Wirecard-Skandal – Heute schon geklagt?

Bildquelle: Pressefoto Wirecard

Sind Anleger nach dem Wirecard-Skandal jetzt unter Druck?

Herzlich Willkommen in den USA. Dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn man sich anschaut, wie intensiv Rechtsanwälte um die arg gebeutelten Wirecard-Aktionäre buhlen. Es ist geradezu ein Windhundrennen ausgebrochen und der Wirecard-Anleger, der bisher noch nicht geklagt hat, muss fast ein schlechtes Gewissen haben. Muss er sicher nicht! Zumindest aber denkt er, er würde erneut, nachdem er von Wirecard betrogen wurde, den Kürzeren ziehen. Das Ganze gipfelt in Videos auf YouTube, in denen Rechtsanwälte Aussagen ihrer Kollegen kommentieren. An diesem Spiel sollten sich Anleger nicht beteiligen.

Selbstverständlich gehört der Wirecard-Skandal aufgeklärt. Und selbstverständlich ist es wichtig, dass Anleger ihre Rechte erkennen und auch ausüben. Wie aber soll das überhaupt möglich sein, wenn der Sachverhalt noch nicht ausreichend aufgeklärt ist. Das, was wir heute wissen, scheint ein Geflecht aus Manipulation, Betrug und Fehlinformation zu sein. So drängen sich selbstverständlich auch Ansprüche auf. Doch bereits bei der Frage, wer hier verantwortlich ist und die Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe auch bezahlen kann, wird die Antwort dann doch etwas komplexer.

Als Anspruchsgegner stehen selbstverständlich die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates in erster Reihe. Danach kommt der Wirtschaftsprüfer EY. Und auch die BaFin und damit der Staat stehen auf der Liste der potentiellen Anspruchsgegner.

Wer sich jetzt schon der Kompensation seiner Schäden sicher ist, der sollte nun nicht mehr weiterlesen. Aber ganz so einfach ist es dann auch nicht. Neben der Frage, ob Ansprüche bestehen, ist von herausragender Bedeutung, wer diese Ansprüche bezahlen kann. Die Staatsanwaltschaft München hat die Vermögen von Vorstand und Aufsichtsrat eingefroren. Das hört sich gut an. Ob das Geld aber jemals bei den Anlegern landet, ist doch mehr als fraglich.

Dann wäre da noch der Wirtschaftsprüfer EY. Hier drängen sich Ansprüche geradezu auf. Doch selbst wenn man EY grob fahrlässiges oder sogar vorsätzliches Handeln nachweist, so ist doch die Potenz von EY genau zu betrachten. Sicherlich hat der Wirtschaftsprüfer eine Berufshaftpflichtversicherung. Doch auch hier reden wir „allein“ über 200 oder 300 Millionen EURO.

Was dann noch bleibt, ist die BaFin und damit eine Staatshaftung. Hier sind die Taschen selbstverständlich tief. Doch die Haftung der BaFin ist alles andere als eindimensional. So genießt die BaFin ein gesetzliches Haftungsprivileg, da die Bundesanstalt nicht zum Schutze des einzelnen Anlegers agiert. Ein dickes Brett.

Ein anderer Aspekt wird bisher komplett beiseitegeschoben: Nicht nur die Aktionäre haben einen Anspruch. Auch die Gesellschaft und damit die Wirecard AG ist anspruchsberechtigt. Diese Ansprüche durchzusetzen, ist die vornehmste Aufgabe des Insolvenzverwalters. Zu ihm stehen die Anleger also in einem direkten Konkurrenzverhältnis.

Was aber können Anleger nun tun? Definitiv sollten betroffene Anleger ihre Ansprüche im Rahmen des Insolvenzverfahrens anmelden. Denn je mehr Geld der Insolvenzverwalter durch Verwertung von Assets und auch Inanspruchnahme von Verantwortlichen einsammelt, umso höher fällt die Quote aus. Da die Aktionäre ihre Rolle aufgrund der bestehenden Schadenersatzansprüche wechseln, sind auch sie anspruchsberechtigt.

Ansprüche müssen bis zum 26. Oktober 2020 beim Insolvenzverwalter angemeldet werden. Hierzu gibt es ein Formular und die DSW hilft bei der Forderungsanmeldung.  Was Klagen betrifft, läuft die Zeit nicht weg. Ansprüche verjähren erst in drei Jahren und bis dahin sollte der Sachverhalt so aufgeklärt sein, dass man gesicherte Erkenntnisse über den Ablauf und über die Stärke der potentiellen Anspruchsgegner hat.

Lassen Sie sich also nicht unter Druck setzen!

Marc Tüngler ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und ist ein profunder Kenner des deutschen Aktienmarktes. Als Redner und Aktionärsvertreter auf vielen Hauptversammlungen weiß er um die Befindlichkeiten von Vorständen und Aktionären.
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