Anlegerjahr 2019: Mehr Chance oder doch das volle Risiko?

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Das Jahr 2018 war gekennzeichnet von einer grundsätzlich widerstandsfähigen Weltkonjunktur. Im Jahresverlauf zeichneten sich jedoch erkennbar Ermüdungserscheinungen in den Sentiment-Indices, aber auch zunehmend in den harten Fundamentaldaten ab. Hintergrund waren und sind die geopolitischen und handelspolitischen Problemherde ausgehend von den USA als auch die selbst auferlegten Probleme Europas bezüglich des Brexit und der Politikausrichtung Italiens. In den aktuellen Prognosen für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft dominiert Optimismus.

Laut IWF soll die Weltwirtschaft 2019 ebenso wie 2017 und 2018 um 3,7 Prozent zulegen. Damit würden die höchsten Wachstumsraten seit 2011 in der Weltwirtschaft fortgeschrieben, hinsichtlich der erhöhten jeweiligen Basis sogar mit höherer realwirtschaftlicher Nachfrageausweitung im Jahresvergleich. Diese Prognosen unterstellen implizit eine Tendenz, die per 2019 entweder Lösungen oder aber mindestens Stabilität voraussetzen. Eine Eskalation der Konflikte ist definitiv nicht berücksichtigt.

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Der Brexit. Diese unterstellte Tendenz hin zu Problemlösungen ist meines Erachtens bezüglich des Brexit möglich. Der Weg für einen geordneten Rückzug des UK aus der EU scheint zumindest zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels grundsätzlich geebnet zu sein. Dennoch bleiben auch hier Restrisiken für einen ungeordneten Rückzug des UK, aber auch andererseits für ein neues Referendum.

Aber selbst ein ungeregelter Brexit wäre nicht geeignet, das globale Wachstumsbild dauerhaft zu beschädigen. Die kurzfristigen Transaktionskosten wären fraglos für einen absolut überschaubaren Teil der Weltwirtschaft hoch, aber die Unternehmen bereiten sich mittlerweile in angemessener Form darauf vor und das Thema ist mehrfach an den Märkten diskontiert. Die Folge wäre auf mittlere und lange Sicht für Kontinentaleuropas Wirtschaftsstruktur hinsichtlich des Kapitalstocks sogar förderlicher als der geregelte Brexit, da die Verlagerung von Produktionsstätten aus dem UK nach Kontinentaleuropa deutlich aggressiver ausfallen würde. Das UK stünde vor einer strukturellen Schwäche erheblichen Ausmaßes.

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Causa Italia. Auch das Thema Italien wird mit hoher Wahrscheinlichkeit beordnet. Weder die italienische Zentralbank, die Unternehmerverbände oder die Gewerkschaften Italiens unterstützen die neue Regierung in der nicht haltbaren Haushaltspolitik, die am Ende doch nur eine Fortsetzung der fehlerhaften konsumtiven Politik der letzten 60 Jahre darstellte, die die aktuell prekäre öffentliche Haushaltslage zur Folge hatte und hat. Kurzfristig mag weiter Eskalation seitens Roms gespielt werden.

Mit jedem Tag der Eskalation wird die Position Roms jedoch kritischer, da nicht nur die internationale Politik, sondern auch die Märkte ein unmissverständliches Votum abgeben. Am Ende kommt es mit Brüssel zu einem Kompromiss oder diese Regierung scheitert wie Berlusconi 2011 mit der Folge einer Technokratenregierung unter Monti, da die aktuelle Regierung in Rom nicht ansatzweise erwägt, den Währungsraum, der Italien massiv schützte und schützt, zu verlassen.

USA vs. China. Kritischer ist die Auseinandersetzung zwischen den USA und China zu bewerten. Geht es den USA um einen Handelsdeal oder geht es darum, China nachhaltig zu beschädigen, um den hegemonialen Status der USA in die nächste Runde zu retten?
Wenn es nur um einen Handelsdeal geht, ist Zuversicht angebracht, denn die Kosten der Zollpolitik fallen primär in den USA an. Wenden wir uns dem „Worst Case“ Szenario zu.

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Bei 25 Prozent Zoll auf 500 Mrd. US-Dollar Importvolumen aus China läge der Kostenblock für US-Unternehmen und US-Verbraucher bei 125 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Aus diesem Grund gibt es seitens der US-Unternehmerverbände einen starken Widerstand gegen diese Politik der US-Administration, denn die „Terms of Trade“ des US-Standorts werden einerseits durch die Zollkosten, aber auch die mit der Eskalation einhergehenden Aufwertung des US-Dollar belastet. Das unterminiert internationale Konkurrenzfähigkeit und minimiert den Anreiz, in den USA zu investieren. Anders ausgedrückt steht diese Politik dem Ziel, das erreicht werden soll, nämlich Investitionen in den USA, diametral entgegen. Es ist faktisch eine Politik gegen amerikanische Unternehmen und Verbraucher.

Vor diesem Hintergrund diente und dient die kurzfristige US-Eskalation analog zu den Fällen Mexiko und Kanada dazu, für die USA bessere Handelsbedingungen zu erzwingen. Das war bisher erfolgreich, da die USA in bilateralen Beziehungen gegen kleine Länder ihre ökonomische Macht ausspielen konnten. Bei China stellt sich aber ein Größenproblem ein. So haben die USA einen Anteil an der Weltwirtschaft von circa 15 Prozent, während China es auf circa 19 Prozent bringt (Basis KKP). Der absehbare Handelskompromiss dürfte mit China nicht so einseitig zu Gunsten der USA ausfallen wie der mit Mexiko und Kanada.

Amerikas „Handelsdeals“. Diese US-Politik inkludiert jedoch weitere Risiken losgelöst davon, ob es zu „Handelsdeals“ kommt oder nicht. Der US-Ansatz, Verträge bei Nichtgefallen zu ignorieren, anerkannte Strukturen des internationalen Organigramms nach eigenem Gusto in Frage zu stellen und zu unterminieren, wirkt auf eine zweite „Währung“, die an keinen Börsen gehandelt wird. Es ist das Vertrauen, das für nachhaltige Investitionen auf globaler Ebene erforderlich ist. Dieser Aspekt ist im aktuellen Diskurs, der von hitzigen Schlagzeilen geprägt ist, weitgehend unberücksichtigt. Er wirkt jedoch. So baut BMW den iX3 in China, Honda und Volvo verlagern Produktion aus den USA heraus.

Sollte die Eskalation gegenüber China aus strategischen Gründen zwecks Erhaltung der US-Hegemonie unbestimmt fortgesetzt und verschärft werden, ergäbe sich ein drastisch kritischeres Szenario, da dieser Konflikt dann nicht nur über bilaterale Handelsrestriktionen ausgetragen würde. In diesem im Basisszenario nicht berücksichtigtem Fall, wären die Bremsspuren in der Weltwirtschaft markant erhöht. Dieses Risiko lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt auf 20 Prozent veranschlagen.

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Die Weltwirtschaft. Wenn es um Prognose geht, gibt es eine quantitative Sichtweise, die meist im Vordergrund steht. Die qualitative Analyse wird weitgehend ausgeblendet, obwohl sie bezüglich der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit der Konjunkturlagen von hoher Bedeutung ist. Die aufstrebenden Länder unter Führung Chinas stehen heute für 70 Prozent der Weltwirtschaft.

Sie stellen 88 Prozent der Weltbevölkerung und kontrollieren circa 70 Prozent der Weltdevisenreserven. Sie, nicht mehr die USA, sind der Taktgeber der globalen Konjunkturlage. Sie wachsen pro Jahr in einer Bandbreite zwischen 4 und 5,5 Prozent. Der IWF unterstellt per 2019 ein Wachstum von 4,7 Prozent. Dieses Wachstum ist wesentlich getragen von dem Strukturprojekt „One Belt – One Road“, zu dem auch die Seidenstraße gehört. Anders ausgedrückt ist die Kerngröße des Wachstums struktureller und investiver Natur. Wir unterstellen für diesen Sektor 2019 eine Zunahme des BIP um 4,5 Prozent. Damit ergibt sich nur aus diesen 70 Prozent ein Wachstum in Höhe von 3,15 Prozent.

Der Aufschwung in den USA ist seit der Lehman-Krise maßgeblich von Kredit getrieben. Dieser Kreditzyklus ist reif. Die Steuerreform Trumps hat für die Jahre 2018 und den ersten Teil des Jahres 2019 noch einmal einen Wachstumsschub geliefert. Dieses Wachstum ist jedoch bezüglich der Qualität schwach. Für 2019 unterstellt der IWF eine Expansion des US-BIP um 2,5 Prozent bei einer öffentlichen Neuverschuldung in Höhe von 5 Prozent des BIP. Hier wird deutlich, dass selbsttragende Elemente in dem US-Konjunkturzyklus unausgeprägt sind. Mehr noch wurde und wird das Wachstum forciert durch hohe Konsumverschuldung, die seit der Lehman-Pleite nominal um gut 45 Prozent zugenommen hat und von Monat zu Monat neue historische Höchstmarken markiert.

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Zinserhöhungen. Auch die Unternehmensverschuldung reüssiert derzeit bei noch nie zuvor gesehenen Verschuldungsmarken. Hinsichtlich des Zinserhöhungszyklus der Federal Reserve und auslaufender Steuererleichterungen für US-Verbraucher ist spätestens in der zweiten Hälfte 2019 mit einer konjunkturellen Entschleunigung der US-Wirtschaft zu rechnen. Vor diesem Hintergrund erwarte ich nur noch zwei Zinsanhebungen der US-Notenbank bis Ende 2019. Mehr noch dürfte im zweiten Halbjahr das Thema US-Zinssenkung hoffähig werden. Dieses Szenario impliziert wohlwollend einen maximalen Wachstumsclip in Höhe von 2 Prozent des BIP. Bei einem Anteil von 15 Prozent an der Weltwirtschaft lieferten die USA damit eine Kontribution in Höhe von 0,3 Prozent.

Trotz der Brexit-Problematik und der Herausforderungen, die mit Italiens Haushaltspolitik einhergehen steht weiteres Wachstum für die Eurozone und Deutschland auf der Agenda. Im Gegensatz zu den USA basiert die wirtschaftliche Expansion in Kontinentaleuropa maßgeblich auf wiederkehrenden Einkommen. Der Kreditzyklus ist im privatwirtschaftlichen Sektor bestenfalls als „pubertär“ einzuwerten. Die öffentlichen Haushaltsdefizite der Eurozone sollen sich per 2019 laut Prognose des IWF (Fiscal Monitor) auf lediglich 0,5 Prozent des BIP belaufen. Hier wird der Unterschied bezüglich selbsttragender Effekte zu den USA deutlich. Damit ist die Qualität dieser Expansion in Kontinentaleuropa ausgeprägt. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Brexit und des Haushaltsstreits mit Rom, die den Konjunkturzyklus fraglos belasten, ist eine Entschleunigung der Dynamik in diesem Jahr augenfällig, die sich auch 2019 fortsetzen sollte. Dennoch wird das Wachstum der Eurozone und Deutschlands weiter oberhalb des Potentialwachstumspfades fortschreiten, der bei circa 1,2 Prozent angesiedelt ist. Realistisch ist eine Expansion in der Größenordnung von 1,5 Prozent. Damit läge der Wachstumsbeitrag der Eurozone für die Weltwirtschaft bei 0,15 Prozent.

FAZIT. Entsprechend dieser Annahmen ergibt sich für das kommende Jahr 2019 eine Wachstumsperspektive in der Größenordnung von 3,6 Prozent für die Weltwirtschaft. Damit einher gehen einmal mehr profunde Skaleneffekte für die Unternehmen. Die aktuelle Diskontierung dieser kommenden Skaleneffekte darf hinsichtlich der derzeitigen Bewertungen der Kurs- Gewinnverhältnisse an den europäischen Börsen als auch im Sektor der aufstrebenden Länder als konservativ klassifiziert werden. Das nicht zu ignorierende Risiko geo- und handelspolitischer Natur, das bei 20 Prozent angesiedelt ist, wird hier überproportional abgebildet. Vor dem Hintergrund drängt sich ob der aktuellen Bewertungsniveaus der Begriff Chance auf.


Ein Beitrag von Folker Hellmeyer

Folker Hellmeyer hat am Finanzmarkt ursprünglich als Devisenhändler begonnen. Für die Deutsche Bank und Helaba war er in Hamburg, London und Frankfurt tätig. Von 2002 bis 2017 war Hellmeyer Chefanalyst der Bremer Landesbank. Heute arbeitet er als Chefanalyst für die Fondsboutique Solvecon Invest.

www.solvecon-invest.de

 

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