Einige Gedanken zur Krise – sie ist näher als man denkt

Lange Zeit ging es mir, wie noch immer vielen anderen. Die Krise war zwar irgendwie da, aber so richtig wahrgenommen hat man sie dann doch nicht. Erst wenn es dann wirklich ans eigene Budget geht, kommt die Krise bei einem selber an. Da wird einem dann im Nu klar, dass das worüber man meist eher abstrakt geschrieben hat, doch näher an einem dran ist als man denkt. Klar, jeder kennt Geschichten von Leuten aus der Automobilindustrie, die schon seit einiger Zeit verstärkt auf Kurzarbeit sind. Aber irgendwie war das bislang weit weg. Im Zweifel trifft es nur die anderen. Aber wie die katastrophalen BIP-Zahlen heute ebenfalls eindrucksvoll zeigen: Die Einschläge kommen näher.

Das “neue” an dieser Krise ist, dass sie nicht von unten nach oben wächst, sondern sich eigentlich von oben nach unten durch die Gesellschaft frisst. Ein Arbeitsloser wird durch die Krise nicht ärmer, aber jemand der bspw. Aktien hat(te), blickt schockiert auf die Halbierung seines Vermögens. Und während sich vor Jahren die Krisen nur schrittweise durch die Bevölkerung und die Wirtschaft fortpflanzten, geht das ganze mittlerweile in Schallgeschwindigkeit. Neben der Finanzbranche (wie gesagt die INVEST war ein eindrucksvoller Indikator) und dem Riesensektor Automobilbaum, ist man inzwischen in so gut wie allen Branchen angekommen. In der Chemieindustrie bereitet sich Branchenführer BASF so langsam auf die ernsten Schritte vor. Selbst bei Software-Anbietern wie SAP ist die Welt nicht mehr rosarot. Die Logistikbranche ist sowieso durch den einbrechenden Welthandel am Boden. Und der Dominoeffekt setzt sich weiter fort. Heute schreibt das Handelsblatt von ernsthaften Problemen bei Airlines infolge ausbleibender Dienstreisen. Mehr und mehr Meetings werden nicht mehr persönlich geführt werden, sondern nur noch per Telefon- und Videokonferenz, mit all den damit verbundenen Nachteilen. Was die Airlines betrifft wird sich genauso auf die Hotelerie und die Gastronomie ausweiten. Und von dort in die nachgelagerten Dienstleister. Die Abwärtsspirale dreht sich so unaufhaltsam weiter.

Von den kommunalen Haushalten, in Städten wie bspw. Stuttgart oder Ludwigshafen, die durch einbrechende Gewerbesteuereinnahmen noch vor ganz andere (langfristigere) (Struktur-)Probleme gestellt werden, habe ich noch garnicht gesprochen. Wenn da heute die Erzieherinnen, aufgestachelt von verdi und GEW, die Kitas lahm legen und in dieser Situation mehr Geld rausschlagen (wollen), wird das nicht gerade für Begeisterung bei den Stadtkämmerern sorgen. Interessant wenn dann bspw. der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner von der SPD sagt: “Die Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen sind alles andere als unmenschlich.” Da setzen die Gewerkschaften derzeit einfach mal aufs falsche Pferd, meiner Meinung nach. Alleinerziehende Mütter werden sich in diesen Zeiten bedanken, wenn der Urlaub fürs Kinder hüten drauf geht. Interessant fand ich den Ansatz, denn heute morgen der Radiosender SWR3 durchzog. Da hatten die Radiomoderatoren ihre Kinder einfach mit ins Studio gebracht und ins Programm eingebaut – auf Dauer sicher keine Lösung.

Was bleibt am Ende zu sagen: Die Krise ist eben doch ernster und bedrohlicher, als ich zumindest immer gedacht habe. Mehr oder minder schlaue Sätze darüber zu schreiben ist eben doch was anderes.
Zum Schluss möchte ich noch auf einen nachdenklichen Beitrag von Ralf Dahrendorf in der Zeitschrift Merkur verweisen: Nach der Krise: Zurück zur protestantischen Ethik?. Darin schreibt er über die sich seit Jahren abzeichnende Krise rund um Konsumwahn und die Schuldenmacherei. Manchmal sehr bildhaft:

Wann begann dieser Weg? In den achtziger Jahren gab es jedenfalls schon Menschen, die für ein paar hundert Mark auf eine sechswöchige Weltreise gingen und deren tatsächliche Kosten noch abzahlten, als schon niemand von ihren Freunden und Bekannten die Dias mehr sehen wollte, die sie in Bangkok und Rio gemacht hatten.

Nach einer ausführlichen Analyse fordert Dahrendorf die Rückkehr

zu einer Ordnung, in der die Befriedigung von Bedürfnissen durch die nötige Wertschöpfung gedeckt ist. […] Nötig ist so etwas wie ein »verantwortlicher Kapitalismus«, wobei in dem Begriff der Verantwortung vor allem die Perspektive der mittleren Fristen, der neuen Zeit, steckt.

Damit werde ich mich jetzt ins Wochenende verabschieden… und obwohl ich Optimist bin, doch etwas nachdenklicher als sonst.