Kurzfristige Anlegerrisiken könnten sich schneller als erwartet auflösen

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Derzeit bremsen die vielerorts massiven Hitzewellen, der Wassermangel und weitere Extremwetterereignisse die Wirtschaft zusätzlich.

So leidet der Nordwesten Chinas unter Überschwemmungen, während in anderen Landesteilen aufgrund der anhaltenden Dürre, die Nahrungsmittelpreise steigen und Energie, bspw. aus Wasserkraft, knapp wird. In Europa führen zu niedrige Pegelstände in vielen Flüssen zu erheblichen Behinderungen in der Flussschifffahrt – allen voran auf dem Rhein.

Neue Herausforderungen

Die erneut resultierenden Unterbrechungen von Lieferketten, v.a. für Schüttgüter wie bspw. Kohle, lassen die Industrieproduktion zusätzlich stocken und verschärfen den Energiepreisanstieg. In Frankreich muss zudem die Produktion von Kernkraftwerken gedrosselt werden, da die Einleitung von Kühlwasser begrenzt wurde, um eine zu starke Aufwärmung des verbliebenen Flusswassers zu verhindern.

Damit zeichnet sich für das laufende dritte Quartal eine weiterhin schwache globale Wachstumsdynamik ab. Angesichts steigender Neufallzahlen in China steigt auch die Sorge vor erneuten Corona-Restriktionen. Gleichzeitig werden allerdings fiskal- und geldpolitische Lockerungen zugelassen, um die Volkswirtschaft zu unterstützen. Zumindest nimmt auch die Abfertigung von Containerschiffen in Shanghai langsam wieder Fahrt auf und lässt auf eine zögerliche wirtschaftliche Belebung in den kommenden Monaten hoffen.

Rezession immer wahrscheinlicher

In Europa ist nach dem Ende der Tourismussaison, mit einem erneut schwächeren Wachstum zu rechnen. Neben negativen Auswirkungen stockender Lieferketten auf die Industrie belasten zunehmend stark steigende Lebenshaltungskosten auch den Konsum. Hinzu kommt die anhaltende Unsicherheit aufgrund des Ukrainekriegs und durch drohende Energierationierungen im Winter. Eine Rezession im Winterhalbjahr wird damit immer wahrscheinlicher.

Trotzdem wird erwartet, dass die EZB Anfang September die Leitzinsen um weitere 0,5 Prozentpunkte anheben wird, um der steigenden Inflation entgegenzuwirken. In den USA hingegen scheint die Spitze bereits überschritten zu sein, so dass die Fed einen Zinsschritt von 0,5 anstatt 0,75 Prozentpunkten ankündigen könnte. Trotzdem ist im Jahresverlauf von weiteren Leitzinsanhebungen auszugehen, so dass die US-Konjunktur vorerst weiter gebremst wird.

Sonderfall Großbritannien

Eine Sondersituation ist aktuell in Großbritannien gegeben. Während politisch nach dem angekündigten Abtritt Boris Johnsons und der noch nicht geregelten Nachfolge ein Machtvakuum herrscht, stiegen die Verbraucherpreise zuletzt um mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr an. Neben explodierenden Energiepreisen (insbesondere für Gas) sorgen auch eine ausgeprägte Knappheit an Arbeitskräften sowie ein fehlendes Güterangebot als Spätfolge des Brexit für deutlich steigende Preise.

Die Bank of England kündigte nach ihrer letzten Leitzinsanhebung auf 1,75 Prozent an, dass sie von einer lang anhaltenden Rezession in den kommenden Monaten ausgehe. Darauf entfachte Liz Truss, eine mögliche Nachfolgerin Johnsons als Vorsitzende der konservativen Partei, eine Diskussion über eine Eingrenzung der Unabhängigkeit der Notenbank. Die wirtschaftlichen Perspektiven dürften in Großbritannien damit vorerst unsicher bleiben.

Besserung ist in Sicht

Spätestens ab dem zweiten Quartal 2023 sollte die wirtschaftliche Dynamik global wieder zulegen – in den USA und in China voraussichtlich schon früher. Sich bessernde Lieferkettenprobleme, die Aussicht auf mögliche Zinssenkungen der Fed sowie eine nachlassende Energieknappheit in Europa gegen Ende des Winters sollten zumindest der Industrie erlauben, einen Teil des nach wie vor hohen Auftragsbestands abzubauen.

Anzunehmen ist, dass auch in anderen Regionen die Inflationsspitzen im Winterhalbjahr erreicht werden und weltweit einige Notenbanken einen weniger restriktiven Kurs umsetzen. Entsprechend würden sich auch die seit der Coronakrise gedämpften wirtschaftlichen Perspektiven vieler Schwellenländer wieder aufhellen.

Steigende Aktienkurse im Herbst?

Für Anleger bestehen damit kurzfristig weiterhin erhöhte Risiken. Allerdings können sich die derzeit bestehenden Problemfelder schneller als erwartet auflösen – so zum Beispiel durch fallende US-Inflationsraten, eine wirtschaftliche Belebung in China oder einen außergewöhnlich milden Winter in Europa und damit einer Relativierung der Energieknappheit.

Sollte sich ein globaler Aufschwung im Laufe des ersten Halbjahres 2023 abzeichnen, dürfte dieser an den Aktienmärkten früh eingepreist werden. Wir bleiben daher optimistisch mit Blick auf das Jahresende 2022 und erwarten ab Herbst wieder steigende Notierungen. Bis dahin sind kurzfristig niedrigere Notierungen bspw. durch Gewinnwarnungen von Unternehmen aufgrund sinkender Margen oder im Falle einer weiteren Drosselung russischer Gaslieferungen nach Europa nicht unwahrscheinlich.

Ein Kommentar von Carsten Mumm

Er ist Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Das Traditionshaus mit Sitz in Hamburg und München setzt auf qualifizierte und umfassende Beratung für vermögende Privatkunden, Unternehmer, Immobilienkunden und institutionelle Kunden.
www.donner-reuschel.de

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