Geldanlage ist eben keine Unterdisziplin der Astrologie

Bildquelle: markteinblicke.de

Anfang April 2020 baten wir von der marktEINBLICKE-Redaktion Kapitalmarkt-Profi Christian W. Röhl für unsere Printpublikation einen kurzen Mutmachbeitrag für Privatanleger zu schreiben. Die Anlegerwelt hat sich in den vergangenen acht Wochen zwar auf den ersten Blick wieder fundamental gedreht, allerdings sind die Schlüsse vom April auch im Juni noch gültig. Nachfolgend nun dieser Text. 

Die Wirtschaft steht still, die Börsenkurse stürzen ab und Dividenden gibt’s (erstmal) auch nicht. Das Corona-Virus bedroht nicht nur unsere Gesundheit und unsere Freiheit, sondern stellt auch Investoren vor völlig neue Herausforderungen. Was wir gerade erleben, ist keine normale Rezession – sondern ein ökonomischer und gesellschaftlicher Schockfrost ohne Beispiel.

Aber so wie jeder Krieg und jeder Crash zuvor wird irgendwann auch diese Krise überstanden sein. Und auch dann wird es noch immer viele Unternehmen geben, die menschliche Bedürfnisse wie Essen und Trinken, Gesundheit, Energie, Kommunikation oder Unterhaltung bedienen – und die genau damit gutes Geld verdienen. Warum also sollte man sich ausgerechnet jetzt von seinen Beteiligungen an solchen Firmen trennen? Die Preise, die auf diesem hysterischen Marktplatz namens Börse geboten werden, sind Anfang April 2020 schließlich rund ein Drittel niedriger als zwei Monate zuvor…

Kein guter Zeitpunkt, um die Aktienquote aktiv zu reduzieren. Verkaufen kann trotzdem sinnvoll sein. Denn Unternehmen, die schon in guten Zeiten nur leidlich Geld verdient und keine saubere Bilanz zustande gebracht haben, werden jetzt erst recht Probleme kriegen. Deshalb die Krise (und vielleicht etwas von der Dreiviertelstunde, die man sonst jeden Tag zur Arbeit und zurück pendelt) für einen Frühjahrsputz im Depot nutzen. Hoffnungswerte und vermeintliche Schnäppchen raus, Qualitätstitel mit starkem Cashflow rein und beim Durchwischen gleich auf eine ausgewogene Länder- und Branchen-Streuung achten. Dass wir in Deutschland leben, ist kein hinreichendes Argument, das halbe Portfolio mit DAX- und MDAX-Werten zu bestücken – zumal essentielle Sektoren wie Technologie, Pharma oder Basis-Konsumgüter auf dem Frankfurter Kurszettel unterrepräsentiert sind.

Und was ist mit Nachkaufen? Klar, wer von einer schnellen Eindämmung des Virus und einer V-förmigen Erholung ausgeht, muss jetzt alles Geld zusammenkratzen und am Aktienmarkt „all-in“ gehen. Blöd nur, wenn’s dann doch ein längeres U, ein nervöses W oder ein quälendes L wird. Aber Geldanlage ist eben keine Unterdisziplin der Astrologie. Und ob der Tiefpunkt bei Aktie XY jetzt erreicht ist, trauen sich nur Scharlatane einzuschätzen, während nachhaltig erfolgreiche Investoren nicht diejenigen sind, die irgendeinen Crash oder eine Rally richtig „vorhergesagt“ haben – sondern diejenigen, die für jedes einigermaßen plausible Szenario strategisch gerüstet sind.

Wer schon 90 Prozent seines Vermögens in Aktien stecken hat, lässt sein Cash vielleicht lieber mal im Konto. Denn wenn’s schnell wieder dreht, ist man ja ohnehin dabei. Und falls nicht, bleibt immer noch ein bisschen Pulver trocken, um bei einem echten Panik-Ausverkauf à la März 2009 zugreifen zu können. Wer dagegen bislang kaum Aktien, aber mindestens fünf bis zehn Jahre Zeit hat, kann jetzt durchaus mal aufstocken – sofern es einen validen Investment Case gibt, jenseits des Narrativs „Aktie ist stark gefallen, muss wieder steigen, war ja immer so“?

Bild: Christian W. Röhl

Christian W. Röhl ist Kapitalmarkt-Profi mit 25 Jahren Erfahrung, verwaltet heute vor allem sein eigenes Vermögen und teilt seine Einsichten – in seinem Bestseller „Cool bleiben und Dividenden kassieren“, auf www.dividendenadel.de sowie in Vorträgen und Workshops für Banken, Unternehmer und Privatanleger.

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