unser Mittelstand das wirtschaftliche Rückgrat Deutschlands. Eine Verkrümmung hat es bereits. Zum Bruch sollte man es aber bloß nicht kommen lassen. Ebenso sollte man den Menschen nicht vorgaukeln, dass Staatswirtschaft mit immer mehr Staatsgeld immer mehr Probleme lösen kann. Leistungslose nachfrageseitige Einkommen fördern die Abkehr vom Leistungsprinzip und sorgen für weniger Wirtschaftswachstum.
Wirtschaftsfreundliche Reformen, die die Angebotsbedingungen verbessern, werden abgelehnt. Sie gelten als kapitalistisches Teufelszeug, obwohl sie mittlerweile selbst von Spanien und Frankreich befolgt werden, die sozial unverträgliche Wohlstandsverluste fürchten.
Symbolpolitik reicht nicht aus
Und so erlauben wir uns weiter bürokratische Gängelung, schlechte Netzqualitäten, öffentliche Verwaltungen auf „Steinzeitniveau“, Bildungsmisere und konservieren Strukturschwächen wie eingemachtes Obst. Viele Industriefirmen stimmen über diese mangelnde deutsche Wirtschaftspolitik immer mehr mit Füßen ab.
Dem Risiko z.B. der Energieunsicherheit wollen sie in einer Welt, die nicht weniger, sondern viel mehr Energie braucht, entgehen. Wenn man sich den massiven Nettokapitalabzug anschaut, verliert Made in Germany tatsächlich immer mehr an Reiz. Und wer geht, nimmt auch Arbeitsplätze mit.
Es reicht nicht aus, nur Symbolpolitik zu betreiben und einem US-Chiphersteller zig Milliarden in den Rachen zu werfen, wenn er hier investiert. Wenn sich die Standortbedingungen nicht umfassend auf Weltniveau verbessern, werden die Finanzmittel kurzfristig dankbar abgegriffen und das Unternehmen wird sich mittelfristig wieder aus Deutschland verabschieden.
In Berlin wird offenbar verdrängt, dass unser jahrzehntelanger Wohlstand auf dem Verarbeitenden Gewerbe beruht. Während Briten nach der Finanzkrise 2008 aufgrund ihrer einseitigen Dienstleistungsorientierung Baumrinde „fressen“ mussten, konnte Deutschland auf seine erstklassige Industriebasis zurückgreifen. Und jetzt wollen wir Deindustrialisierung? Es gibt sogar Anhänger von De-Growth, Wirtschaftsschrumpfung unter dem Deckmantel des Klimaschutzes.
Klimaschutz nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch betrachten
Zunächst, wenn wir kein Wachstum wollen, findet es woanders statt, wo es deutlich schlechtere Klimastandards gibt. Ebenso schränkt bereits Nullwachstum Fortschritt, Wohlstand und soziale Sicherung ein. Es fehlen die Mittel, die erst Maßnahmen für verbesserte Lebensqualität, Bildung und Gesundheit ermöglichen. Haben Sie jemals gehört, dass sich Wachstumskritiker für weniger Sozialausgaben ausgesprochen haben? Ihre Argumentation ist schon an dieser Stelle löchrig wie ein Schweizer Käse.
Maßnahmen für saubere Luft und sauberes Wasser, Techniken zur CO2-schonenden oder -freien Industrieproduktion, kurzum Klimaschutz, sorgt auch für Wachstum. Was liegt also näher, als sich um diese „Klimaindustrie“ zu kümmern. Doch scheint uns Amerika hier die Butter vom Brot zu nehmen, das die pekuniäre Bedeutung grüner Transformation längst erkannt hat. Davon profitiert der Klimaschutz, denn erst, wenn man Geld mit einer Sache verdient, kommt sie richtig in Schwung.
Wir dagegen spielen die Klimakarte vor allem ideologisch, als Religion. Dabei sind wie bei der Wachstumskritik viele Pharisäer unterwegs. Sie lassen sich von der breiten Welle des Zeitgeistes gerne tragen, auch finanziell. Sie halten gut dotierte Vorträgen weltweit, wo sie übrigens nicht hinschwimmen. Mit gut genährtem Bauch können sie sich ähnlich scheinfromm über das Elend der Welt grämen wie diejenigen, denen das dicke Geld von Mami und Papi zur Verfügung steht.
Das gelobte Land…
Leider kennt die große Mehrheit der Menschen diese Segnungen einer kleinen Minderheit nicht. Beide Elternteile müssen hart arbeiten und schauen, wie sie mit ihren Kindern über die Runden kommen. Sie wollen keine gutmenschenhaften Visionen, sondern die Realität einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, die ihnen Ruhe bringt, den Wohlstand sichert und den wirtschaftlichen Abstieg mit all seinen sozialen und politischen Problemen verhindert.
In diesem Zusammenhang treibt es einem Tränen in die Augen, wenn man sieht, wie sich unsere großartigen Unternehmen im Bereich alternativer Energiegewinnung oder Umweltschutz immer mehr von Amerika angesprochen fühlen und zukünftigen Wohlstand dort und nicht bei uns schaffen.
Regelrecht satirisch wird es, wenn Berlin glaubt, die Welt schaue bei der Energiewende auf Deutschland, um zu erfahren, wie man es richtig macht. Hoffen wir, dass die Welt beim Blick auf das Gebäudeenergiegesetz Sehstörungen oder die Brille verlegt hat.
Wirtschaftskompetenz, du hast dich lange genug versteckt. Bitte zeige Dich wieder. Wir tun dir auch nichts.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
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