Über die Höhenangst bei Aktienkursen

Bildquelle: Pressefoto Deutsche Börse AG

„Die Aktie ist schon so gut gelaufen…“

Diesen Satz hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Er suggeriert, dass eine Aktie immer nur bis zu einem bestimmten Punkt laufen kann und dann automatisch zurückkommt. Doch stimmt das? Für manche Aktien mag es in der Tat zutreffend sein, für das Gros der Aktien stimmt es jedoch mit Sicherheit nicht. Ausgehend von den langfristigen, durchschnittlichen Aktienrenditen von 7 bis 8 Prozent p.a. ist es eigentlich logisch, dass es auch bei Einzelaktien immer weiter nach oben gehen muss – sprich nach dem Allzeithoch ist vor dem Allzeithoch.

Neue Rekordhochs bei Aktien sorgen bei vielen Anlegern immer wieder für Höhenangst. Begründet ist die Angst nicht. Von Warren Buffett stammt der Satz „Nicht alles, was steigt, muss irgendwann wieder sinken.“ Vielleicht ist ein Blick auf die Aktie seines Unternehmens, Berkshire Hathaway, dabei die beste Art und Weise eine Erwiderung auf die eingangs gestellte Aussage zu treffen.

Die Berkshire Hathaway A-Aktie ist mit einem Kurs von rund 250.000 US-Dollar nicht nur die absolut teuerste Aktie, sondern wahrscheinlich auch eine der bestperformendsten – schaut man auf den Kursverlauf der letzten sechs Jahrzehnte. Gründe, warum man bei ein Allzeithoch in diesem Zeitraum aussteigen oder überhaupt nicht erst einsteigen sollte, gab es zu Hauf. Wer sich nicht daran gehalten hat, dürfte sich nach wie vor über die Aktie im Depot erfreuen.

Die Fakten

Als Allzeithoch (All-Time-High) wird der höchste Kurs bezeichnet, den eine Aktie, ein Rohstoff, ein Aktienindex oder ein sonstiger Finanztitel in seiner bisherigen Kurshistorie je erreicht hat. Allzeithochs werden insbesondere für Vergleichszwecke verwendet. So lässt sich zum Beispiel feststellen, wie weit ein Finanztitel von seinem ehemaligen Rekordhoch entfernt ist oder welche Aktien es in der Vergangenheit geschafft haben, regelmäßig auf neue historische Tops zu klettern. Das Gegenteil zum Allzeithoch ist das Allzeittief. Darunter wird der niedrigste Kurs verstanden, zu dem ein Finanztitel je gehandelt wurde.

Neue Rekordstände an der New Yorker Wall Street haben stets auch eine mediale Wirkung. (Bildquelle: markteinblicke.de)

Die Hausse nährt die Hausse

Immer wieder ist es zu beobachten, dass die Aktien mancher Unternehmen einfach immer weiter in die Höhe klettern. Und gerade, wenn eine Aktie wieder einmal einen neuen historischen Kurshöchststand erreicht, ist das häufig ein Signal für weiter steigende Kurse.

Dieses Phänomen ist eigentlich paradox, denn wenn etwas immer teurer wird, wäre doch eigentlich zu erwarten, dass sich immer weniger Menschen dafür interessieren. Doch im Falle neuer Allzeithochs an der Börse ist oftmals genau das Gegenteil der Fall. Häufig kommt es vor, dass nach einem neuen historischen Top eine weitere Kurs-Rallye startet und der Aktienkurs in ungeahnte Höhen schnellt. Die Börsenweisheit „Die Hausse nährt die Hausse“ kommt nicht vorn ungefähr.

Wenn die Geschäfte rund laufen

Aus fundamentaler Sicht werden neue Allzeithochs in den meisten Fällen nur erreicht, wenn die Geschäfte der entsprechenden Unternehmen gut laufen. Denn nur dann sind Anleger von den guten Zukunftsaussichten des Unternehmens überzeugt, greifen bei den Aktien verstärkt zu und sorgen so für weiter steigende Kurse. Ein rentables Geschäftsmodell bleibt meistens über einen langen Zeitraum erfolgreich, und der unternehmerische Erfolg resultiert dann in steigenden Umsätzen und Gewinnen, befeuert die Aktien weiter und führt zu immer neuen Rekordmarken beim Aktienkurs. Beispiele für solche Unternehmen gibt es zuhauf, viele Anleger trauen sich dennoch nicht in solche „gut gelaufene Aktien“ zu investieren. Der Grund?

Neue Rekordstände an der Börse haben stets auch eine mediale Wirkung. Nachrichtensendungen, Zeitungen oder Finanzmagazine berichten über die neuen Allzeithochs, womit die Bekanntheit des Unternehmens steigt. Dies führt insbesondere bei kleineren Unternehmen, die bisher von den meisten Anlegern gar nicht wahrgenommen worden sind, bei den einen zu steigendem Kaufinteresse und damit weiter steigenden Aktienkursen.

Bei anderen Anlegern kommt bei diesem Punkt dagegen das „Verpasst-Gefühl“ auf. Statt dennoch auf weitere Kursanstiege zu setzen – was bei entsprechender fundamentaler Lage ja durchaus normal wäre, wird die Aktie gemieden und stattdessen immer wieder sich über die gestiegenen Kurse und die damit entgangenen Kursgewinne geschaut. Was viele Anleger unterschätzen: Gerade junge oder kleine Unternehmen werden häufig erst nach dem Erreichen neuer Rekordstände und den entsprechenden medialen Berichten über das Geschäftsmodell einem breiteren Anlegerkreis bekannt.

Viele Anleger tun sich schwer damit, Kursverluste zu realisieren – die Profis an der NYSE machen das anders. (Bildquelle: markteinblicke.de)

Kaufkurse vs. Verkaufskurse

Viele Aktionäre orientieren sich bei ihren Aktien-Investments an ihren Kaufkursen. Viele tun sich schwer damit, Kursverluste zu realisieren, obwohl die Verlustbegrenzung eigentlich essentiell ist für den dauerhaften Erfolg an der Börse. Deshalb scheuen Anleger davor zurück, eine Aktie zu verkaufen, die einen Kursverlust verzeichnet.

Viele hoffen dann darauf, dass die Aktie wieder steigt und der eigene Einstandskurs wieder erreicht wird. In diesem Fall freuen sich die Anleger und verkaufen oftmals sofort. Nach dem Erreichen neuer Rekordstände sieht die Lage anders aus, denn dann verzeichnen alle Anleger Kursgewinne, egal, zu welchem Zeitpunkt sie eingestiegen sind beziehungsweise welchen Kurs sie beim Einstieg bezahlt haben.

Alle Anleger, die zuvor Verluste verbuchten und darauf gewartet haben, ihre ehemaligen Einstandskurse noch einmal zu erreichen, sind vor dem Erreichen der neuen Allzeithochs bereits ausgestiegen. Damit entfällt bei neuen Rekordhochs dieser entsprechende Verkaufsdruck durch ängstliche Anleger und die Aktie wird auf ihrem Weg nach oben nicht mehr gebremst. Mutige Anleger, die bei Rekordhochs noch investiert sind, lassen häufig ihre Gewinne einfach weiterlaufen. Immer mehr Anleger werden außerdem auf den Börsen-Highflyer aufmerksam und springen quasi auf den fahrenden Zug auf.

Vorsicht vor dem Herdentrieb

Dieses Verhalten wird auch als sogenannter „Herdentrieb“ bezeichnet. Dadurch steigt die Nachfrage nach den entsprechenden Aktien und die Kurse können in ungeahnte Höhen steigen. Deshalb bestehen gute Chancen, dass Aktien, die neue Höchststände erreicht haben, weiter steigen.

Neue Allzeithochs gelten an der Börse deshalb als die stärksten Kaufsignale überhaupt und stellen ein wichtiges Qualitätskriterium bei der Aktienauswahl dar. Denn Aktien, die langfristig stetes Kurswachstum verzeichnen, zeichnen sich damit automatisch auch durch das häufige Erreichen von neuen Rekordhochs aus.

Letzte Kursbarriere überwunden

Auch charttechnisch lässt sich erklären, warum neue Allzeithochs starke Kaufsignale bedeuten. Denn der vorangegangene historische Höchststand stellt quasi das bisher maximale Kursniveau und damit den finalen Kurswiderstand dar, der überwunden werden muss. Gelingt der Ausbruch nach oben, gibt es keine weiteren Kursbarrieren oberhalb mehr.

Charttechniker würden in diesem Fall sagen, die Bahn ist jetzt nach oben frei von Kurswiderständen. Einem weiteren Kursanstieg steht somit nichts mehr im Wege. Für weiter steigende Kurse spricht dabei auch das Phänomen, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ein Trend – in diesem Fall ein Aufwärtstrend – tendenziell größer ist, als dafür, dass sich ein übergeordneter Trend plötzlich umkehrt. Eine bekannte Börsenweisheit besagt deshalb: „The trend is your friend“.

Dahinter steht die Strategie, beispielsweise bei einer Aktie, die in einem langfristigen Aufwärtstrend notiert, auf weiter steigende Kurse zu setzen. Für die sogenannten Trendfolger sind Aktien, die immer weiter steigen und regelmäßig neue Allzeithochs markieren, deshalb sehr interessant.

Allzeittiefs: Die stärksten Verkaufssignale

Die genau gegensätzliche Signalwirkung haben Allzeittiefs. Der bisher tiefste Kursstand in der bisherigen Kurshistorie kann praktisch als letzter Rettungsanker beziehungsweise letzte Unterstützung interpretiert werden. Fällt eine Aktie darunter, gibt es keine weiteren Kursunterstützungen mehr auf dem Weg nach unten.

Dementsprechend ist ein Allzeittief das stärkste Verkaufssignal, das es gibt. Häufig ist es so, dass sich bei Aktien, die neue Allzeittiefs markieren, die Börsentalfahrt noch einmal beschleunigt. Aktien mit neuen Allzeittiefs sind quasi die Sturzflieger an der Börse. Anleger sollten um solche Titel deshalb einen großen Bogen machen.

Handelsfloor an der NYSE (Bildquelle: markteinblicke.de)

Der Dow Jones klettert und klettert…

Ein eindrucksvolles Beispiel für einen Index, der in seiner Historie immer wieder auf neue Rekordstände geklettert ist, liefert der Dow Jones Industrial Average an der NYSE, oder auch einfach nur Dow Jones genannt. Der Index umfasst die 30 nach Börsenwert größten US-Konzerne und gehört zu den am meisten beachteten Aktienindizes der Welt, da seine Entwicklung quasi den Pulsschlag der New Yorker Börse wiedergibt.

Wer also wissen will, in welcher Verfassung die Aktien der größten US-Konzerne sind, schaut sich einfach die Entwicklung des Dow Jones an. Der Dow Jones ist nicht nur eines der meist beachteten Börsenbarometer der Welt, sondern ist auch aus historischer Sicht äußerst interessant. Denn der Dow Jones wird bis ins Jahr 1896 zurückberechnet und erlaubt damit einen sehr weiten Blick in die Vergangenheit.

Trotz aller zwischenzeitlichen Konsolidierungen, zahlreicher Börsen-Crashs und zweier Weltkriege ging es für den Dow Jones langfristig betrachtet stetig nach oben. So errechnen sich beim Dow Jones seit 1896 Kursgewinne von im Schnitt rund sechs Prozent pro Jahr. Diese positive Wertentwicklung spiegelt sich auch in immer wiederkehrenden neuen Allzeithochs wider.

So wurden im Zeitraum 1896 bis 2020 in 56 der insgesamt 124 Jahre neue Rekordstände erklommen. Gerade die vergangenen Jahre haben dabei wieder einmal gezeigt, dass die Höhenangst vieler Anleger im Falle neuer Allzeithochs in der Regel unbegründet ist. So wurden beispielsweise zwischen 2013 und 2020 in jedem Jahr neue All-Time-Highs markiert. Und selbst die Anleger, die bei neuen Tops einstiegen, auf die dann ein scharfer Kurseinbruch folgte, wurden belohnt – unter der Voraussetzung, dass sie starke Nerven bewiesen und einfach investiert geblieben sind.

Bildquelle: markteinblicke.de

Neue Allzeithochs sind vorprogrammiert

Hierzu ein Beispiel aus dem Jahr 2018: Im Oktober 2018 stieg der Dow Jones auf ein neues Allzeithoch bei 26.951 Punkte. Wer dieses Top zum Einstieg genutzt hätte, erlebte zunächst einmal einen kleinen Schock, denn im Anschluss brachen die Notierungen kräftig ein. Bis zum Dezember 2018 setzte der Dow Jones in der Spitze um 19 Prozent auf 21.712 Punkte zurück.

Doch von diesem Kursboden aus folgte eine neue Kurs-Rallye im Zuge der es bis zum Juli 2019 auf ein neues historisches Top bei 27.398 Punkte nach oben ging. Und diese Aufholbewegung setzte sich dann weiter fort. Dabei kletterte der Kurs bis zum Februar 2020 in der Spitze auf 29.568 Punkte. Im Zuge der Coronavirus-Krise wurde dann auch der Dow Jones in die Tiefe gerissen. Bis zum März fiel der Index auf ein Tief bei 18.213 Punkte. Doch es folgte wieder einmal eine Aufhol-Rallye, sodass im November 2020 neue Allzeithochs erreicht wurden.

Und nun? Neue Rekorde weit jenseits der 30.000 Punkte dürften auch beim Höhenflieger Dow Jones nur eine Frage der Zeit sein.

FAZIT. Neue Allzeithochs stellen an der Börse die stärksten Kaufsignale überhaupt dar und sind als herausragendes Qualitätssiegel zu verstehen. Bei Aktien, die immer weiter in die Höhe steigen, handelt es sich in den meisten Fällen um die Aktien von Unternehmen, die auch ihre Umsätze und Gewinne kontinuierlich erhöhen. Neue Allzeithochs bedeuten, dass es keine weiteren psychologischen oder charttechnischen Kurshindernisse auf dem Weg nach oben gibt. Deshalb folgen auf ein All-Time-High häufig viele weitere.

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