Spezial: Die US-Präsidentschaftswahl 2020

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Bereits knapp 80 Millionen US-Amerikaner und damit mehr als die Hälfte der etwa 150 Millionen Wahlberechtigten haben sich entschieden und ihre Stimme abgegeben. Der extrem polarisierende Wahlkampf und die immer stärker in zwei Lager mit teilweise komplett gegensätzlichen Ansichten geteilte Gesellschaft werden voraussichtlich für eine Rekordwahlbeteiligung sorgen.

Obwohl Herausforderer Joe Biden in Umfragen, bei Wettbüros und Expertenbefragungen seit Monaten klar vor Amtsinhaber Donald Trump liegt, gilt die Hauptsorge dem nicht auszuschließenden Szenario eines knappen Wahlausgangs mit einem längeren Auszählprozess und evtl. sogar einer juristischen Auseinandersetzung zur Ermittlung des Wahlsiegers. Sollte tatsächlich eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs notwendig sein, bestünde die akute Gefahr erneut aufflammender sozialer Unruhen, verbunden mit negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Erholung. Auch an den Kapitalmärkten würde es in diesem Fall wieder schwankungsreicher werden.

Sollte Biden die Wahl hingegen relativ eindeutig gewinnen, könnte das endgültige Ergebnis bereits Ende der ersten Novemberwoche feststehen – unter Berücksichtigung einer etwas länger andauernden Auszählungsphase aufgrund der großen Anzahl an Briefwählern. In diesem Fall wäre für die Umsetzung wichtiger Pläne Joe Bidens entscheidend, ob die Demokraten auch eine Mehrheit um Senat erringen. Da sich Demokraten und Republikaner vor den Wahlen nicht mehr auf ein neues Konjunkturpaket einigen konnten, wäre eine demokratische Mehrheit im Senat zusammen mit der weiterhin bestehenden Mehrheit im Repräsentantenhaus eine Voraussetzung, um wichtige Unterstützungsmaßnahmen schnell auf den Weg zu bringen. Sollte das nicht der Fall sein, müsste Biden seine enormen Ausgabenpläne einschränken.

So oder so aber würde Biden entscheidende Weichenstellungen einleiten, allen voran Investitionen in die Infrastruktur, das Gesundheitswesen und die Energiewende sowie eine Stärkung von Forschung und Entwicklung, insbesondere zum Ausbau erneuerbarer Energien. Profiteure wären entsprechend positionierte Unternehmen, möglicherweise sogar aus Europa, wenn sie in diesen Segmenten einen Know-how- und Erfahrungsvorsprung haben. Unternehmen der fossilen Energiebranchen hingegen müssten – genauso wie die Finanzindustrie – mit steigenden regulatorischen Anforderungen rechnen.

Zudem wird Biden die von Trump am Anfang seiner Amtszeit implementierten Senkungen von Unternehmens- und Spitzensteuern teilweise zurücknehmen, um so Teile der Ausgabenprogramme gegenzufinanzieren. Im Gegenzug ist die Anhebung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar geplant, was sich positiv auf den für die US-Volkswirtschaft sehr wichtigen privaten Konsum auswirken würde. 

Aus europäischer Perspektive wäre besonders die weitere Handhabung der laufenden Handelskonflikte eine Chance im Falle eines Regierungswechsels. Zwar steht auch Joe Biden für Protektionismus nach dem Motto „Buy American“ und die bevorzugte Behandlung von US-Produkten und -Unternehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass er keinen zusätzlichen Konflikt mit Europa anzetteln würde. Vielmehr könnte im Zuge der Wiedereinbindung der USA in internationale Organisationen wie bspw. die WTO oder die WHO auch versucht werden, einen Schulterschluss mit Europa zu suchen, um gemeinsam gegenüber China für fairere Handelsbedingungen, Marktzugänge und den Schutz geistigen Eigentums einzustehen.

Insgesamt wäre ein Sieg Bidens zusammen mit einer demokratischen Mehrheit im Senat das wohl beste Szenario für die internationalen Börsen. Kurzfristig negative Wirkungen von Steuerhöhungen oder anziehenden Regulierungen dürften von den Chancen der vorgesehenen Investitionen überkompensiert werden.

Im Falle eines Trump-Sieges wäre der Fahrplan relativ klar. Auch deswegen haben die Republikaner kein eigenes Wahlprogramm aufgelegt, sondern auf die Ausarbeitungen zur letzten Wahl 2016 verwiesen. Mangels Mehrheit im Repräsentantenhaus wären die innenpolitischen Handlungsmöglichkeiten der Regierung wie in den letzten Jahren begrenzt. Der Fokus läge somit auf außen- und handelspolitischen Akzenten mit der bekannten, möglicherweise noch harscheren Vorgehensweise.

Der eigentliche Unsicherheitsfaktor für die Börsen ist der Wahlkampf an sich bzw. die offene Frage nach dem Verlauf einer möglichen Machtübergabe. Die wesentlichsten Einflussfaktoren werden hingegen auch künftig die Corona-Pandemie, die wirtschaftliche Erholung und vor allem die ultra-expansive Geldpolitik der US-Notenbank Fed sein, die allesamt nur bedingt von der US-Regierung abhängig sind.

Ein Kommentar von Carsten Mumm
Er ist Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Das Traditionshaus mit Sitz in Hamburg und München setzt auf qualifizierte und umfassende Beratung für vermögende Privatkunden, Unternehmer, Immobilienkunden und institutionelle Kunden.

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