Im Gegensatz zu 2015 wird die griechische Schuldenkrise 2016 im politischen Schweinsgalopp gelöst

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Bei der Quadratur des Kreises geht es um die mathematisch nicht lösbare Aufgabe, aus einem Kreis ein Quadrat mit demselben Flächeninhalt zu konstruieren. Eigentlich entspricht auch die Lösung der griechischen Schuldenfrage einer Quadratur des Kreises. Die Staatsschulden sind viel zu hoch und sie werden auch nicht abgetragen, sondern wachsen wie Pilze nach einem Regenguss. Schuld daran ist eine wachstumsschwache Volkswirtschaft, die wiederum Folge einer Reformunwilligkeit in Athen ist, die an Faultiere erinnert. Pech für Griechenland, dass sich die internationalen Investoren die weltweit besten Standorte wie Walnüsse aus dem griechischen Joghurt picken können. Auf Griechenland hat niemand gewartet.

Und so zeigt die globale Industriewelt Griechenland tatsächlich ihre hässliche Fratze: Wo keine Unternehmensinvestitionen, da kein Arbeitsplatzaufbau, da kein Konsum, da keine Steuereinnahmen und da auch keine Schuldenzurückzahlung. Griechenland ist eben kein Muskelprotz der griechischen Antike, sondern ein wirtschaftlicher Asket, der die Schuldenlast in Höhe von 177 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht tragen kann.

Seit mindestens 2010 ist die griechische Schuldenkrise ungelöst. Jedes Jahr kommt sie daher regelmäßig ungefähr zur Spargelzeit auf den Tisch. Neben dem IWF weiß natürlich auch die deutsche Regierung – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – dass die staatlichen Kredite an Griechenland nicht nur in Seenot geraten, sondern längst in der Ägäis abgesoffen sind. Selbst Zeus gemeinsam mit den Helden Hercules, Odysseus und Tsipras hätten allergrößte Schwierigkeiten, das Schuldenproblem zu lösen.

In der Stunde der Wahrheit heißt es lügen, lügen, lügen

Um die Illusion der griechischen Schuldentragfähigkeit dennoch aufrechtzuerhalten, um ein politisches Alibi für die Auszahlung der nächsten Kreditzahlung zu haben, braucht man einen faulen Schuldenkompromiss. Und so lassen die geldgebenden Institutionen IWF, EU und EZB – von bösen Zungen auch Trio Infernale genannt – ordentlich die stabilitätspolitischen Weihrauchschwenker pendeln und versetzen die Finanzmärkte in einen Rausch: Griechenland muss hochheilig geloben, bis 2018 mit weiteren Spar- und Reformbeschlüssen vom Saulus zum Paulus zu werden. Die griechischen Sparversprechungen haben seit 2010 zwar alles andere als olympische Qualitäten gezeigt. Aber dabei sein ist offensichtlich alles: Es reicht schon der finanzpolitisch gute Wille in Athen, um über ein säkularisiertes Hartz IV-Prinzip – Fördern und nicht Fordern – an weiteres Kreditgeld zu kommen.

Damit haben die Geldgeber wieder einmal politische Zeit gewonnen, in der man den Wählern das Märchen von der griechischen Stabilität erzählen kann. So erwartet man 2018 für den griechischen Staatshaushalt aufgrund der „kolossalen“ Sparbemühungen Athens einen positiven Primärsaldo, einen Primärüberschuss von plus 3,5 Prozent nach minus 3,4 Prozent 2015. Das klingt doch großartig, zumal Deutschland im Vergleich nur einen Überschuss von 2,1 vorweisen konnte. Ein Wunder der griechischen Mythologie scheint wahr geworden zu sein.
kw 19 - Primärsalden EurozoneAber schauen wir bitte nicht auf die hübsche Verpackung, sondern auf den Inhalt. Die Berechnung des Primärsaldos erfolgt folgendermaßen: Staatsausgaben minus Staatseinnahmen und „minus Zinszahlungen“. Minus Zinszahlungen? Tut mir leid, Zinszahlungen auf Staatsschulden gehören nun einmal zu einem ordentlichen Staatshaushalt dazu. Die kann man nicht unter den Tisch fallen lassen. Sonst könnte auch ein finanziell angeschlagenes Unternehmen im Rahmen der Berichtsaison sagen, vor Kosten sehen wir gut aus.

Frei nach Pipi Langstrumpf: Wir machen uns die Finanz-Welt wie sie uns gefällt
Aber selbst dann sind 3,5 Prozent Primärüberschuss für Griechenland nicht realistisch. Ich glaube, da hat man noch mehr Dopingmittel verabreicht. Und in der Tat, bei der griechisch-unorthodoxen Berechnung des Primärüberschusses werden nicht nur die Zinszahlungen auf die Schulden, sondern auch die staatlichen Einmalausgaben in Abzug gebracht. Aber es ist für keinen Finanzminister schwierig, regelmäßige Auszahlungen buchhalterisch zu außerordentlichen Einmalauszahlungen zu deklarieren. Das machen Unternehmen in ihren Bilanzen zwar auch so, aber es gibt zwei Unterschiede: Auszahlungen gelten erstens nur dann als einmalig, wenn sie tatsächlich außerordentlich sind, mit dem regelmäßigen Geschäftszweck also nichts zu tun haben. Und zweitens werden diese Bilanzpositionen von unabhängigen Wirtschaftsprüfern strikt überprüft. Und wer überprüft die Finanzpolitik? Richtig, die Finanzpolitik. Und wo kein Richter, da kein Henker.

Und siehe da, mit dieser kreativen Buchführung hat Griechenland 2015 aus einem Primärdefizit einen -überschuss von 0,7 Prozent erwirtschaftet.

Und wenn einem so viel stabilitätspolitisch Gutes in Athen wird beschert, das ist doch auch einen griechischen Schuldenschnitt wert. Bislang stellte sich Berlin einem Schuldenschnitt zwar wie der Koloss von Rhodos entgegen. Doch zeigt sich der IWF unversöhnlich. Allerdings wird es keinen klassischen Schuldenschnitt – in Fachkreisen Haircut genannt – geben. Denn die deutsche Regierung will den deutschen Wählern keinen Verlust in Höhe von ca.  70 Mrd. Euro Steuergeld zumuten. Vielmehr geht es um die „Optimierung des griechischen Schuldenmanagements“: Die Rückzahlung griechischer Schulden soll gemäß dem Motto „Nach uns Politikern die Sintflut“ in die Zukunft verschoben werden. Zurückgezahlt werden sie dann zwar auch nicht, aber zumindest muss man das heute politisch noch nicht zugeben.

Der EU ist das geopolitische Hemd näher als der stabilitätspolitische Rock

Diese aufgehübschten griechischen Staatsfinanzen verjagen nicht zuletzt das Schreckgespenst des Grexit. Eine Austrittsdebatte wie 2015 käme jetzt auch zur völligen Unzeit. Er wäre EU-wehrkraftzersetzend und Wasser auf die Mühlen britischer EU-Austrittsanhänger. Und nach Grexit gepaart mit Brexit wäre der Notausgang aus der EU wohl kaum mehr zu schließen.

Übrigens hat Griechenland noch ein As im Ärmel. Bei der Lösung der Flüchtlingskrise kommt diesem EU-Außenfrontstaat  eine wichtige Rolle zu, vor allem dann, wenn der Flüchtlingsdeal mit der Türkei wegen „atmosphärischer Befindlichkeiten“ platzen sollte. Dann würden einige griechische Inseln zu großen Aufnahmezentren von Flüchtlingen.

Finanzmathematisch betrachtet ist die griechische Schuldenfrage weiterhin eine Quadratur des Kreises. Denn das normale, ehrliche Staatsdefizit Griechenlands 2015 von 7,2 Prozent entblößt die schreckliche Realität. Aber politisch bekommt man das problemlos hin: Was nicht passt, wird eben passend gemacht.

Leider bringt die realitätsverweigernde Stabilitätslüge Griechenland und seinen Bürgern überhaupt nichts. Ein ordentlicher wirtschaftlicher Neustart, der Nägel mit Köpfen macht, wird verhindert: Ohne Grexit, Währungsabwertung und Schuldenerlass wird Hellas nie auf einen grünen Oliven-Zweig kommen.

Und die europäischen Finanzmärkte? Sie sind seit Jahren an griechisches Stabilitäts-Elend gewöhnt. Erinnern Sie sich noch an die schmerzvoll langatmige Schuldendebatte im letzten Jahr, einen möglichen EU-Austritt und vor allem an den griechischen Finanzminister Varoufakis als Hans Dampf in allen Gassen? Die Renditen griechischer Staatsanleihen sind damals explodiert.

Im Gegensatz dazu erfreuen sich die Anleger heute an der Turbo-Einigung in der griechischen Schuldenfrage. Im Vergleich zu 2015 sind griechische Anleiherenditen heute Waisenkinder. Hedgefonds sollen bereits gut investiert sein. Kein Wunder, bei IWF, EU und EZB sitzt Griechenland so „sicher“ wie in Abrahams Schoß.
kw 19 - 10J Renditen EurozoneZumindest vorerst müssen sich die Anleger nicht mit einer erneuten Euro-Wehrkraft zersetzenden Schuldenkrise auseinandersetzten. Es lebe der politische Zeitgewinn!

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

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