Börse: Was geht noch im zweiten Halbjahr?

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Die jüngsten Umfragen unter Unternehmen – insb. die Schnellschätzungen der Markit-Einkaufsmanagerindizes für Europa und die USA – zeichnen ein klares Bild: die konjunkturelle Dynamik nimmt deutlich ab.

Umfragewerte nur knapp oberhalb der Expansionsschwelle

Sowohl im Verarbeitenden Gewerbe als auch bei Dienstleistern befinden sich die aggregierten Umfragewerte nur noch knapp oberhalb der Expansionsschwelle von 50 Punkten, ab der eine zunehmende Produktion für die kommenden Monate zu erwarten ist.

Die derzeitigen Kern-Belastungsfaktoren sind wie gehabt explodierende Energie- und Rohstoffpreise, steigende Zinsen, stockende Lieferketten und daher fehlende Vorprodukte sowie massiv steigende Lebenshaltungskosten, die den privaten Konsum ausbremsen.

Neu hinzu kam allerdings, die zunehmende Schwierigkeit der Unternehmen, die hohen Kosten an die Endverbraucher durchzureichen und dass der Zufluss an neuen Aufträgen ins Stocken gerät.

Für den weiteren Verlauf sind vor allem zwei Faktoren entscheidend:

  • Für Europa die Frage, ob die derzeit – offiziell wartungsbedingt – deutlich gedrosselten Gasliefermengen aus Russland zeitnah wieder angehoben werden oder möglicherweise ganz versiegen. Letzteres Szenario hätte unvermeidbar eine Rezession zur Folge, deren Dauer und Ausmaß derzeit kaum abgeschätzt werden kann. Denn sollte die höchste Stufe des „Notfallplans Gas“ der Bundesregierung ausgerufen werden und es zu Gasrationierungen für einzelne Industrieunternehmen kommen, würden über zusätzlich fehlende Vorprodukte ohnehin belastete Lieferketten unterbrochen werden und diverse weitere Unternehmen müssten ihre Produktion kürzen.
  • Für die USA die Frage, wie stark die bereits durch die Notenbank Fed erfolgten Leitzinsanhebungen die wirtschaftliche Dynamik und damit auch den Inflationsdruck abbremsen. Davon hängt ab, ob die Fed den Leitzins tatsächlich bis auf 3,50 oder 4,00 Prozent p.a. bis Jahresende anheben wird und ob die US-Volkswirtschaft im Winterhalbjahr in eine Rezession abrutschen könnte.

Ein Hoffnungsschimmer in China

In China hingegen deutet sich das konjunkturelle Licht zaghaft am Horizont an. Sowohl die jüngste Entscheidung der chinesischen Regierung, die Quarantänephase für Ankommende aus dem Ausland deutlich zu verkürzen, als auch die zunehmende Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, bspw. in Shanghai, lassen eine etwas gelockerte Umsetzung der nach wie vor maßgeblichen „NULL-COVID“-Strategie erkennen, die der Wirtschaft eine Erholung ermöglichen könnte.

Passend dazu legten die chinesischen Einkaufsmanagerindizes sowohl für die Industrie als auch für Dienstleister zuletzt deutlich zu und überschritten jeweils die Marke von 50 Punkten. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dürfte davon auch die weltweit stockende Containerabfertigung profitieren und wie schon einmal am Jahresanfang eine langsame Besserung der Lieferkettenprobleme starten, die wiederum auch der deutschen Industrie eine Produktionssteigerung ermöglichen würde.

Eine schwierige Situation für Anleger

Für Anleger bleibt die Situation nach einem historisch schlechten ersten Halbjahr an den internationalen Börsen damit vorerst sehr schwierig. Kurzfristig können aufgrund unberechenbarer politischer Entscheidungen, vor allem in Russland, massive weitere Belastungsfaktoren hinzukommen, die bestehende Abwärtstrends zunächst untermauern würden.

Die globale wirtschaftliche Abkühlung dürfte jedoch auch den nachfrageseitig vorhandenen Inflationsdruck dämpfen und weiteren starken Zinssteigerungen den Boden entziehen. Das wiederum würde Realzinsniveaus anhaltend tief halten, wodurch die Nachfrage nach realen Anlagen steigen sollte.

An den Aktienmärkten sind seit Mai positive Entwicklungen in China erkennbar, die sich mit einer Konkretisierung der anfänglichen wirtschaftlichen Erholung dort fortsetzen dürften.

Ein Kommentar von Carsten Mumm

Er ist Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Das Traditionshaus mit Sitz in Hamburg und München setzt auf qualifizierte und umfassende Beratung für vermögende Privatkunden, Unternehmer, Immobilienkunden und institutionelle Kunden.

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