Einige Gedanken zum Wettbewerb „Finance Blog of the Year 2010“ und zur deutschen Wirtschaftsblogger-Szene

Vorne weg: Ich freue mich sehr, dass Die Börsenblogger es in die finale Runde des Wettbewerbs „Finance Blog of the Year 2010“ geschafft haben. Allerdings haben mich die Erlebnisse und Ereignisse der letzten Tage sowie einige Gespräche mit anderen Bloggern doch etwas nachdenklich gestimmt. Dieser Post soll einige Gedanken zum Wettbewerb an sich und zur gesamten Wirtschaftsblogger-Szene ordnen. Kritik und Bemerkungen sind unbedingt gewünscht.

Die „Manöverkritik“ und die Reaktion

Anfangen möchte ich mit der Manöverkritik von Lothar Lochmaier. Er hat in bemerkenswerter Deutlichkeit (Social Banking 2.0 ist selbst im Finale) die Probleme aus seiner Sicht geschildert. Konkret ging es ihm um die kaum ersichtlichen Qualitäts- und Auswahlkriterien, merkwürdige Verquickungen zwischen einem Jury-Mitglied und der Nominierung seines Blogs sowie um die technischen Defizite beim Abstimmungsverfahren. Erfreulicherweise hat smava sehr rasch reagiert und im Beitrag Nachfragen zum Finance Blog of the Year Stellung bezogen.

Als Kriterien wurden die Punkte Idee, Originalität, Inhalt, Textqualität, Struktur, Aktualität und Gestaltung genannt. Eine Gewichtung wurde offenbar nicht vorgeben, die Jury wurde aber nochmals befragt, was für sie wichtig war:

Als wichtigstes Kriterium hat sich der Inhalt herausgestellt, wobei insbesondere die Aktualität, die Einzigartigkeit und die persönliche Note von Bedeutung waren. Interessanterweise wurde das Design eher als reiner Hygienefaktor eingestuft (umso mehr, da viele der Leser ihren Content mittlerweile über RSS-Feeds beziehen).

Erfreulicherweise will man dies im nächsten Jahr anders handhaben und eine kleinere, aber eindeutigere Kriterienliste verwenden, die dann auch transparent einsehbar ist. Ich bin gespannt. Ich denke jeder Blogger ist dankbar über ein bisschen ernsthaftes Feedback.

In Bezug auf die Nominierung des Bankingblogs, dessen Betreiber auch in der Jury sitzt, wurde Seitens smava zurückgerudert und das Blog aus der Wertung genommen.

Hier sehen wir den Kritikpunkt, dass ein Blog von einem Jurymitglied (Bankingblog) nicht Bestandteil der Finalisten sein sollte. Deshalb haben wir darauf reagiert und den Blog aus der Endausscheidung herausgenommen. Dieser Sachverhalt ist im nächsten Jahr von vorneherein ausgeschlossen.

Ich muss gestehen, dass mir der Interessenkonflikt aufgrund der vielen Blogs zunächst garnicht aufgefallen ist, aber das kann ja kein Argument sein. Wer in einer Jury sitzt, darf nicht hinterher auf dem Ergebniszettel stehen – ich dachte das wäre mittlerweile Konsens in diesem Land, anscheinend nicht überall. Ein schönes Konzept für die Zukunft mit Berücksichtigung der Eigenheiten der verschiedenen Blogs hat übrigens ebenfalls Lothar Lochmaier in einem anderen Post schon skizziert.

Nun kommt der letzte und meines Erachtens heftigste Kritikpunkt. Die technische Umsetzung der Abstimmung und deren Manipulationsanfälligkeit. Ich will jetzt nicht auf die technischen Details eingehen. Aber derzeit (Donnerstagabend) führt „Die Börsenfrau“ mit 266 Stimmen. Und das bei einem Blog, der laut Bloggerei nur durchschnittliche 47 Visits am Tag hat? Hut ab, wenn man seine Leser schon so schnell zum Abstimmen bewegen kann. Smava wiederum hat die Probleme so kommentiert:

Es ist richtig, dass es mit viel Energie Möglichkeiten zur Manipulation unserer Abstimmung gibt. Dennoch lässt sich diese Herausforderung bei nahezu allen Online-Abstimmungen beobachten. Wenn jemand gute Alternativen kennt, die einfach eingebunden werden können und die Möglichkeiten zur Manipulation ausschließen, nutzen wir diese bei zukünftig durchgeführten Abstimmungen gerne.

Zum Thema „viel Energie“: Das löschen eines Cookies ist für smava schon viel Energie?

Die Sache mit der Publikumswirksamkeit

Nun ja. Mit der genannten Manipulationsanfälligkeit könnte ich problemlos leben, wenn wenigstens die Gesamtzahl der Stimmen sehr groß wäre. Manipulationen würden sich dann gegenseitig marginalisieren. Allerdings sind bislang nur 960 Stimmen abgegeben worden. Erstaunlicherweise gibt es auch Blogs die noch kaum oder überhaupt keine Stimmen erhalten haben. Weiß dort etwa niemand Bescheid? Oder wird der Wettbewerb dort boykottiert? Gerade beim Herdentrieb der Zeit [Der Link auf der Abstimmungsseite ist übrigens defekt] ist das ja schon erstaunlich. Aber wenn man nicht regelmäßig den smava-blog liest oder den Feed abonniert hat, wüßte man jetzt noch nichts von seinem Finalglück. Im Gegensatz zur Nominierung erhielten wir zumindest keine „Hey, du bist im Finale“-Mail. Wie sieht es bei den anderen Finalisten aus?

Ein anderer Punkt: Es gibt viele Blogs, gerade kleinere, die freuen sich wie Bolle und rühren im Rahmen ihrer Mittel die Werbetrommel. Auch sonst wurde der Wettbewerb in der Wirtschaftsblogger-Szene recht gut verbreitet. Aber sonst? Ein breiteres Publikum wurde bislang nicht erreicht – zumindest spürt man davon nicht. Von einem Unternehmen wie smava könnte man doch zumindest erwarten, dass es eine Pressemitteilung zum Wettbewerb verfasst und veröffentlicht. Man will ja schließlich was davon haben, oder ist die Pressemitteilung erst nach Bekanntgabe des Siegers geplant? Nicht dass noch Nicht-Blogger von der Aktion Wind bekommen. Tut mir leid, wenn das jetzt polemisch klingt. Aber ein bisschen professionelle PR könnte man doch schon bei so einem Wettbewerb erwarten. Zumal die meisten Blogger immer wieder verdammt viel Mühe und Enthusiasmus in ihre Arbeit investieren.

Die Sache mit den Wirtschaftsbloggern

Eigentlich könnte ich diesen Beitrag jetzt ebenfalls so beenden, wie Andreas Buschmeier von All about Banking:

Natürlich ist dieser Wettbewerb für das Unternehmen smava ein gutes und günstiges PR-Instrument. Das bedeutet auch nicht, dass die Idee zu dem Wettbewerb eine schlechte ist. Einige gute Blogs habe ich erst durch den Wettbewerb entdeckt. Und eine verbesserte Vernetzung der Autoren ist sicher zu begrüßen (in diesem Sinne möchte ich auf meine Blogroll hinweisen).

Aber der letzte Satz sollte doch etwas Beachtung finden: Die verbesserte Vernetzung der Wirtschaftsblogs. Durch die Aktion fand nämlich in der Tat eine Verbesserung statt. Ich habe in den letzten Tagen viele Blogs neu kennengelernt, den Feed abonniert und in die Blogroll aufgenommen. Wenn dies auch bei anderen Blogautoren der Fall war, hat der Wettbewerb schon viel erreicht.

Aber um jetzt mal auf die von Dirk Elsner im Beitrag Gedanken zur Wirtschaftsblogszene in Deutschland angemahnte „mangelnde Wahrnehmung“ der deutschen Wirtschaftsblogs zu kommen: Die gibt es auch meiner Ansicht nach. Und das leider völlig ohne Grund. Die deutsche Bloggerszene wird da draussen in der Welt meist auf die Themen Medien und Hobby-Aktivitäten reduziert. Aber da es in den USA ja schon längst anders ist, habe ich große Hoffnung, dass es auch hier besser wird. Die Maßnahme vom Handelsblatt per Twingly auf relevante Blogbeiträge zu verweisen oder die Berücksichtung von Blogs bei Finanzen100.de zeigt, dass wir auch bei den etablierten Medien allmählich auf den Schirm kommen.

Aber es gibt noch viel zu tun. Top-Beiträge sollten vielleicht künftig auch auf einem gemeinsamen Portal veröffentlicht werden (können). Das Bloggerforum Wirtschaft kann hier ein guter Ausgangspunkt sein. Auch via Gastbeiträgen in größeren Blogs kann man viel für die Vernetzung tun. Auch sind vielleicht gemeinsame Diskussionen und Debatten (in der Form vielleicht der guten alten Blogparade?) oder zumindest regelmäßiges Bezug aufeinander nehmen ein guter Weg. Wichtig ist: Wir sollten authentisch bleiben. Wenn jeder mit Herzblut über seine Steckenpferde schreibt, ist in der Szene schon verdammt viel Potential in allen Bereichen enthalten. Zudem kann man gerade im Wirtschaftsbereich sehr viel und schnell voneinander lernen. Also kann es nur bergauf gehen. Packen wir es an!

Nachtrag vom Freitag:

smava hat reagiert und die Abstimmungen mit derselben IP gelöscht. Danke für das rasche Handeln!