Dramatische Fehleinschätzung der Zins- und Inflationsentwicklung

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Alle Welt rätselt, ob sich die Lage bei Zinsen und Inflation jemals wieder normalisieren wird. Da kommt folgende Erkenntnis vielleicht überraschend: die Normalität ist praktisch schon erreicht

Alles ist relativ, so auch die Interpretation der aktuellen Inflationsraten. Inzwischen haben uns Notenbanken so lange erzählt, dass die Inflation niedrig ist, dass wir es ohne zu hinterfragen glauben. Dabei kommt alles auf die Perspektive an. Betrachtet man die Teuerungsraten seit 1955 kann man nur sagen, dass die Inflation tatsächlich historisch niedrig ist (Grafik 1).

Diese Aussage gilt ganz besonders für Frankreich und Spanien. Für andere Länder lässt sich das so nicht sagen. Die USA hatten bereits von 1958 bis 1966 eine Phase besonders niedriger Inflation. Es ist also nicht so, als ob es so etwas noch nie gegeben hätte.

Trotzdem muss man zugeben: im Vergleich zu den letzten 60 Jahren ist die Teuerung ziemlich moderat. Nun kann man sich fragen, ob das der richtige Maßstab ist. Vergleicht man die aktuellen Inflationsraten mit den letzten 20 Jahren (Grafik 2), sieht die Sache anders aus. Die Teuerung war zwar zeitweise niedrig, doch im Vergleich kann man nicht sagen, dass es beunruhigend war.

Das gilt für einige Länder mehr als für andere. In Deutschland befinden wir uns schon fast in einer Hochinflationsphase. Die Teuerung lag zuletzt bei 1,8 %. Das entspricht exakt dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Steigt die Inflation auch nur im zweiten Nachkommabereich an, weist Deutschland eine überdurchschnittlich hohe Inflationsrate aus. So viel also zu der Behauptung, die Inflation sei zu niedrig.

In Japan ist die Inflationsrate heute in etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Die USA nähern sich dem Durchschnitt. Frankreich, Spanien und Kanada sind von diesem Durchschnitt noch ein wenig entfernt, doch mit der Stabilisierung der Rohstoffpreise ist es vermutlich nur eine Frage von Monaten, bis auch hier wieder von Normalität gesprochen werden kann.

Hinter den Kulissen baut sich indessen weiterer Inflationsdruck auf. Grafik 3 zeigt die Lage in den USA. Lohnentwicklung und Partizipationsrate der Erwerbsbevölkerung am Arbeitsmarkt gehen auseinander. Das ist ein vorübergehendes Phänomen. Es ist absehbar, dass die Löhne in den USA 2018 einen Sprung nach oben machen werden. Das wiederum wird sich durch höhere Konsumausgaben auch in den Inflationsraten widerspiegeln.

In Deutschland ist die Situation sehr ähnlich. Auch in Kanada und Australien lässt sich das beobachten. Dies deutet alles darauf hin, dass das Ausmaß der derzeitigen Inflationsrate und die Prognosen viel zu konservativ sind. Der Markt preist Assets immer noch so, als ob die Inflation bei 0 % läge.

Das ist eine eklatante Fehleinschätzung. Man kann es Anlegern nicht verübeln. Auch die Notenbanken schätzen die Lage viel zu konservativ ein. Die Normalität bei der Inflation ist viel näher als viele denken. Das wird sich auch auf die Zinsen auswirken. Viele halten höhere Zinsen für nicht tragbar, doch das ist so nicht korrekt.

Regierungen schieben horrende Schuldenberge vor sich her. Deswegen können die Zinsen trotzdem steigen. Wichtig ist lediglich, dass die Zinsen weniger stark steigen als die Inflation. Die Realzinsen sind für die Tragbarkeit von Schulden ausschlaggebend und derzeit sind die Realzinsen sehr niedrig. Das ändert sich bei dem Inflationsausblick auch nicht, selbst wenn die Zinsen um 1 oder 2 Prozentpunkte steigen. Dieser Anstieg wird von der Inflation mehr als wettgemacht.

Zusammenfassend ergibt sich der Eindruck, dass Anleger und Notenbanker die Inflation unterschätzen und die Zinsen aus diesem Grund noch immer tief halten – zu tief. Ich erwarte hier die eine oder andere Überraschung.

Autor: Clemens Schmale, Finanzmarktanalyst bei GodmodeTrader.de

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