Hauptversammlungen in Zeiten von Corona?

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In diesen Wochen läuft – zumindest unter normalen Umständen – traditionell die Hauptversammlungssaison an. Sofern die Versammlungen überhaupt aufgrund des Coronavirus stattfinden können – wovon eigentlich nicht mehr auszugehen ist – werden diese für die Vorstände und Aufsichtsräte wahrlich kein Zuckerschlecken. Die Fragen der Aktionäre sind so zahlreich wie noch nie, denn die Herausforderungen und leider auch die hausgemachten Probleme in den Unternehmen sind in ihrer Vielzahl, aber auch in ihrer Tiefe einzigartig.

Großveranstaltungen und soziale Kontakte meiden

Allerdings stellt sich in der Tat zunächst die Frage, ob die Hauptversammlungen in die-sem Jahr überhaupt so umgesetzt werden dürfen und sollten, wie wir dies gewohnt sind. Denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat bereits deutlich gemacht, dass seines Erachtens Großveranstaltungen und auch sonst soziale Kontakte nicht wie gewohnt stattfinden sollen, sondern eingestellt gehören. Dem kann man allein zustimmen. Und tatsächlich werden Hauptversammlungen richtiger- und konsequenterweise abgesagt. Daimler oder Continental haben es vorgemacht.

Hauptversammlung kein „normales“ Event

Bei der Hauptversammlung handelt es sich allerdings nicht um eine „normale“ Veranstaltung. Eine Verschiebung hat weitreichende Konsequenzen. Zunächst gibt das Aktiengesetz vor, dass die Hauptversammlung in den ersten acht Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattzufinden hat. Wird von dieser Acht-Monats-Frist abgewichen, steht ein Zwangsgeld zur Diskussion, wobei dieses gerade im Falle einer Verschiebung wegen des Coronavirus wohl kaum zu erwarten ist. Aktuell werden die Hauptversammlungen aber auch deshalb erst einmal auf Juli oder August verschoben.

Keine HV – keine Dividende

Der sicher vornehmste Aspekt einer Hauptversammlung ist der Beschluss über die Ge-winnverwendung, aus der dann die Auszahlung der Dividende resultiert. Findet keine Hauptversammlung statt, kann auch nicht über die Gewinnverwendung beschlossen werden und wird daher auch keine Dividende zur Ausschüttung gelangen. Bereits dieser Punkt zeigt, wie bedeutend es eigentlich ist, dass die Hauptversammlungen stattfinden. Aber auch sonst ist die Hauptversammlung von hoher Relevanz, wenn es z. B. um die Beschlussfassung über ein genehmigtes Kapital geht, was für das weitere Wachstum oder gar das Überleben der Gesellschaft notwendig ist. Wird hier kein Beschluss gefasst, kann das Kapital nicht erhöht und können unter Umständen Akquisitionen nicht durchgeführt werden.

Gesetzgeber hat Optionen und Alternativen eröffnet

Der Gesetzgeber hat schon vor langer Zeit den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, die Teilnahme an der Hauptversammlung sowohl online, via Briefwahl oder auch über einen Vertreter in der Versammlung zu gestalten. Sehr bedeutend ist dabei die Tatsache, dass in Deutschland definitiv eine Präsenz-Hauptversammlung stattfinden muss. Eine reine Online-Hauptversammlung, ohne dass noch an irgendeinem Ort die Aktionäre zusammenkommen können, sieht das deutsche Aktiengesetz nicht vor.

Stiefmütterliche Online-Übertragung

Aber bei der Möglichkeit für Aktionäre, die Hauptversammlung online zu begleiten und vor allem bis zum Zeitpunkt der Abstimmung das Votum ändern zu können oder überhaupt erst zu übermitteln, hakt es bei vielen Gesellschaften. Denn dafür ist zunächst eine Satzungsänderung notwendig, die sicherlich einige, aber bei Weitem eben nicht alle Gesellschaften in den letzten Jahren umgesetzt haben. Eine solche Satzungsänderung ist aber notwendig, um eben die Teilnahme an der Hauptversammlung, ohne dass man vor Ort präsent ist, zu ermöglichen.

Stimmrechtsübertragung geübte Praxis

Die einfachste und auch geübteste Möglichkeit, an einer Hauptversammlung teilzunehmen, ohne selbst vor Ort zu sein, ist sicherlich die Übertragung der Stimmrechte an einen Dritten, wie z. B. Aktionärsvereinigungen. Aber auch die Briefwahl ist eine in den Satzungen weit verbreitete Option, die die Aktionäre nutzen können und sollten.

Besonders positiv wäre es, wenn die Hauptversammlung in voller Länge und damit bis zur Abstimmung und vor allem inklusive der Generaldebatte im Internet übertragen wird und die Aktionäre so von zu Hause und damit im sicheren Umfeld die Hauptversammlung vollumfänglich begleiten können. Hiermit tun sich die Gesellschaften allerdings sehr schwer und so sieht man trotz aller rechtlichen Möglichkeiten doch noch höchst selten, dass die Aktionäre die Debatte im Internet verfolgen, geschweige denn Fragen stellen können.

Übertragungsende mit Beginn der Debatte

Wenn eine Online-Übertragung eingerichtet wird, so endet diese meist nach dem Vortrag des Vorstandes oder aber den ergänzenden Ausführungen des Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Möglichkeit, die Debatte zu verfolgen oder gar online Fragen zu stellen, scheuen die Unternehmen wie der Teufel das Weihwasser.

Dies rächt sich nun in der aktuellen Situation, da die durch das Aktiengesetz ermöglichten Optionen weder erprobt noch gelebt wurden. Auch ist es nun zu spät, denn insbesondere die Online-Optionen für eine Hauptversammlung müssen zuvor in der Satzung festgeschrieben sein. Ist dies nicht der Fall, können diese nicht genutzt werden, selbst wenn das Aktiengesetz dies so vorsieht.

Möglichkeit der Bevollmächtigung nutzen!

Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, in den nächsten Tagen und Wochen Einladungen zu den Hauptversammlungen erhalten, so finden Sie in den Anmeldeunterlagen ein Formular, mit dem Sie Dritte mit der Stimmrechtsvertretung und Ausübung Ihrer Rechte bevollmächtigen können. Leider landet dieses Vollmachtsformular oftmals unbeachtet im Papierkorb.

Sofern die Hauptversammlungen trotz Corona stattfinden, sollten Sie Ihre Aktionärsrechte jedoch nicht einfach verfallen lassen. Nutzen Sie die Möglichkeit der Bevollmächtigung und betrauen Sie die DSW oder aber andere Adressen mit der Stimmrechtsvertretung. So sorgen Sie auch dafür, dass auf den Hauptversammlungen keine Zufallsmehrheiten entstehen, wenn sehr viele Aktionäre der Veranstaltung fernbleiben. Daraus wiederum ergeben sich Chancen für aktivistische Investoren mit negativen Absichten. Auch dies gilt es durch eine Bevollmächtigung zu verhindern.

Weitere Informationen zur Stimmrechtsvertretung finden Sie auch unter: www.dsw-info.de/anlegerschutz/hauptversammlung/stimmrechtsvertretung/

Bleiben Sie bitte gesund!
Ihr
Marc Tüngler

Ein Beitrag von Marc Tüngler

Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und ist ein profunder Kenner des deutschen Aktienmarktes. Als Redner und Aktionärsvertreter auf vielen Hauptversammlungen weiß er um die Befindlichkeiten von Vorständen und Aktionären.
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