Die Börse und die “grüne Blase”

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Es sind drei Buchstaben, die derzeit in allen Bereichen der Finanzwelt im Fokus stehen und wie eine ganze Herde von Säuen durch alle Dörfer getrieben werden. ESG. Environmental Social Governance – zu deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung hat sich in den vergangenen Jahren quasi als zweiter Begriff für für CSR (Corporate Social Responsibility) entwickelt.

Jeder will die grüne Welle reiten

Gefühlt haben auf einmal alle Unternehmen den Anspruch irgendwelche ESG-Kriterien schon seit vielen Jahren zu erfüllen. Es gibt eigentlich keinen global agierenden Vermögensverwalter, der sich die Nachhaltigkeit nicht auf die Fahnen geschrieben hat und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen im Fokus hat.

Auf den ersten Blick ist das gut und mehr als löblich. Denn diese SDGs möchten Armut und Klimawandel bis zum Jahr 2030 bekämpfen. Wer weiß, dass ein Temperaturanstieg von 5 Grad bis zum Jahr 2100 katastrophale Folgen für unser Leben auf der Erde hat, der reagiert auch bei seinen Investments. Das Bewusstsein dafür ist an den Kapitalmärkten angekommen. Vor allem die jüngere Anlegerschaft ist daran interessiert, ihr Geld in Investments zu stecken, die eine nachhaltigere Zukunft versprechen.

So löblich und richtig diese Anlage-Philosophie ist – es gibt mittlerweile am Markt zuhauf Produkte, die „die grüne Welle“ reiten wollen. Die Finanzmärkte werden nach und nach grüner – aber das ist nur bedingt nachvollziehbar. Einen interessanten Kommentar gab es jüngst von Sébastien Thévoux-Chabuel, ESG-Analyst und Portfoliomanager bei Comgest, zu dem Thema.

Die Nachfrage nach grünen Anlageinstrumenten steigt, auch durch entsprechende regulatorische Vorgaben. Kurzfristig ist daher eine spekulative Blase bei grünen Aktien nicht auszuschließen.

Nur auf „grün“ zu setzen kann gefährlich sein

„Nur auf grüne Anlagen zu setzen, kann sehr gefährlich werden und ist langfristig nicht die beste Lösung. Vielmehr gibt es andere Wege, wie Investoren zur Dekarbonisierung beitragen können“, so Thévoux-Chabuel. Er ergänzt: „Die Nachfrage nach grünen Anlageinstrumenten steigt, auch durch entsprechende regulatorische Vorgaben. Kurzfristig ist daher eine spekulative Blase bei grünen Aktien nicht auszuschließen.“

Laut dem Experten deutet darauf die Entwicklung von Indizes wie dem MSCI World Environment oder ETF’s wie dem iShares Global Clean Energy hin. Grüne Branche seien hier selbstverständlich reichlich vertreten – „etwa in Form von Elektromobilität, erneuerbaren Energien und nicht zuletzt Wasserstoff. Gleichzeitig sind die meisten grünen Unternehmen jung – selbst Tesla ist noch keine 20 Jahre alt – und befinden sich teilweise noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium.“

So löblich und richtig diese Anlage-Philosophie ist – es gibt mittlerweile am Markt zuhauf Produkte, die „die grüne Welle“ reiten wollen. (Bildquelle: Pixabay / geralt)

Der Vergleich mit der Dotcom-Blase

Dennoch warnt er ganz klar und sieht kritische Punkte, die Investoren, die auf grüne Aktien den Fokus gelegt haben, „nicht ignorieren sollten.“ Seine Begründung jst nachvollziehbar: „Auch wenn die Rolle der Aktienmärkte prinzipiell darin besteht, Risikokapital bereitzustellen, um Wachstum und Innovation zu finanzieren, so stellt sich die Frage, ob es nicht zu früh ist, um gänzlich auf grüne Aktien zu setzen.“

Die Aufgabe von langfristig orientierten Aktionären besteht auch darin, die Unternehmen im Dialog dabei zu unterstützen, sich in Umweltfragen besser zu positionieren.

An dieser Stelle kommt man als Finanzmarkt-Experte nur schwer um den Vergleich mit der Dotcom-Blase aus dem Jahr 2000 herum. Damals hatten viele Investoren erkannt, „welches ungeheures Potenzial im Internet steckte. Allerdings waren sie ihrer Zeit um gut fünf bis zehn Jahre voraus, weil weder die Infrastruktur noch der Verbraucher für diese neue Technologie bereit waren“, so Thévoux-Chabuel. Jetzt der Dreh zum heute:

Was ist wenn der heutige Hype um grüne Anlagen vielleicht genauso endet wie „jene Euphorie, die damals alle Technologie-Aktien getragen hat?“ Die Frage muss sich jeder Investor durchaus einmal stellen. Der ESG-Analyst und Portfoliomanager bei Comgest sagt dazu ganz klar:

Old-Economy kann auch ESG

„Unsere Erfahrung als langfristiger Investor zeigt, dass man sich vor kurzfristigen Modeerscheinungen hüten sollte. Die Investition in Trends ist unserer Ansicht nach nicht der beste Weg, um langfristig erfolgreich anzulegen und zur Dekarbonisierung der Wirtschaft beizutragen. Ein Bottom-up-getriebener Investmentansatz, der darin besteht, die mögliche Rendite und die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten auf einer unternehmensbezogenen Basis zu bewerten, scheint die bessere Wahl zu sein.“

Er geht sogar einen Schritt weiter und sagt, dass man stattdessen die zukünftigen Gewinner im Sinne eines langfristigen und nachhaltigen Wachstums indentifiziere. „Dieses Vorgehen führt auch dazu, dass wir eher in Old-Economy-Akteure mit einer langen Innovationsgeschichte investieren, die in der Lage sind, Lösungen für die Reduktion des CO2-Fußabdrucks zu bieten.“

ESG ist eine Aufgabe auf Zeit

In diesem Kontext könne, so der Experte, die Unterstützung von Unternehmen, die die Kohlenstoffintensität von umweltverschmutzenden Industrien reduzieren, einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der UN-Klimaziele leisten. Thévoux-Chabuel nennt hierfür ein Beispiel, dass nur wenigen Anlegern bekannt sein dürfte: Das Schweizer Unternehmen Sika, das umweltverträgliche Lösungen für die Bauindustrie entwickelt – „ein Sektor, der mit Blick auf die weltweit zunehmende Urbanisierung von zentraler Bedeutung ist, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren.“

Es dürfte spannend werden zu sehen, wie der Megatrend grüne Anlagen sich weiter entwickelt. Natürlich können alle Beteiligten – Finanzmärkte, Investoren und Fondsgesellschaften – „in vielerlei Hinsicht einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Erreichung der Klimaziele leisten. Allerdings ist das Thema eine Aufgabe auf Zeit, die langen Atem und eine klare Anlegervision erfordert“, so Thévoux-Chabuel und ergänzt: „Eine Lösung auf Knopfdruck gibt es nicht – auch wenn das angesichts des Booms von grünen Aktien an der Börse zeitweise so scheinen mag.“

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