Trotz einer Inflation an Krisen glänzt Gold noch weniger als eine blasse Weihnachtsbaumkugel

Bildquelle: © Niels Thies / Deutsche Bundesbank

Man sagt, der Hund sei der beste Freund des Menschen und Krise der beste Freund von Gold. Während ich als Hundefreund die erste Aussage sofort unterschreibe, muss man bei der zweiten mehr als skeptisch sein, obwohl es an Krisen wirklich nicht mangelt. Der Konflikt des Westens mit Russland ist immer noch vorhanden. Terror kommt als diffuse, abstrakte Gefahr hinzu. Leider kommt die Anti-IS-Allianz – obwohl dringend benötigt – noch kaum in die Gänge. Vor allen Dingen aber zeigt Europa sich völlig unfähig, das zugegebenermaßen große Flüchtlingsproblem gemeinsam zu bewältigen. Die EU-Familie ist sich so wenig einig, dass sie fremde Hilfe durch die Türkei in Anspruch nehmen muss. Was für ein erbärmliches Armutszeugnis!

Apropos erbärmlich, erbärmlich ist auch die Stabilitätsehre der Eurozone, die für alle Zeit verlorengegangen ist. Schon jetzt ist klar, dass Griechenland die im Sommer als Gegenleistung für Hilfsgelder auferlegten Reformbedingungen nicht erfüllen wird. Und genauso klar ist es, dass Hellas trotzdem weitere Unterstützung von Europa erhalten wird. Denn noch so eine Finanzkrise wie im 1. Halbjahr hält Europa nicht mehr aus. Man würde den Briten quasi mit dem Zaunpfahl deutlich machen, doch bitte für den Brexit zu stimmen. Und dann ginge die Anti-EU-Party erst richtig los. Die EU-Stabilitätspolitiker zeigen sich in schönen Sonntagsreden zwar immer wieder als brüllende Löwen. Am Ende jedoch landen sie regelmäßig als wohlige Bettvorleger im Schlafzimmer von Alexis Tsipras.

Und überhaupt, die Staatsverschuldung bleibt sich treu: Sie steigt weiter. Kein Wunder, denn wenn die Privatwirtschaft wegen der ausgeprägten wirtschaftspolitischen Reformunfähigkeit kastriert wird, muss eben die schuldenfinanzierte Staatswirtschaft den Ersatzliebhaber spielen. Leider übersieht man, dass die Leistungsfähigkeit eines staatlichen Liebhabers weniger ausdauernd ist, als die eines privatwirtschaftlichen.

Und was macht der Goldpreis? Er steigt dennoch nicht!

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann retten sie auch noch morgen die Welt mit Geld

Die drei größten Zentralbanken der Welt – Fed, EZB, Bank of Japan – betreiben mit Wollust die wundersame Geldvermehrung, um über künstlich gedrückte Staatsanleiherenditen Schuldenkrisen zu bekämpfen und Währungen zum Wohle der heimischen Exportwirtschaft abzuwerten. Aber auch andere Notenbanken wie die in China retten ihre Volkswirtschaften und Finanzmärkte mit billigem und viel Geld vor dem Super-Gau. Gegen den Pazifik „Geld“ ist „Gold“ nur ein Goldfischglas. Und aus dem Glas wird vermutlich der Fingerhut. Denn die EZB, die japanische Notenbank und auch die Zentralbanken aus den Schwellenländern machen sich auch zukünftig das Motto der Feuerwehr zu Eigen: Wasser marsch! Gold ist im Vergleich zu Geld ein immer knapperes, nicht beliebig vermehrbares Gut.

Und was macht der Goldpreis? Er steigt dennoch nicht!

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Wann gibt’s mal wieder richtig Zinsen? Nie mehr!

Die Anlegersuche nach attraktiven Zinsanlagen ähnelt der verzweifelten Suche von Eisbären nach den letzten Eisschollen. In puncto Zinsen war früher alles besser: Seit 1977 gab es in Deutschland im Durchschnitt 5,3 Prozent Rendite für Staatspapiere. Heute ist strikte Zins-Diät angesagt: Nur noch ca. 0,35 Prozent.

Zinsbesserung wird es in unserer „schönen“ neuen Finanzwelt nicht mehr geben. Da klaffen Wunsch und Wirklichkeit meilenweit auseinander. Unsere geldpolitischen Rettungsengel kämen sofort in die geschlossene Anstalt, wenn sie eine teuflische Renditewende zuließen. Damit zerstörten sie ihr eigenes Rettungswerk. Steigende Renditen sind mit Blick auf die Finanzierung der auf Neuverschuldung angewiesenen Staaten unbezahlbarer Luxus.

Im Extremfall kollabiert sogar die Finanzwelt über das Platzen der historisch größten Anlageblase aller Zeiten, die Anleiheblase. Grundsätzlich stellen die Schulden der Staaten, Kommunen oder Unternehmen Vermögen von Kapitalanlegern dar. Aufgrund des Renditeverfalls sitzen sie auf dicken und dicksten Buchgewinnen wie die Henne auf ihren Güteklasse A-Eiern. Käme es jetzt zu einer Renditewende im großen Stil – die nach über 30 Jahren Dauerhausse theoretisch mehr als überfällig wäre – schmölzen die Buchgewinne wie Eis im aktuell viel zu milden Dezember. Und dann verlassen zur Gewinnsicherung, sprich -realisierung alle „Ratten“ das sinkende Anleiheschiff. Dann explodieren die Renditen nach oben wie ein Höhenfeuerwerk an Silvester. Dass, was das Platzen der Dotcom- und Immobilienblase nicht geschafft hat, wäre dann definitiv der Fall: Der Zusammenbruch unseres Finanzsystems. Von daher werden die Notenbanken im vorauseilenden Gehorsam die Renditedrückung über ihre spätrömische Liquiditätsdekadenz konsequent fortsetzen. Selbst wenn es irgendwann wieder zu Preissteigerungen kommen sollte, muss niemand erwarten, dass die EZB diesen wie früher noch die Deutsche Bundesbank zu Leibe rückt. Nein, man wird sehr dankbar sein, dass eine Inflation oberhalb von Anleiherenditen Staatsschulden auffrisst. Spätestens dann wird Zinssparen zum Masochismus für Zinsanleger. Des einen Freud (Finanzminister) ist des anderen Leid (Anleger). Grundsätzlich haben Zinspapiere ihren früheren Zinsvorteil gegenüber Gold – das keine Zinsen zahlt – verloren.

Und was macht der Goldpreis? Er steigt dennoch nicht!

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Niemand braucht Angst vor der Leitzinspolitik von Frau Yellen zu haben!

Das Bild mickriger Zinsen ändert selbst eine US-Leitzinswende im Dezember nicht. Kein Anleger muss eine Zinserhöhungspolitik der Fed mit Schaum vor dem Mund wie zwischen 2004 und 2006 befürchten. Damals hatte man mit einem Anstieg von einem auf 5,25 Prozent nicht nur die ungeliebte Immobilienblase wie eine Schmeißfliege auf der Vase zerschlagen, sondern die Vase gleich mit: Die US- und Weltkonjunktur durchlebten einen dramatischen Polterabend.

Diesen erneuten Leitzinsschock darf und wird Fed-Chefin Yellen nicht begehen. Ansonsten kommt sie ins Heim. Den bereits ladegehemmten Schwellenländern will sie nicht auch noch eine Kapitalflucht in das zinsattraktive Amerika bei zusätzlicher Währungsaufwertungsperspektive zumuten. China & Co. würden nicht nur Investitionsgeld fehlen. Sie müssten auch noch mehr für den Zins- und Tilgungsdienst ihrer mehrheitlich auf US-Dollar-Basis aufgenommenen Staats- und Unternehmensschulden aufwenden. Überhaupt steht ein starker US-Dollar historisch für schwache Rohstoffpreise. Allein in diesem Jahr dürfte den Rohstoffländern Kaufkraft in Höhe von ca. zwei Billionen US-Dollar durch die Lappen gehen. Das tut schon jetzt der Welt- und US-Wirtschaft weh und würde noch mehr schmerzen, wenn der Dollar noch weiter aufwertet.

Insgesamt hat Frau Yellen keinen Grund für eine zinspolitische Wurzelbehandlung. Vor der US-Zinspolitik müssen Goldanleger ebenso wenig Angst haben wie vor einer sanftmütigen Zahnreinigung.

Und was macht der Goldpreis? Er steigt dennoch nicht!

Goldhändler lügen nicht

Die o.g. Argumente finden bei Käufern physischen Goldes tatsächliches Gehör. In den Schwellenländern bleibt Gold ein Demonstrationsinstrument von Wohlstand wie bei uns ein Auto der Premiumklasse. Ebenso berichtet der Goldhändler meines Vertrauens weiterhin von physischen Netto-Käufen bei Gold. Ohnehin ist mein Eindruck, dass so mancher offizielle „Goldhasser“ klammheimlich das schöne deutsche Volkslied „Gold und Silber lieb ich sehr“ als Evergreen auf den Lippen hat.

Und was macht der Goldpreis? Er steigt dennoch nicht!

Wer ist schuld am gedrückten Goldpreis?

Grundsätzlich verfügt keine andere Anlageklasse theoretisch über mehr Argumente für steigende Preise als Gold. Gold schreit geradezu nach deutlich höheren Preisen. Doch die Praxis sieht völlig anders aus. Gold krebst um 1.070 US-Dollar pro Unze herum und ist damit auf den niedrigsten Stand seit Anfang 2010 gefallen. Von seinem Hochstand im Jahr 2011 von 1.900 US-Dollar je Unze ist Gold unerreichbar entfernt.

Und warum? Da steht jemand mit beiden Füßen auf der Bremse. Und dieser „Jemand“ nennt sich Geldpolitik, die Notenbanken. Sie sind nicht nur perfekte Zinsdrücker, sie sind auch perfekt in der Disziplin „Goldpreisdrückung“. Das machen sie allerdings nicht selbst. Das überlassen sie „befreundeten“ Geschäftsbanken, die jedoch mit viel Zentralbankgeld den Goldpreis über die Terminmärkte im Trend seit Ende 2011 in Moll-Stimmung versetzen. Casanova in Form der hochpotenten Notenbanken hat erfolgreich zugeschlagen.

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Aus Sicht der Notenbanken macht die „Einflussnahme“ sehr viel Sinn. Denn die Rettung des Weltfinanzsystems wird mit „Geld“ betrieben. Da kann man eine Konkurrenzwährung „Gold“ nicht gebrauchen, die die Wirkung der geldpolitischen Rettungsmission ähnlich einschränken würde wie Schlaftabletten die Stimmung auf der Weihnachtsfeier. Ein massiv ansteigender Goldpreis könnte mit Unterstützung der Boulevardpresse Gold im Rahmen einer Tauschwirtschaft hoffähig machen. Dann würde das Fremdgehen mit Gold die nachhaltige Rettung des Finanzsystems vereiteln. Du Anleger sollst keine fremden Götter (Gold) neben mir (Geld) haben. Casanova wird alles dafür tun, nicht als schüchterner Wallach zu enden.

Daher wird Gold auch 2016 keine massive Kursbefestigung wie zwischen 2008 bis 2012 erleben können, obwohl sie fundamental zu 100.000 Prozent berechtigt wäre: Das bisherige Kurshoch von 1.900 US-Dollar je Unze im Jahr 2011 müsste eigentlich dramatisch übertroffen werden. Doch die geldpolitische Allmacht will das nicht.

Auch 2016 keine nennenswerte Goldpreissteigerung! Na und!

Mich grämt die mangelnde Dynamik des Goldpreises dennoch nicht. Physisches Gold war, ist und bleibt eine grundsätzlich solide Vermögensversicherung gegen finanz- und geopolitische Risiken. Denn für das süße Gift der reformverweigernden Schuldenfrönerei mit geldpolitischem Segen und das politische Hauen und Stechen in Europa werden wir irgendwann die Rechnung präsentiert bekommen.

Denn Müßiggang hatte in der Finanzwelt noch nie langfristigen Erfolg: Noch nie wurden die großen Staatsschulden der Vergangenheit zurückgezahlt. Staatspapiere waren am Ende immer wieder tatsächlich nur Papier. Diese Regel wird auch in unserer heutigen Finanzwelt nicht gebrochen. Gold dagegen hat alle Krisen überlebt und ist unschätzbar in puncto Werterhaltungsfunktion: Im alten Rom bekam man für eine Goldunze eine ordentliche Toga und heute einen guten Maßanzug.

Bei Gold zählt vor allem der langfristige Besitz, nicht die kurzfristige Rendite

Wenn wir also in der Eurozone so weiter machen, werden wir noch dankbar sein, neben Aktien und Immobilien auch das Sachkapital Gold zu besitzen. Gold ist eine harte Währung, eine Versicherung, die nicht ausfällt, schon gar nicht im systemischen Schadensfall. Die halbe Sau beim Metzger, den Sack Äpfel oder Birnen beim Obstbauern oder 100 Eier beim Hühnerhof wird man gegen Gold dann immer noch bekommen. Versuchen Sie das am Tag X mit Ihrem Geld. Sie werden nach Hause geschickt. Doch einen Wert hat Geld dann immer noch: Brennwert.

Mario Draghi macht den Euro-Goldpreis munter

Interessanterweise ist der EZB-Chef ein unfreiwilliger Goldtreiber, ein Goldjunge für uns Euro-Goldanleger. Da der Goldpreis in US-Dollar notiert, kommt uns Marios Politik der unverhohlenen Euro-Drückung zugute. Vor allem seit Juli 2014 hält sich „Euro-Gold“ deutlich stabiler als „US-Gold“. Danke, Mario!

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Gold in welcher Form?

Neben physischem Gold zur Absicherung von längerfristigen Systemrisiken kann man auch auf den kurzfristigen Preis von Gold spekulieren. Hierzu bietet die Finanzindustrie viele sinnvolle Produkte an, die die Wertentwicklung des Goldes 1 zu 1 nachbilden oder hebeln oder absichern, ohne die für physische Produkte höheren Aufschläge auf den Kaufpreis bezahlen zu müssen. Vor diesem Hintergrund haben diese Produkte sogar einen Vorteil gegenüber Goldminenaktien. Denn bei diesen kommen die typischen Risiken einer Aktie hinzu. Arbeitet z.B. das Unternehmensmanagement vernünftig? Betreibt es eine vernünftige Förderpolitik? Zu welchen Goldpreisen hat es sich abgesichert? Gibt es standortpolitische Handicaps wie z.B. Streiks oder politische Unruhen?

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Liebe Anlegerinnen und Anleger, bleiben sie Gold treu!

Überhaupt, wenn sich im Mainstream alle so sicher sind, dass Gold bald deutlich weniger als 1.000 US-Dollar je Unze kosten wird, haben wir es mit einem klassischen Kontraindikator zu tun. War es nicht auch 2011 eine quasi todsichere Wette, dass der Goldpreis mühelos 2.000 US-Dollar überspringt und danach weiter auf 3.000, 4.000 und 5.000 US-Dollar steigt? Das Gegenteil ist passiert.

Übrigens, warum kaufen die Notenbanken zu den von ihnen selbst subventionierten Preisen eigentlich immer noch so viel Gold? Liegt es etwa daran, dass sie einen noch tieferen Einblick in die real existierenden Probleme unserer Finanzwelt haben? Sie werden wissen warum!

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Laben wir Otto-Normal-Anleger uns doch auch an den günstigen Goldpreisen. Was den Notenbanken recht ist, sollte uns billig sein.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Bildquelle: Baader Bank / Pressefoto Deutsche Bundesbank