Wie mächtig ist die EZB an den Rentenmärkten: Ohnmächtig, allmächtig oder ohnmächtig allmächtig?

Bildquelle: Pressefoto Europäische Zentralbank

Seit Mitte 2012 war das Leben für Aktien und Anleihen in der Eurozone leicht, unbeschwert und krisenfrei. Denn es galt das Motto:„ Alle Staatsschuldenkrisen stehen still, wenn der starke Arm der EZB es will“. Ihre geldpolitischen Bizepse waren so stark, dass dagegen ein antieurozonaler Spekulant wie ein mangelernährter Spargeltarzan aussah. Mit der liquiditätsnährstoffreichen Kost der EZB sanken die Renditen von Anleihen, was deren Attraktivität und damit den Euro schwächte. Das insgesamt baute wiederum Aktien über Liquiditätshausse und Exportwachstum ähnlich auf wie Proteine die Muskeln. Ja, Mario Draghi war so etwas wie der Fitnesstrainer der Eurozone.

Doch seit Anfang April scheint der geldpolitischen Kraftmeierei die Puste auszugehen: Mit steigenden Renditen deutscher Staatsanleihen hat auch der Euro wieder zugelegt. Beides wirkte sich wie Muskelschwund auf Aktien aus. Und dabei kauft doch die EZB seit März brav Anleihen auf.

Die Angst vor dem Platzen der Anleiheblase

Die Gründe dafür sind in den strukturellen Befindlichkeiten an den Euro-Rentenmärkten zu suchen. Die Staatsverschuldung in der Eurozone ist in den letzten Jahren geradezu explodiert. Es fehlt also die bonitätsmäßige Rechtfertigung für ultraniedrige Renditen in Italien, Spanien, Portugal oder Frankreich. Diese Länder halten sich zudem mit Reformen vornehm zurück, die mit einer wirtschaftspolitischen Wende auch eine finanzpolitische Besserung nach sich zöge. Durch das planwirtschaftliche Eingreifen der EZB haben die Euro-Rentenmärkte ihre Funktion als marktwirtschaftliche Züchtigungsanstalt verloren, die früher Staaten, die der Schuldenmanie verfallen waren, mit Renditerisikoaufschlägen bestraften.

Vor diesem Hintergrund halten viele Marktteilnehmer den Renditeverfall bei europäischen Staatsanleihen für ausgereizt. Das gilt selbst für Euro-Vorzeigeland Deutschland, wo die Anleiherenditen seit über 30 Jahren im Trend fallen. Draghis eurozonaler Rettungskraftakt hat als „Kollateralschaden“ zu einer gewaltigen Rentenblase geführt. Und hier setzt die Angst der Anleihegläubiger an: Da die Anleiheblase sich nicht mit der fundamentalen Realität vereinbaren lässt, sondern von der Geldpolitik künstlich geschaffen wurde und damit empfindlich wie ein unter Überdruck stehender Luftballon ist, wird sie argwöhnisch begutachtet. Niemand will dabei sein, wenn die Blase platzt, denn dann platzen auch die dicken Buchgewinne, auf denen die Anleihegläubiger sitzen wie die Henne auf ihren dicken Eiern. Das erklärt ihre aktuell große Nervosität.

Die Anlegerangst vor den „spitzen Gegenständen“ in Reichweite der Anleiheblase

Aufgrund dieser Blasenplatzangst können selbst die liquidesten Anleihemärkte – wozu auch der deutsche gehört – trotz Überwässerung durch die EZB in Liquidität verdursten. So kann der Hochfrequenzhandel bei einer plötzlichen Marktirritation schnell aus einer Mücke einen Elefanten machen und einen panikartigen Herdentrieb auslösen.

Im Übrigen werden heutzutage Unmengen an sich wie Ungeziefer vermehrenden Staatsanleihen in großen, offenen Fonds verwaltet, die durch abrupte Änderungen ihrer Rentenstrategie große Preisverfälle auslösen können. Und nicht zuletzt sind heute die Banken nicht mehr wie früher die Gralshüter einer volatilitätsarmen Entwicklung an den Anleihemärkten. Während sie früher als große Händler noch massive Rentenbestände hielten, die die Marktliquidität von Anleihen förderte und Preisschwankungen milderte, werden Banken aktuell von den Regulierungsbehörden über höhere Kapitalkosten in ihren Handelsaktivitäten deutlich eingeschränkt.

Geldpolitische Worte zerstören, wo sie markttechnisch nicht hingehören

Einen Vorgeschmack, was dem Euro-Rentenmarkt passieren kann, wenn auch nur leicht am bisherigen Glaubensbekenntnis „Im Falle eines Falles rettet die Geldpolitik wirklich alles“ gerüttelt wird, hat die EZB selbst geliefert. Sie hat wohl vergessen, dass bereits kleine Verbalentgleisungen ihre Wirkung nicht verfehlen. Wenn die EZB mit Trommelwirbel vom Ende des Deflationsszenarios in der Eurozone spricht, lässt das die Gerüchte brodeln, dass die EZB früher als gedacht aus den Anleiheaufkäufen aussteigen könnte. Die aktuelle Preissteigerung in der Eurozone von 0,3 Prozent ist zwar per Definition keine Deflation mehr, aber grundsätzlich sind Inflationsängste so wenig angebracht wie die Angst vor dem Gespenst unter dem Bett. Einen besonderen Verbalausrutscher hat sich Mario Draghi selbst geleistet. Wenn er zuletzt davon sprach, ihn würden die starken Schwankungen an den Anleihemärkten nicht weiter stören und man müsse sich an Phasen mit höherer Volatilität gewöhnen, hat er Wind gesägt, der zu einem Sommersturm an den Euro-Rentenmärkten werden könnte. Der Ton der EZB macht die Musik an den Rentenmärkten.

Wenn Verbalerotik schon negative Konsequenzen hat, was kann dann erst passieren, wenn uns tatsächliche Überraschungen treffen? Was ist, wenn der Ölpreis oder die Inflation heftig ansteigen oder das Wachstum der Eurozone plötzlich in Gang kommt? Was ist, wenn die griechische Regierung sich weiter auf dem „Highway to Hell“ oder besser gesagt „Highway to Hell-as“ bewegt? Der Renten-Vulkan kann durch einen unerwarteten Schmetterlingsflügelschlag grundsätzlich zum Ausbruch gebracht werden.

Der Zwang zur geldpolitischen Happy Hour: Scheitert die EZB, scheitert Euroland!

Aus heutiger Sicht werden die eurozonalen und deutschen Anleihemärkte wohl keine neuen Tiefstände mehr erreichen. Doch müssten unsere bisherigen Rettungsengel der EZB mit der Muffe gepufft sein, wenn sie den aktuellen Mini-Crash am Rentenmarkt zu einer teuflischen Renditewende verkommen ließen, die dann auch den Euro exportschädlich weiter aufwertete. Sie würden ihre eigene Rettungsmission, die Rettung der Eurozone vor der Staatsschuldenkrise, nachträglich konterkarieren.

Das scharf ansteigende Anleiherisiko z.B. am deutschen Rentenmarkt – gemessen an der Quartals-Volatilität des Bund Future – wird sie nicht kalt lassen können. Sie kann den gezähmten Euro-Rentenmarkt nicht einfach wieder in die freie Wildbahn entlassen. Er würde von den Spekulanten zerfleischt wie eine im Zoo aufgewachsene Antilope von Löwen, die man plötzlich in der afrikanischen Savanne aussetzt.

Zunächst wird die EZB ihre Worte zukünftig vorsichtiger wählen. Und wenn nötig, wird sie eine ernsthafte Renditeerhöhungswelle am Anleihemarkt mit zusätzlicher Liquidität – auch nach dem geplanten Ende der Anleiheaufkäufe – im September 2016 niederschlagen.

Das kann man geldpolitische Allmacht nennen. Aber es ist in Wahrheit ohnmächtige Allmacht. Denn je länger die EZB zusätzliche Liquidität schafft, um Schuldenkrisen zu unterdrücken, desto mehr wird die Anleihe- und ebenso die Aktienblase aufgebläht und umso größer wird naturgemäß das Risiko ihres Platzens, d.h. das Risiko eines massiven Crashs. Ohnmächtig ist die EZB dazu gezwungen, die Blasen mit ihrer allmächtigen Geldpolitik zu erhalten. Das ist die gelebte Schizophrenie unserer Notenbank. Sie sitzt in der eigenen Falle, in einer Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit.

Die EZB muss mit aller Kraft die Halsschlagader der Anleihemärkte freihalten, ansonsten kommt es zum Schlaganfall der Eurozone. Immerhin, Renten und Aktien werden die ohnmächtige Allmacht der EZB zu schätzen wissen.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

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