Das Pflichtteilsrecht – ein scharfes Schwert

„Nicht jeder, der auf eine Erbschaft scharf ist, kommt auf seine Kosten“ – oftmals schlägt die Stunde des Pflichtteilsanspruchs.

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„Nicht jeder, der auf eine Erbschaft scharf ist, kommt auf seine Kosten“ – dieses von Willy Brandt stammende Zitat beschreibt trefflich den neuralgischen Bereich des Erbrechts, wo sich stets alles um die Fragen dreht, wen der Erblasser bedacht hat und wie werthaltig der dem Erben zugewiesene Erbteil ist. Enttäuschung und Frustration sind die ständigen Begleiter der Hinterbliebenen, wenn ein bislang unbekannter letzter Wille eröffnet wird. Nicht selten kommt es vor, dass ein naher Verwandter „enterbt“ wurde – dann schlägt oftmals die Stunde des Pflichtteilsanspruchs. Während dem pflichtteilsberechtigten Verwandten regelmäßig daran gelegen ist, einen hohen Pflichtteil zu erstreiten, versuchen Eltern im Rahmen der lebzeitigen Nachlassplanung, den Pflichtteil in Missgunst geratener Familienmitglieder möglichst nachhaltig und weitreichend auszuhöhlen.

Hintergründe zum Pflichtteilsrecht

Bereits im römischen Recht, auf welchem unser Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Wesentlichen fußt, wurde nahen Familienangehörigen, die im Zuge der Erbfolge leer ausgingen, ein Pflichtteil zugestanden. Dadurch sollte die Mitarbeit im Familienverbund und die Unterstützung der Familie kompensiert werden – aufgrund der bereits damals existierenden Testierfreiheit konnte der Erblasser frei über sein Vermögen von Todes wegen verfügen. Das Preußische Recht nahm insoweit auf das Pflichtteilsrecht Einfluss, als es den Pflichtteilsanspruch von einem materiellen Noterbrecht zu dem bis heute gültigen Geldzahlungsanspruch wandelte.

Leitgedanken des Pflichtteilsrecht sind zum einen eine faire (Mindest-) Teilhabe am Erfolg des erwirtschafteten Familienvermögens und zum anderen die Versorgung naher Angehöriger. Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in den 90er Jahren zeitweise die Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts als anachronistisches Recht in Frage gestellt – diese Zweifel wurden indessen im Jahr 2005 durch eine wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welches das Pflichtteilsrecht als verfassungsgemäß bestätigte, zerstreut.

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Grundzüge des Pflichtteilsrechts

Das Pflichtteilsrecht ist in vielerlei Weise hochkomplex – in einer Hinsicht ist es jedoch einigermaßen überschaubar, nämlich bei der Frage, welchen Personen (abstrakt betrachtet) überhaupt ein Pflichtteilsrecht zusteht. Einen Pflichtteil dem Grunde nach geltend machen können nämlich nur Abkömmlinge des Erblassers (d.h. Kinder, Enkelkinder, d.h. Nachfahren in absteigender Linie), die Eltern des Erblassers sowie der Ehepartner bzw. eingetragene Lebenspartner im Sinne des LPartG.

In der Regel ist angesichts der testamentarisch oder mittels Erbvertrag festgelegten Erbfolge unstreitig, dass eine Person aus dem vorstehend genannten Personenkreis einen Pflichtteil geltend machen darf. Auch die Pflichtteilsquote, welche die Hälfte des gesetzlichen Erbteils beträgt, ist zumeist kein Streitpunkt, das Gesetz ist an diesen Stellen eindeutig.

Lediglich das Pflichtteilsrecht des Ehegatten enthält hier einige Besonderheiten, indem das Pflichtteilsrecht durch das eheliche Güterrecht beeinflusst und mitunter überlagert wird. Bei Eheleuten, die im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet sind, wird zwischen dem „kleinen“ und dem „großen“ Pflichtteil unterschieden. Welcher Weg für den überlebenden Ehepartner der bessere Weg ist, sollte stets wohl überlegt werden, da hier erhebliche Vorteile generiert werden können.

Durchsetzung und Abwehr von Pflichtteilsansprüchen

In der Praxis treten Fälle aus dem Bereich des Pflichtteilsrechts stets bilateral auf, d.h. es geht stets um die Durchsetzung oder um die Abwehr von Pflichtteilsansprüchen. Da der Pflichtteilsanspruch als solcher sowie die Pflichtteilsquote (meistens die Hälfte der gesetzlichen Erbquote) nur äußerst selten bestritten werden, dreht sich der konkrete Fall aus der Beratungspraxis bis auf wenige Ausnahmen um die Frage der Höhe des Zahlungsanspruchs.

Da es sich beim Pflichtteilsanspruch um einen Geldanspruch handelt, der prinzipiell sofort fällig und bar zu erfüllen ist, wird auch der Zeitpunkt der Zahlung immer wieder Gegenstand der außergerichtlichen Verhandlungen. Die wenigstens Fälle landen dabei vor Gericht. Im Zentrum der Verhandlungen steht regelmäßig die Frage der Höhe der Zahlung – diese leitet sich wiederum aus der Höhe des Nachlasses ab.

Maßgebliche Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund die Frage der Bewertung der Aktiva und Passiva des Nachlasses zu, welche der Erbe in Gestalt eines sog. „Nachlassverzeichnisses“ dem Pflichtteilsberechtigten bereitstellen muss. Die Durchsetzung eines Pflichtteilsanspruch beginnt mit der Geltendmachung eines dreistufigen Anspruchs, nämlich auf Auskunftserteilung über den Nachlassbestand, ergänzt um den Anspruch auf Wertermittlung der Nachlassgegenstände und abgeschlossen durch den Anspruch auf Zahlung.

Der Erbe muss auch über Schenkungen in der Vergangenheit Auskunft erteilen. Ein klassischer Fehler, der bei Pflichtteilsstreitigkeiten sichtbar wird, ist die lebzeitige Übertragung von Immobilien durch die Eltern an einen Erben (zumeist an einen Abkömmling) bei gleichzeitigem Vorbehalt eines umfassenden Nießbrauchs- oder Wohnrechts.

Ziel der Gestaltung lag darin, eines der Kinder zu begünstigen – leider wird immer noch häufig übersehen, dass die Vereinbarung eines Nießbrauchs das Ziel der Eltern, eines der Kinder zu begünstigen, konterkariert. Selbst wenn die Immobilie weit vor der magischen 10-Jahres-Frist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB übertragen wurde, muss es für den Pflichtteilsergänzungsanspruch vollumfänglich berücksichtigt werden. Lediglich die Wirkungen des sog. „Niederstwertprinzips“ vermag dem schockierten Erben, der davon ausging, dass diese weit zurückliegende Schenkung keine Rolle mehr spiele, etwas Linderung zu verschaffen.

Aushöhlung von Pflichtteilsrechten

Neben der Durchsetzung und der Abwehr von Pflichtteilsansprüchen, die darauf abzielen, möglichst geschickt und taktisch versiert mit dem Status quo umzugehen, geht es bei der lebzeitigen Nachfolgeplanung häufig um die Reduzierung von Pflichteilsansprüchen. Eine klassische Beratungssituation besteht darin, dass vermögende Eheleute, oftmals in Patchworkkonstellationen lebend, ein Kind oder mehrere Kinder gegenüber anderen Kindern finanziell bevorzugen möchten.

Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und zumeist privater Natur. Der einfachste Weg, Pflichtteilsrechte von Berechtigten zu minimieren oder gar auszuschließen, besteht im Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrags. Bereits das Wort „Vertrag“ legt indes nahe, dass hierbei die Mitwirkung des betroffenen Abkömmlings zwingend ist.

Der Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrags gelingt nicht selten nur dann, wenn die Eltern dem Kind, das den Verzicht unterzeichnen soll, eine Abfindung bezahlen – in der Praxis nennt man diese Gestaltung einen „entgeltlichen Pflichtteilsverzicht“. Bei Unternehmerfamilien bietet sich ein gegenständlicher Pflichtteilsverzicht an. In dieser Konstellation werden nur die Unternehmensbeteiligungen vom Verzicht ausgenommen, das Privatvermögen dagegen bleibt der Masse, auf die sich der Pflichtteil bezieht, erhalten.

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Eine Reduzierung des Pflichtteils ist auch dadurch möglich, indem lebzeitige Schenkungen unter eine Anrechnungsbestimmung nach § 2315 BGB gestellt werden. Der Beschenkte muss sich dann, sollte er eines Tages einen Pflichtteilsanspruch geltend machen, den Wert der Schenkung von dem Pflichtteilsanspruch abziehen lassen.

Neben diesen konservativen Methoden zum Ausschluss und zur Reduzierung des Pflichtteils kommen weitere Gestaltungen zur Aushöhlung von Pflichtteilsrechten in Betracht, die jedoch mitunter frühzeitig in Angriff genommen werden müssen. Zudem sind nicht alle dieser Gestaltungen zu 100 % rechtssicher.

Der einfachste Weg besteht zumeist darin, wenn der vermögende Elternteil, bei dessen Versterben Pflichtteilsansprüche zu erwarten sind, bereits lebzeitig „entreichert“, indem er das Vermögen (teilweise) auf Dritte (Kinder, Enkelkinder, gemeinnützige Organisationen) schenkweise überträgt. Dadurch wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Berechtigten nach Maßgabe von § 2325 Abs. 3 BGB über 10 Jahre um jeweils 10 % per anno abgeschmolzen. Zu beachten ist, dass Schenkungen an den Ehepartner keine gute Idee sind, da hier die 10-Jahresfrist nicht zu laufen beginnt, solange die Ehe bestand hat.

Weitere Möglichkeiten, Pflichtteile zu reduzieren, bestehen im Wechsel des Güterstandes, bekannt auch unter dem Begriff der „Güterstandsschaukel“, die einen multifunktionalen Nutzen erfüllt und, sofern keine ehefremden Zwecke nachgewiesen werden können, den Pflichtteil des Kindes reduziert. Dies ist besonders in Patchworkfamilien effektiv, da das betroffene Kind nur gegenüber dem leiblichen Elternteil einen Pflichtteilsanspruch hat.

Gegenüber Stiefeltern gibt es keinen Pflichtteil, solange keine Adoption durchgeführt wird. Eine wagemutige Gestaltung besteht in der Gründung einer Gesellschaft, etwa einer GbR. Diese GbR wird von den Eltern zu je 50 % gehalten und mit Vermögen befüllt. Im Gesellschaftsvertrag vereinbaren die Eltern einen allseitigen Abfindungsausschluss im Todesfall. Diese Gestaltung wird als „aleatorisches Rechtsgeschäft“ und gerade nicht als Schenkung gewertet, so dass die 50 %ige Gesellschaftsbeteiligung weder einen Pflichtteils- noch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslöst.

Das Fazit:

Das Pflichtteilsrecht ist ein mächtiges Werkzeug. Im Rahmen der Durchsetzung und der Abwehr von Pflichtteilsansprüchen geht es so gut wie nie um das „Ob“, sondern stets um das „Wie viel“ – umkämpft ist daher stets die Ebene der Bewertung der Nachlassgegenstände, insbesondere wenn Immobilien Teil des Nachlasses sind. Bei Nießbrauchsfällen ist eine vertiefte Betrachtung des Sachverhalts zwingend. Wenn Eltern Pflichtteile von Abkömmlingen reduzieren möchten, sollten sie frühzeitig damit beginnen und dabei erbrechtliche und steuerliche Besonderheiten im Blick behalten.

Ein Beitrag von Martin Lindenau, RA/Mediator

Er ist Partner bei LEGAVIS Rechtsanwälte. Lindenau begleitet Unternehmerfamilien bei der Vorbereitung und Gestaltung des Generationenwechsels. Sein Beratungsansatz rückt dabei die Absicherung des Familienvermögens in den Vordergrund. wwww.legavis.de

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