Deutsche entdecken in der Krise die Aktie wieder – endlich!

Wer hätte das gedacht? Im Jahr 4 nach Lehman entdecken die Deutschen ihre Liebe zur Aktie wieder. Nicht dass es bereits beim Bäcker wieder Aktientipps gäbe – aber das Deutsche Aktieninstitut (DAI) brachte dieser Tage erfreuliche Zahlen zum ersten Halbjahr 2012. Demnach waren insgesamt 10,2 Millionen Deutsche direkt oder indirekt in Aktien investiert, was wiederum etwa 15,7 Prozent der Bevölkerung entspricht. Setzt sich am Ende Vernunft wirklich durch?

Mit einer Zunahme um 1,5 Millionen Anleger bzw. 17,1 Prozent fiel die Steigerung laut DAI überraschend deutlich aus. Denn eine noch stärkere Zunahme war nur im Ausnahmejahr 2000 mit damals 3,6 Millionen neuen Aktienanlegern bzw. einem Anstieg um 43,7 Prozent zu verzeichnen gewesen. Von den knapp 10,2 Millionen Aktienbesitzern sind 2,9 Millionen bzw. 4,5 Prozent der Bevölkerung reine Aktionäre, d.h. sie investieren ausschließlich direkt in Aktien. Weitere 5,3 Millionen Anleger halten nur Aktienfondsanteile. Dies entspricht 8,1 Prozent der Bevölkerung. Zudem halten weitere 2,0 Millionen Anleger bzw. 3,1 Prozent der Bevölkerung sowohl Aktien als auch Anteile an Aktienfonds. Gegenüber dem Höchststand im Jahr 2001 bedeutet die aktuelle Zahl einen Rückgang um rund 2,7 Millionen bzw. 21 Prozent. Gegenüber dem Jahr 1997 entspricht dies hingegen einem Zuwachs von 4,5 Millionen Anlegern (+81,2 Prozent). Damit hätte sich im Verlauf der vergangenen 15 Jahren tatsächlich etas in Sachen Aktienkultur getan.

Der Hauptfaktor dieser positiven Entwicklung ist offenbar der Wiederanstieg der Zahl der Belegschaftsaktionäre. Vor allem die Gruppe der Belegschaftsaktionäre, die zusätzlich andere Aktien besitzen, hat in den letzten Jahren offenbar überdurchschnittlich zugenommen: von 257.000 im zweiten Halbjahr 2010 um 332.000 auf 589.000 im ersten Halbjahr 2012 (+129,2 Prozent). Die Zahl der Aktionäre, die keine Belegschaftsaktien besitzen, nahm hingegen nur um 34,1 Prozent zu.

Quelle: Eigene Darstellung mit Daten des DAI

Wenn man sich diese Daten anschaut könnte man eigentlich in Optimismus verfallen – wären da nicht die vergangenen Jahre des Auf und Ab gewesen. Bereits vor anderthalb Jahren schrieb ich angesichts der schwachen Aktionärsentwicklung in meinem Loblied auf die Aktie:

Die Zahl über die rückläufige Aktionärsquote macht deutlich, wie wenig Ahnung die Deutschen insgesamt von Geldanlage haben. Das Sparbuch und Tagesgeld wird immer noch als sicheres Allheilmittel gesehen und das bei Zinsen unterhalb der Inflationsrate. Sicherheit geht vielen offenbar noch immer über Rendite. Alles in allem ist das Verhalten der Bürger einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt schon seltsam. Da beruft man sich auf die Soziale Marktwirtschaft und die Teilhabe der Menschen an der Wirtschaft. Man ist stolz auf die Erfolge der deutschen Konzerne und dennoch sind die meisten Unternehmensstars inzwischen in fremder Hand. Fremde Staatsfonds und „Heuschrecken“ aus Übersee verbreiten Angst und Schrecken und bei Übernahmeangeboten wie jüngst bei Hochtief ist der Aufschrei groß. Doch wenn keine deutschen Aktionäre mehr an Bord sind, braucht sich niemand zu wundern, dass die Bindungswirkung der Aktionäre aus dem Ausland gegen Null geht. Selbst Belegschaftsaktien finden nicht den Anklang. Da braucht dann auch kein Linker mehr mit der zwingend notwendigen Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital kommen…die wollen offenbar schlicht nicht. Dabei wäre für den Standort Deutschland eine wirkliche Aktienkultur ein Segen. Denn jeder Aktionär lernt auch als Unternehmer zu denken und kann sich so in manche Handlungsweise besser hineinversetzen. Seitens der Politik ist da aber sicher nur wenig Engagement zu erwarten. Die tut sich selbst schwer und sorgt zudem mit gut gemeinten Aktionen wie der Einführung der Abgeltungsteuer eher für den gegenteiligen Effekt.

Inzwischen scheint das Dauerzinstief, die Diskussion um Staats- und Bankpleiten und die Inflationsangst den ein oder anderen Anleger tatsächlich zum Nachdenken gebracht zu haben. Es wird offenbar nicht mehr blind jedes x-beliebige Bankprodukt gekauft, sondern nachgedacht! Chapeau! Beim DAI liest sich das dann nicht ganz so positiv:

Zunächst führt die anhaltende Unsicherheit in Folge der Staatsschuldenkrise im Euroraum zu Überlegungen, welche Anlageform im Fall einer Inflation die größte Sicherheit bietet. Die Aktie als Sachwert steht hier neben der Immobilie im Vordergrund. Zwar würden auch die Gewinne börsennotierter Unternehmen von negativen Währungsentwicklungen u.U. beeinträchtigt, aber grundsätzlich ist der Werterhalt bei Sachwertanlagen besser gewährleistet als bei Nominalanlagen in Einlagen, festverzinsliche Anlageformen oder Versicherungen. In einem inflationärem Umfeld gilt die Vorteilhaftigkeit der Aktie insbesondere in der langen Frist.
Darüber hinaus bietet die Aktie im aktuellen Kapitalmarktumfeld als praktisch einzige Anlageform die Aussicht auf eine attraktive laufende Ausschüttung. Während
die Zinsen für Termingeld oder Anleihen erstklassiger Schuldner nicht einmal die aktuelle Inflationsrate erreichen, haben allein die Unternehmen des DAX 30 im
Jahr 2012 Dividenden i.H.v. 27,8 Mrd. Euro ausgeschüttet. Bei einer Marktkapitalisierung von 689,3 Mrd. Euro (Stand: Ende Juli 2012) entspricht dies einer durchschnittlichen gewogenen Dividendenrendite von knapp über 4 %.
Trotz der erfreulichen aktuellen Entwicklung erscheint es allerdings verfrüht, von einer Stabilisierung der Aktienakzeptanz unter den deutschen Privatanlegern auszugehen.
Diese kann erst dann als erreicht gelten, wenn die Zahl der Aktienanleger auch in anderen Kapitalmarktphasen unverändert hoch bleibt bzw. weiter steigt.

Dann wollen wir mal hoffen, dass die Skepsis des DAI von den Deutschen nicht wieder eimal bestätigt wird – und dass kein Börsencrash das neue Vertrauen in die Aktie sofort wieder zerstört. Mit etwas Geduld könnte am Ende dann wirklich so etwas wie eine nachhaltige Aktienkultur in Deutschland entstehen. Mit allen Vorteilen für die heimischen Unternehmen und ihre dann wieder mehrheitlich heimischen Eigentümer.