Wie stark fällt der Zinssenkungszyklus aus?

Bei der Fed haben Konjunktursorgen die Inflationsbekämpfung verdrängt

Bildquelle: Pressefoto Federal Reserve

Die Fed hat ihre Zinswende mit einem Paukenschlag von 50 Basispunkten eingeleitet. Das soft soll bloß nicht zum hard landing werden. Die Zinssenkungswelle wird bis 2026 anhalten, was Aktien zwei angenehme Perspektiven bietet. Zum einen erhöhen sinkende Zinsen ihre relative Attraktivität. Und zum anderen stärken sie die wirtschaftlichen Auftriebskräfte und damit die Gewinnqualität vor allem der konjunktursensitiven Unternehmen, die lange ein Schattendasein an der Börse führten.

Gemäß ihren gesenkten Projektionen für die US-Kerninflation (2024: 2,6 nach 2,8 Prozent; 2025: 2,2 nach 2,3 Prozent; 2026 und 2027 jeweils unverändert 2,0 Prozent) ist sich die Fed sicher, genug für die Inflationsbekämpfung getan zu haben.

Die Rückführung der Preissteigerung auf das Inflationsziel – das sie wohlgemerkt erst 2026 erreicht – bleibt aus Glaubwürdigkeitsgründen zwar noch Thema. Aber mit ihrem betont „starken Engagement für die Förderung von Vollbeschäftigung“ liegen die Prioritäten der Fed mittlerweile auf der konjunkturellen Seite.

„Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt. Wir steigern das Bruttosozialprodukt“

Die Fed will verhindern, dass sich der Arbeitsmarkt noch mehr abkühlt. Die zweitgrößte Revision der US-Beschäftigungszahlen in der Geschichte hat die Fed zweifellos aufgeschreckt. Zwar hat sich die US-Arbeitslosenquote zuletzt bei 4,2 Prozent eingependelt. Doch ist sie ein typisch nachlaufender Indikator. Amerikanische Haushalte schätzen laut Umfrage von Conference Board die Verfügbarkeit von Jobs – Corona ausgenommen – so knapp ein wie zuletzt 2017 und Besserung ist für sie nicht in Sicht.

Vergangene Zinserhöhungszyklen zeigen, dass die mit Zeitverzug wirkenden Restriktionen rezessiv wirken können. Auch wenn sich die Rezessionswahrscheinlichkeit laut Federal Reserve Bank of New York innerhalb der nächsten 12 Monate von 70 Prozent im Mai auf aktuell 61 Prozent zurückgebildet hat, ist die Gefahr nicht gebannt. Angesichts der massiven staatlichen Ausgabenprogramme schlägt sich diese aber noch nicht in den nahezu unveränderten Wachstumsprognosen der Fed (2024: 2,0 nach 2,1 Prozent; 2025, 2026 und 2027 jeweils unverändert 2,0 Prozent) nieder. Dennoch signalisiert die Fed anhand ihrer „Sicherheitssenkung“, dass sie konjunkturell verstanden hat.

Zinserleichterungen unterstützen die US-Industrie, die seit Jahren mit einer schrumpfenden Neuauftragslage zu kämpfen hat. Von industriellen Aufhellungen profitiert ebenso der in der Wertschöpfungskette vor- und nachgelagerte Dienstleistungssektor.

Nicht zuletzt erhält der wichtigste Teil der amerikanischen Volkswirtschaft, der Konsum, mehr Luft zum finanziellen Atmen. Zinsgünstigere Kredite wirken auch den bislang steigenden Kreditausfallraten entgegen. Ohnehin ist nur dann stabiler Konsum zu erwarten, wenn der Arbeitsmarkt robust bleibt.

Wie stark fällt der Zinssenkungszyklus aus?

Aktuell rechnet die Fed in ihren Zinsprojektionen (sog. „Dot Plot“) bis 2026 nur mit einer zusätzlichen Senkung um 20 im gesamten Zinssenkungsvolumen von 260 Basispunkten anstatt bislang 240. Allerdings laufen diese zügiger ab. So plant die Fed bis Jahresende weitere Senkungen von rund 50 Basispunkten, anstatt es nur bei einer zu belassen. Für 2025 prognostiziert die Fed unveränderte Lockerungen um insgesamt 100 Basispunkte auf dann 3,4 Prozent. Und für 2026 plant sie weitere Senkungen um 50 Basispunkte ein anstatt bislang 100. Dann würde der US-Leitzins bei 2,9 Prozent liegen.

2,9 Prozent klingt ad hoc nicht sonderlich offensiv, eher neutral. Doch will die Fed zu Beginn des Zinssenkungszyklus nicht übertrieben vorpreschen. Muss sie auch nicht, denn sie kann auf ihre Datenabhängigkeit verweisen. Sollte die Wirtschaft in konjunkturell schwieriges Fahrwasser geraten, hat sie alle Flexibilität, die Zinsen beherzter herabzusetzen. Ohnehin sind die Finanzmärkte sowohl für dieses Jahr als auch für 2025 taubenhafter als die Fed. Versuche von Fed-Chef Powell die Zinsfantasie der Märkte zu bremsen, indem er anmerkte, dass große Zinsschritte nicht der neue Normalzustand sind, verhallen.

Übrigens, wenn die Fed ihre Zinswende schneller vollzieht, reduziert sie auch zügiger den konjunkturellen Gegenwind von real hohen Notenbankzinsen.

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In der Vergangenheit hat die Fed ihre Zinssenkungsrunden dann mit „großen“ Lockerungen eingeleitet, wenn die Wirtschaft vor einem großen Abschwung stand. Und abseits der Regel, dass Zinssenkungszyklen grundsätzlich positiv an den Aktienmärkten ankommen, wirkten sich Rezessionsszenarien aktienschädlich aus. Den aktuellen Schritt goutieren die Börsen allerdings eher als „Versicherung“ für die Wirtschaft und Unternehmensgewinne.

Den nun gewonnenen Spielraum für eigene Zinssenkungen nutzen Notenbanken weltweit aus, so dass Weltkonjunktur und Finanzmärkte in den Genuss des größten konzertierten Zinssenkungszyklus seit der Corona-Krise kommen. Schwellenländer können beherzter senken, weil der Senkungstrend in den USA der sonst üblichen Kapitalflucht entgegenwirkt.

Das kommt zunächst den Technologietiteln zugute, deren hohe Bewertung relativ sinkt.

Von dieser Zinsentspannung profitieren vor allem aber (konjunkturabhängige) US-Aktien aus der zweiten und dritten Reihe. Sie sind finanzierungsabhängiger und reagieren daher deutlich positiver auf Zinssenkungen als die großkapitalisierten Blue Chips und Tech-Titel, die wegen viel Cash darauf nicht angewiesen sind. Der Aktienmarkt wird breiter und damit stabiler.

Tatsächlich, nachdem zuletzt im Trend eher Defensiv-Titel gefragt waren, hat aufgrund des sich stabilisierenden Konjunkturumfelds bereits eine Adjustierung, eine gewisse Umschichtung in zyklische Substanzwerte begonnen. Nicht zuletzt profitieren Europas und Deutschlands small- und midcaps von ihrer industrienahen Ausrichtung.

Tatsächlich stabilisiert sich die Konjunkturstimmung gemäß Sentix Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate über alle Weltregionen hinweg.

Nur in Deutschland zeugen die Erwartungen von rezessiver Ohnmacht. Angesichts der schwierigen Standortbedingungen ist kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Diese Klippe umschiffen die Unternehmen jedoch immer mehr mit dem Exodus in attraktivere Länder.

Mit der weltweiten zinspolitischen Wende nach unten verliert auch die vermeintlich restriktiver werdende japanische Notenbank an Schrecken. Ihre strengere Geldpolitik wird international kompensiert.

Apropos Japan, sicherlich bekommen exportsensitive japanische Aktien die Aufwertung des Yen gegenüber wichtigen Handelswährungen zu spüren.

Längerfristig fördert jedoch die mit der voranschreitenden Entflechtung japanischer Großkonglomerate – ähnlich der Auflösung der Deutschland AG – einhergehende Transparenz, Wettbewerbsoffenheit und der verbesserte Einsatz von Finanzmitteln die Gewinnaussichten japanischer Unternehmen. Hinzu kommt die Ansiedlung von Produktionsstätten für Vorprodukte, die westliche Firmen zur Abhängigkeitsverringerung von China auch nach Japan verlagern. Vor diesem Hintergrund ist die japanische Aktien-Rallye längerfristig noch nicht am Ende.

Vom verbesserten internationalen Zinsumfeld profitieren nicht zuletzt Gold und Kryptoassets.

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Allerdings mahnt der ausgeprägte Anteil der Optimisten abzüglich der Pessimisten am US-Aktienmarkt zu einer gewissen Vorsicht vor zwischenzeitlichen Rücksetzern.

Grundsätzlich gehören in den kommenden Wochen Konsolidierungen und vorübergehend erhöhte Kursschwankungen mit Blick auf die US-Zinssenkungen – 50 oder doch nur 25 Basispunkte – und die nahende US-Präsidentschaftswahl zur Tagesordnung. Sie bieten aber, da sie die längerfristig attraktiven Marktbedingungen nur zeitweise verdecken, günstige Einstiegsgelegenheiten. Mindestens sollten Anleger ihre Aktiensparpläne fortsetzen oder damit beginnen.

Ohnehin, laut Umfrage erwarten große Fondsmanager mit großer Mehrheit eine sanfte Konjunkturlandung. Mit einem insofern weiter auf hohem Niveau liegenden Aktienengagement signalisieren sie ihr Grundvertrauen in eine breiter werdende US-Aktien-Rallye.

Setzt der DAX seine Aufwärtsbewegung fort, trifft er zunächst bei 18.970, 19.000 und 19.050 Punkten auf Widerstände. Werden diese überwunden, folgen weitere Barrieren bei 19.100, 19.150 und 19.335. Kommt es zu einem Rücksetzer, liegen erste Unterstützungen bei 18.892, 18.804 und 18.695. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 18.630 und 18.620 Punkten.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725.

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