Ausblick 2020: Kommt die Beruhigung im politischen Sektor?

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Das Börsenjahr 2019 ist passé. Wir geben in den kommenden Tagen in der Reihe „Ausblick 2020“ marktEINBLICKE zu den Faktoren, die das Anlegerjahr 2020 mitbeherrschen sollten. Dazu haben wir uns wieder kompetente Verstärkung ins Haus geholt und verschiedene Börsen-Experten gebeten, einen Ausblick zu wagen. Ihre Einschätzungen werden wir zum Jahreswechsel an dieser Stelle veröffentlichen. Heute ist Folker Hellmeyer an der Reihe.

Im Verlauf des Jahres 2019 wurden die Prognosen für das Welt-BIP von circa 3,6% auf 3,0% reduziert. Hintergrund dieser Reduktionen der Prognosen im Jahresverlauf war die Eskalation des Handelskriegs zwischen den USA und China durch die USA. Aber auch der schwelende Handelskonflikt der USA mit der EU stellte hintergründig eine Hypothek für die Stimmungslagen in der Realwirtschaft und an den Finanzmärkten dar. Das Brexit-Drama verlor im Jahresverlauf Stück für Stück an Bedrohungspotential.

In der Tat hätte selbst ein unregulierter Brexit nur sehr geringfügige Schäden für die Weltwirtschaft in quantitativer Sichtweise zur Folge. Daneben belasteten und belasten Protestbewegungen in weiten Teilen der Welt. Zusätzlich erschweren regionale Konflikte, wie der zwischen Iran und Saudi-Arabien oder Indien und Pakistan. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass exogene politische Einflüsse das endogen starke Wirtschaftsumfeld im Jahresverlauf unterminierten.

Erst in Richtung des vierten Quartals 2019 ergaben sich Hoffnungswerte auf Ansätze zu Lösungen in den Primärkonflikten USA/China und USA/EU. Insgesamt mäanderte der Wachstumspfad 2019 zu Jahresbeginn ausgehend von einem leicht überproportionalen in einen unterproportionalen Modus im historischen Kontext. Hinsichtlich der zu Jahresbeginn nicht erwarteten Eskalationen durch die US-Regierung darf der Weltwirtschaft eine hohe Widerstandskraft attestiert werden.

Die anderen holen auf. Diese Widerstandskraft, die quantitativ messbar ist, hat qualitative Hintergründe. In den aufstrebenden Ländern, die per Ende 2019 circa 65% der Weltwirtschaft (Basis Kaufkraftparität) und 88% der Weltbevölkerung als auch circa 70% der Weltdevisenreserven stellen, wuchsen in den letzten 10 Jahren die Dienstleistungssektoren. Damit wurden endogene Wirtschaftssektoren in diesen Ländern stärker. Das ist ein sukzessiver Abkoppelungsprozess von westlicher Wirtschaftsdominanz.

Auch nahm der Intrahandel unter den aufstrebenden Ländern immer weiter zu. Damit ergab sich eine bemerkenswerte Emanzipation in diesen Ländern von der Dominanz des westlichen Konjunkturzyklus.

Zusätzlich unterstreichen einerseits der Aufbau von Devisenreserven und andererseits die partielle Abkehr vom US-Dollar in bilateralen Handelsbeziehungen den bemerkenswerten Weg der Emanzipation dieser Länder.

Aktuell steht die größte Freihandelsregion der Welt (bisher EU) kurz vor der Vollendung. China verkündete am 4. November 2019 den Durchbruch der Verhandlungen für eine asiatische Handelszone. Demnach werden China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und weitere 10 südostasiatische Staaten diesem Handelsbund angehören. Indien könne sich jederzeit anschließen.

Daneben sind eigene Institutionen für die aufstrebenden Länder geschaffen worden. Als Ergänzung oder perspektivisch Ersatz des IWF die New Development Bank, als Arrondierung oder perspektivisch Ersatz der Weltbank die Asian Infrastructure and Investment Bank (AIIB) als auch alternative Zahlungssysteme zu SWIFT, wie das chinesische CIPS.  Diese institutionelle Emanzipation der aufstrebenden Länder war erforderlich, da der so genannte Westen die supranationalen Institutionen wie IWF, Weltbank und SWIFT insbesondere für US-geopolitische Interessen missbrauchte, um gegen einzelne aufstrebende Länder vorzugehen.

Belt and Road Initiative. Mehr noch wird mit der Belt and Road Initiative (BRI) ein einmaliger Ansatz in der Strukturpolitik der aufstrebenden Länder umgesetzt, der dazu führt, dass die Wirtschaftsräume zukunftsfähig werden, denn ohne Infrastruktur gibt es eben keine Entwicklung. Mit dieser Infrastrukturpolitik emanzipieren sich die aufstrebenden Länder weiter von dem Westen sowohl zyklisch als auch politisch. Der Westen hat das in Breite und Tiefe 70 Jahre lang versäumt – wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben.

Diese hier genannten Aspekte sind von höchster Bedeutung für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft. Nicht der Westen gibt die Taktung der Weltwirtschaft vor, sondern der Westen empfängt den Takt von dem Sektor der aufstrebenden Länder, allen voran dem euroasiatischen Raum. Stellte der Westen 1990 bei dem Fall des Kommunismus noch 80% der Weltwirtschaft, so sind es Ende 2019 gerade noch einmal 35% (Basis Kaufkraftparität). Die 65% der aufstrebenden Länder wachsen mit mindestens 4% mehr als doppelt so stark wie der Westen. Führende Länder aus diesem Sektor sind mittlerweile technologisch in vielen Bereichen ebenbürtig mit dem Westen. Dort, wo man ihnen Zugang zu westlichen Märkten und Produkten verweigert, nehmen die Maßnahmen zu, sich in diesen Sektoren durch Investitionen, Forschung und Entwicklung vom Westen unabhängig zu machen.

In den aktuellen Prognosen für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft dominiert Optimismus. Laut IWF soll die Weltwirtschaft 2020 um 3,4% nach 3,0% per 2019 zulegen. Dieser Optimismus ist gerechtfertigt, wenn weitgehend rationales Verhalten der politischen Akteure insbesondere in den USA das Gesamtbild bestimmte.

Fakt ist, dass die Folgen der US-Geo- und Handelspolitik die USA-Wirtschaft erreichen. Auch dort ist der industrielle Sektor ablesbar an dem ISM-Einkaufsmanagerindex im Herbst in eine Phase der Kontraktion eingetreten. Mehr noch sind kaum selbsttragende Kräfte der US-Wirtschaft ausmachbar. Für circa 2% US-Wachstum des BIP ist 2019 laut IWF-Prognose ein öffentliches Haushaltsdefizit in Höhe von 5,6% des US-BIP erforderlich (Eurozone 0,9% des BIP für 1,2% Wachstum).

Präsidentenwahljahr… Donald Trump will 2020 wiedergewählt werden. Er benötigt dafür eine möglichst gute Konjunkturlage. Ergo steht eine Nivellierung des Handelskonflikts mit China mit hoher Wahrscheinlichkeit von mindestens 80% an. Das Thema des Handelskonflikts seitens der USA mit der EU wird voraussichtlich Richtung 2021 aufgeschoben bei vielen freundlichen Worten, die doch nur Verbalakrobatik darstellen. Eine partielle Entspannung bei den Verspannungsthemen per 2019 setzte erhöhte Wachstumskräfte in Richtung 3,4% des Welt-BIP frei.

Dabei sollte Kontinentaleuropa ein erheblicher Nutznießer einer Entspannung sein. Die seit 2. Quartal 2018 zunehmende Risikoaversion hat maßgeblich den Investitionsgütersektor belastet. Investitionen wurden aufgeschoben. Das trifft maßgeblich Kontinentaleuropa, das in diesem Sektor stark aufgestellt ist. Die Investitionszurückhaltung hält mittlerweile mehr als 18 Monate an. Ersatz- und Neuinvestitionen lassen sich nicht ewig verschieben (Verschleiß, Kostendruck, Innovation). Die Wahrscheinlichkeit, dass der Investitionsgütersektor spätestens ab 2. Halbjahr 2020 global positive Akzente setzen wird, ist hoch.

FAZIT. Von der Zinsseite droht kein Gegenwind. In den aufstrebenden Ländern steht in einer Gesamtbetrachtung ein leicht verringertes Zinsniveau an (u.a. Russland). In den USA werden mehr Zinssenkungen erforderlich sein, da der Kreditzyklus überreif ist. Das gilt nicht nur für den öffentlichen Haushalt, sondern auch für Verbraucherschulden und Unternehmensschulden, die sich von einem Rekordniveau zum Nächsten hangeln. Europas Munitionstaschen in Zins- und Gelpolitik sind vergleichsweise leer. Eine Zinswende der EZB steht 2020 nicht auf der Agenda.

Die Wahrscheinlichkeit unserer nachfolgenden BIP-Prognose per 2020 liegt bei 80%. Das Restrisiko von 20% hat nichts mit endogenem Schwächepotential der Weltwirtschaft zu tun, sondern ist Ausdruck von geo- und handelspolitischen Unwägbarkeiten, die maßgeblich von den USA ausgehen.

BIP Prognosen SOLVECON INVEST GmbH.


Ein Beitrag von Folker Hellmeyer

Er hat am Finanzmarkt ursprünglich als Devisenhändler begonnen. Für Deutsche Bank und Helaba war er in Hamburg, London und Frankfurt tätig. Von 2002 bis 2017 war Hellmeyer Chefanalyst der Bremer Landesbank. Heute ist er als Chefanalyst der Fondsboutique Solvecon Invest.
www.solvecon-invest.de

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