Heiko Thieme: Wie geht’s weiter?

(Bildquelle: Heiko Thieme)

Bevor Chancen und Risiken für die kommenden Monate analysiert werden, ein kurzer Rückblick auf das erste Halbjahr. Die deutsche Börse – vertreten durch den DAX – und Wall Street – repräsentiert durch den S&P 500 Index – weisen zur Jahresmitte ein Plus von rund 14 Prozent auf. Dies würde einem Jahresanstieg von 30 Prozent entsprechen und damit den langjährigen Jahresdurchschnitt bei beiden Indices um ein Mehrfaches überschreiten.

Wie geht es jetzt weiter?

Die momentane Geschwindigkeit ist daher an beiden Börsenplätzen – Frankfurt und New York – aus historischer Sicht nicht fortsetzbar. Der DAX würde bereits in 16 Jahren auf einen Indexstand von einer Million Punkte kommen! Der nicht thesaurierende S&P 500 Index würde dafür 21 Jahre brauchen.

Selbst für einen Optimisten wie mich wäre dies eine utopische Vorstellung. Allerdings ist das Kurspotenzial an den Börsen in diesem Jahr trotz der rasanten Aufwärtsentwicklung noch nicht voll ausgereizt! Das schließt jedoch nicht aus, dass es in den kommenden Monaten wie bereits im Mai und Juni zu temporären ‘Schlaglöchern’ mit Indexverlusten von fünf bis zehn Prozent kommen kann. Gründe hierfür gibt es genug.

Das wirtschaftliche Umfeld sieht vielversprechend aus. Die OECD rechnet in diesem Jahr bei den führenden Wirtschaftsnationen mit dem größten Anstieg seit 50 Jahren! In den USA soll die Wachstumsrate die sieben Prozent Marke erreichen. Für China werden ähnlich hohe Zahlen genannt.

In Deutschland erwartet die Bundesregierung ein Wachstum von “lediglich” 3,5 Prozent. Dies dürfte sich als zu konservativ erweisen, da das Exportgeschäft von den erwarteten Verbesserungen im Welthandel profitiert. Ein Wachstum von über vier Prozent ist aus meiner Sicht möglich.

Globale Wirtschaftsampel steht auf grün

Während die globale Wirtschaftsampel auf grün steht, gibt es in der Politik etliche Fragezeichen. Präsident Biden beeindruckt seit seinem Amtsantritt im Januar mit seiner konstruktiven Versöhnungsstrategie gegenüber den traditionellen Bündnispartnern der USA. Seine jüngste Europareise – G7 und Natotreffen, sowie die klare Aussprache mit Putin in Genf – war ein erfreuliches Kontrastprogramm im Vergleich zur dilettantischen Isolationspolitik seines Vorgängers.

Wegen der nur knappen Mehrheiten im Kongress und der bereits im November nächsten Jahres anstehenden Zwischenwahlen beim Repräsentantenhaus und einem Drittel der Senatssitze, ist der politische Spielraum für Biden jedoch begrenzt, Erfahrungsgemäß verliert bei den Zwischenwahlen die im Weißen Haus regierende Partei Sitze! Dies würde die angestrebten Pläne bei Infrastrukturinvestitionen und Sozialreformen erheblich begrenzen. Für die Börse wirft dies Fragezeichen auf, die jederzeit zu einem Verkaufsdruck führen können.

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In Deutschland endet die Ära Merkel und die Bundestagswahlen Ende September werden neue Signale setzen müssen. Laschet hat ein schwieriges Auswahlsystem bei der Union für sich entschieden. Kommt es unter Führung der CDU/CSU zu einer Jamaica Koalition, so würde dies die Börse trotz einiger Fragezeichen begrüßen. Eine andere Alternative würde dagegen wenig Beifall finden.

China und Russland sowie der Ölpreis sind weitere Faktoren, die den Börsenalltag beeinflussen können. Bitcoin – das digitale Gold – und etliche wertlose Nebenwerte sind das bevorzugte Beschäftigungsfeld einer neuen Gruppe von Privatanlegern seit der Corona Krise. Hier wird die Börse mit der Spielbank verwechselt!

Vergleiche mit der dot-com Blase um die Jahrtausendwende drängen sich auf. Das Ende 2013 als reine ‘Witznummer’ kreierte Unternehmen Dogecoin erreichte Anfang Mai eine Marktkapitalisierung von über 90 Milliarden (!!) Dollar. Dies ist die holländische Tulpenspekulation von 1637 in Wiederholung! Innerhalb von sieben Wochen weisen einige Anleger in Dogecoin Papierverluste von rund 60 Milliarden Dollar auf. So was tut weh!

Die Zinspolitik der US-Notenbank spielt bis Jahresende die wichtigste Rolle am Aktienmarkt. Inflationssorgen, die Notenbankchef Powell bisher nicht teilt, machen einige Anleger nervös. Eine Leitzinserhöhung wird es in diesem Jahr jedoch nicht geben. Frühestens in der zweiten Hälfte nächsten Jahres wäre es denkbar, aber nicht garantiert.

Covid19 bleibt weiterhin der ‘Joker’! Eine vierte Welle im Herbst würde alle Hoffnungen und Strategien zerstören. Davon gehe ich jedoch nicht aus. Der DAX kann bis Jahresende meine bisherige Höchstmarke von 16.000 Punkten noch etwas überschreiten. Auch meine Dow Jones Prognose von 36.000 Punkten ist vielleicht etwas konservativ. Allerdings liegt das Restpotential beim DAX und Dow Jones in diesem Jahr im einstelligen Bereich. Einzelwerte können dagegen deutlich mehr bringen.

Ein Beitrag von Heiko Thieme
Er ist über 45 Jahre im internationalen Anlagegeschäft tätig und schrieb 16 Jahre als freier Kolumnist für die FAZ. Seit dem Jahr 1979 gibt es seine Marktanalysen und Einschätzungen sowie die älteste deutsche Börsenhotline.
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