Was ist eigentlich mit Gold los?

Die Bedeutung des Zinses für den Goldpreis

(Bildquelle: Pressefoto Deutsche Börse AG)

Gestiegene Anlagezinsen und robuste Aktienmärkte kosten Gold offenbar viel Aufmerksamkeit. Hinzu kommt eine weniger dramatisch eingeschätzte geopolitische Lage. So bleibt im Ukraine-Krieg eine weitere Eskalation aus. Und Amerika und China sprechen wieder konstruktiv miteinander, was eher auf friedliche Koexistenz als harte Auseinandersetzung hindeutet. Dennoch gibt es genügend Gründe, nicht an Gold als langfristiger Anlageklasse zu zweifeln.

Die Bedeutung des Zinses für den Goldpreis

Da Gold keine Zinsen auszahlt, nimmt seine Attraktivität mit jedem Basispunkt Zinssteigerung ab. Tatsächlich haben Fed und EZB dem Edelmetall mit den dynamischsten Zinserhöhungsrunden aller Zeiten hart zugesetzt. Sicher ist der deutliche Anstieg der Anleiherenditen auch kein Spaß.

Doch ist die Inflation im Trend rückläufig. Zwar hält sich die Kerninflation zäh wie Kaugummi am Schuh, aber auch sie hat an Kraft eingebüßt. Ohnehin ist die US-Konjunkturlage kein Zinserhöhungsargument. Der Arbeitsmarkt mag quantitativ noch hell leuchten. Bei qualitativer Betrachtung verliert er aber schnell an Lux. Jobs in der Gastro sind eben vielfach prekär.

Zwar wird die Fed ihren Leitzins am 26. Juli 2023 noch einmal um 25 Basispunkte auf dann 5,25 bis 5,50 Prozent erhöhen. Mit Blick auf eine im Vergleich bravere Inflation, schwächere Konjunkturdaten und Überschuldung wird danach aber Schluss sein. Der moralische Zeigefinger wird dann immer noch erhoben, aber er dient der stabilitätspolitischen Glaubwürdigkeit und der künstlichen Senkung der Inflationserwartungen, ohne tatsächlichen Taten begehen zu müssen.

Die EZB wird – weil sie später angefangen hat – ihre Leitzinsen bis Ende Sommer 2023 noch zweimal um je 25 Basispunkte auf 4,5 Prozent erhöhen, doch ist sie dann mit Blick auf die dramatischen Strukturdefizite der Eurozone auch durch. Und von robuster Wirtschaft kann man in Europa erst Recht nicht sprechen.

Dieses wenig dramatische Zins-Szenario spricht zunächst für weiteres Aufwärtspotenzial des zinslosen Goldes, zumal sich im zweiten Halbjahr 2023 zunehmend Zinssenkungsphantasie in den USA breitmacht, der sich Europa im 1. Halbjahr 2024 anschließt. Das ist die klassische Lehre aus der Finanz-Geschichte.

Aber muss sich Finanz-Geschichte immer wiederholen? Aufgrund der massiven Strukturbrüche seit der Finanzkrise 2008 sind die typischen Verlaufsmuster so wenig erkennbar wie Straßen im Nebel.

Und so profitierten neben Gold auch Aktien als verbrieftes Sachkapital von der Zinssenkungsphantasie, auch fundamental, weil sie die Konjunktur und damit die Unternehmensgewinne stabilisiert. Übrigens, selbst wenn China konjunkturell zurzeit ziemlich in den Seilen hängt, wird es sich ab 2024 auch zum Vorteil der Weltwirtschaft wieder stabilisieren.

Diese Kapitulation der Bären spielen die Aktienmärkte schon länger. Während der Goldpreis im 1. Halbjahr „nur“ um gut fünf Prozent zulegte, sprangen DAX, S&P 500 und Nasdaq 100 um ca. 16, 16 und sogar 39 Prozent in die Höhe. Momentan ist die Aktie der größte Feind von Gold, nicht der Zins. Die Sommermonate sind saisonal sowieso nicht die ideale Zeit für große Kurssprünge des Edelmetalls.

„Entdollarisierung“ der Finanzwelt als ultimativer game changer pro Gold?

Immerhin sind nicht-westliche Notenbanken Goldbugs. Sie interessieren sich – auch aus geopolitischen Gründen – immer mehr für die harte Ware Gold und immer weniger für das weiche einlagige Papier von US-Staatsanleihen.

In diesem Zusammenhang wird gerade ein imposantes Gerücht wie eine Sau durchs Dorf getrieben. Es wird gemunkelt, die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) könnten bereits auf ihrem Gipfel am 14. August in Südafrika die Einführung einer neuen gemeinsamen Währung verkünden.

Und bei den fünf BRICS-Ländern solle es nicht bleiben. Angeblich könnten bis zu 40 weitere Staaten dem neuen Währungsbund beitreten, so die Türkei, Argentinien, Venezuela, Thailand, Ägypten, Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Alle hätten mit Amerika ein Hühnchen zu rupfen, weil es seine Hegemonie und Dollar-Dominanz zu ihren Lasten ausnutze und mangelnde Wertschätzung zeige. Immerhin entfalle allein auf die BRICS-Staaten ein Viertel der Welt-Wirtschaftsleistung.

Und die Euphorie der Politiker aus diesen Ländern kennt offenbar kein Limit. Die neue Währung soll in digitaler Form zur international anerkannten Handelsvaluta werden und mit autonomer und robuster Währungsinfrastruktur ebenso im weltweiten Finanzsektor für Furore sorgen.

Doch ist die Schaffung einer alternativen Welt-Währung eine Herkules-Aufgabe, mit der sich selbst die Helden der griechischen Mythologie schwertäten. Wenn man sich nur die früheren Abstimmungsprobleme zwischen den im Vergleich wenigen transatlantischen Währungen betrachtet, weiß man, was auf die Teilnehmer einer neuen Währung zukommt. Es wird ein Hauen und Stechen und große Abstimmungsprobleme geben, auch, da der neue Währungsverbund noch keine entsprechende Expertise hat.

Daher solle die neue Währung Rohstoff und vor allem Gold gedeckt sein. Denn viele „Neu-Währungsverbündete“ säßen auf riesigen Rohstoffvorkommen. Man erinnert sich wohl an die gute alte Zeit des Gold-Standards, als neue Kredite nur gegen die Sicherheit von Gold vergeben werden konnten. So solle die neue Währung der Volatilität des US-Dollars entgehen, der schon lange nicht mehr Gold-gedeckt ist.

Käme es zu diesem Szenario, wäre dies der größte Paukenschlag in der Finanzwelt seit dem Zweiten Weltkrieg und ebenso der größte Angriff auf die bislang einzige Weltleitwährung US-Dollar. Dieser würde massiv an Attraktivität einbüßen, was Gold, das negativ mit dem Dollar korreliert ist, schon massiven Auftrieb verleihen würde. Vor allem aber die neue Bedeutung von Gold als Währungssicherheit ließe das Edelmetall aufsteigen wie ein mit Helium gefüllter Ballon.

Aber selbst eine Gold gedeckte Währung ist nicht ohne. Zunächst ist geopolitisches Mütchen kühlen gegenüber den USA allein keine vernünftige Währungsstrategie. Und wird man wirklich die Währungsabhängigkeit von Amerika durch die von China ersetzen wollen? Daher rudern Währungsexperten auch schon zurück. Sie wissen, dass es im Übergang zur neuen Währung massive Reibungsverluste im Welthandel geben würde. Und zwar ist die westliche Welt dringend auf Rohstoffe angewiesen, aber was nutzen sie, wenn sie nicht verkauft werden? Die Rohstoff-Länder haben doch kein Interesse, ihre wichtigen westlichen Abnehmerländer zu vergraulen oder gar zu verlieren. Insgesamt ist damit eine Währungsalternative zum US-Dollar eher ein langfristiges Ziel.

Doch sollte die Vision einer neuen Weltwährung nicht nur als Augenkrankheit abgetan werden. Der Westen muss aus seiner spätrömischen Dekadenz herauskommen. Wenn er nicht mit der Zeit geht, geht er mit der Zeit.

Insgesamt muss Gold auf diese „schöne neue Währungs-Welt“ noch warten. Aber auch schon die aktuelle Gemengelage spricht dafür, bis zu 10 Prozent seines Vermögens in Edelmetallen zu halten. Es ist das wertstabilste Gut der Erde und kann im Bedarfsfall jederzeit in Papiergeld eingetauscht werden. Diese Sicherheit ist es mir wert.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725.

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