Die Angst vor dem letzten Akt – EZB kann Börsen nur kurz beflügeln

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Was für ein Handelstag! Gestern gab es dank einer Entscheidung der Europäischen Zentralbank für die Finanzmärkte das volle Programm und die Nerven der Anleger wurden bis aufs Äußerste strapaziert. Um nur zwei Zahlen zu nennen: 14:35 Uhr DAX 9.996 Punkte – 17:30 Uhr Börsenschluss DAX 9.498 Punkte – 500 Punkte Minus in drei Stunden. Was war passiert?

Dieser geldpolitische Akt …
EZB-Präsident Draghi schaffte gleich zwei Mal, die Märkte zu überraschen. Zuerst mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen zur Lockerung der Geldpolitik: Leitzins auf Null, Strafzins weiter rauf, Anleiheprogramm erhöht und auf Unternehmensanleihen ausgeweitet. Eine geldpolitische Bazooka also! Soweit so gut und die Aktienmärkte haussierten.

… könnte der letzte gewesen sein!
Wenn da nicht die zweite Überraschung gewesen wäre. Die Äußerung Draghis, dass erst einmal keine weiteren Maßnahmen geplant sind, löste bei den liquiditätsverwöhnten Investoren akute Entzugserscheinungen aus. Zwar ließ er sich die Tür offen, indem er erklärte, dass bei einer Veränderung der Datenlage weitere Maßnahmen möglich sind. Aber in Kombination mit einer stark zurückgenommenen und pessimistischen Prognose von nur 0,1 Prozent Inflation interpretierte die Börse das Paket als die womöglich letzte Patrone der EZB. Die lockere Geldpolitik in der Eurozone könnte auf ihrem Hoch angekommen sein. Denn betrachtet man die Stabilisierung an den Rohstoff- und Energiemärkten und das Anziehen der Inflation in Großbritannien, den USA und zuletzt China, ist durchaus vorstellbar, dass die konservative Inflationsprognose übertroffen wird. Dann wären folglich dem gestrigen Statement keine weiteren Maßnahmen nötig.

Wall Street hat weiter die Nase vorn
Da aber an den Börsen die Zukunft gehandelt wird, in der womöglich geldpolitisch alles Pulver verschossen ist, wertete der Euro entsprechend auf. Da selbst das gestrige überraschend große Paket nicht ausreichte, den Euro nachhaltig zu schwächen, dürfte dieser nun tendenziell wieder fester werden. Der Wall Street, die Europas Börsen in den vergangenen Monaten schon abgehangen hat, würde dies weiterhin einen Vorteil gegenüber dem DAX verschaffen. Die US-Notenbank ist nun im klaren Vorteil, den US-Dollar weiter gegen den Euro zu schwächen. Während die EZB mit ihren Maßnahmen am Anschlag ist, hat die Fed viel Spielraum: Sie kann weitere Zinsanhebungen verschieben, die Zinsen sogar senken oder ein erneutes QE-Programm auflegen.

Der „warme Entzug“ hat begonnen
Die gestrige Reaktion der Märkte kann aber langfristig auch einen positiven Effekt haben. Es zeigt sich zwar, dass die EZB an ihre Grenzen stößt, was die Beeinflussung der Finanzmärkte angeht. Ihre Maßnahmen wurden und werden aber ohnehin zunehmend angezweifelt. Damit könnte nun der Prozess einer Abnabelung der Börsen von den Notenbanken eingeleitet werden. Bei den Investoren würde dann ein Entwöhnungsprozess von den Liquiditätsspritzen beginnen. Wahrscheinlich hätte der Aktienmarkt gestern eine ähnliche Reaktion gezeigt, wenn die geldpolitischen Stimuli ausgeblieben wären. Trotzdem hätte sich die Erdkugel weitergedreht und die wirtschaftlichen Prognosen und Unternehmensaussichten hätten sich auch kaum verändert. Nur die Munition der EZB wäre im Lager geblieben.

Andreas PaciorekEin Beitrag von Andreas Paciorek

Er ist Market Analyst Germany & Austria bei CMC Markets, Frankfurt.
Davor arbeitete er bei der Bank of Tokyo Mitsubishi in Frankfurt sowie bei der Varengold Bank. Paciorek hat ein Diplom der Universität Bonn im Bereich Regionalwissenschaften Japan mit Schwerpunkt Wirtschaft.

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