Bei der Rettung der europäischen Finanzwelt ist nichts heilig, auch keine Stabilitätsregeln

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Es war einmal der Europäische Stabilitätspakt. Heutzutage ist aus ihm längst die Romanische Schuldenunion geworden, die als „alternativlos“ gilt, um das politische Europa zu erhalten.

Immerhin, mit der kürzlich eingeführten europäischen Bankenrichtlinie schien wieder etwas Stabilitäts-Mark in die instabile Wirbelsäule der Währungsunion zu kommen. Der Staat, d.h. seine braven Steuerzahler, sollten nicht mehr für Verluste und den Eigenkapitalschwund der Banken bluten wie nach dem Platzen der Immobilienblase 2008. Statt „Bail Out“ also „Bail In“: Die Eigentümer und Gläubiger der Banken haben gefälligst kostenpflichtig selbst Meister Proper bei der Bereinigung der Bilanzen zu spielen.

Natürlich haben die sehr geschätzten Damen und Herren Euro-Politiker gehofft, dieses neue Regelwerk nicht anwenden zu müssen. Man verließ sich auf die EZB: Als Vollkaskoversicherung sollte alle Banken-, Schulden- und Finanzprobleme regulieren.

Und schuld daran ist nur die EZB?

Doch ausgerechnet ihre barmherzig zinsgünstige Geldpolitik entpuppte sich für Banken immer mehr zum Fluch der guten Tat. Durch die umfassende Zinslosigkeit, die auch vor Negativ- bzw. Strafzinsen nicht zurückschreckt, ist es den Banken kaum noch möglich, durch das frühere „Brot- und Butter-Geschäft“ der Zinsmarge – Geld günstig kurzfristig bei der EZB oder in Form von Spareinlagen aufnehmen und längerfristig zu höheren Renditen ausleihen – etwas zu verdienen. De facto hat die EZB die Banken befallen wie Würmer den Apfel.

Im Zinsgeschäft können Banken eigentlich nur noch an der Kreditmarge verdienen. Doch leider werden ab 2017 die früher noch zu höheren Zinsen vergebenen Kredite zunehmend auslaufen und durch zinsärmere verlängert. Die wurmstichigen Ertragsverhältnisse der Banken werden sich also verschärfen.

Hinzu kommen wirtschaftlich nicht immer fehlerfrei bis drei zählende Politiker, die mit übertriebenen Eigenkapitalvorschriften das Kreditgeschäft Bleiwesten-artig erschweren. Wie soll denn ein ordentlicher Konjunkturaufschwung passieren, wenn die EZB einerseits zwar Gas gibt, die Politik jedoch andererseits mit beiden Beinen auf der Bremse steht? Übrigens, ein schleppendes Wirtschaftswachstum in Euroland heißt auch schlechtere Kreditportfolios und steigende Ausfallrisiken.

Und wo bitteschön sollen jetzt ausreichende Bankgewinne herkommen, um ausreichend Risikovorsorge zu betreiben? Insgesamt stehen die Kreditinstitute auf wackeligen Beinen. Schon der kleinste konjunkturelle Sturm kann sie wegpusten und eine noch radikalere Flucht aus Bankaktien und -anleihen auslösen. Aktuell sind Eigenkapitalauffrischungen über den Kapitalmarkt angesichts der allgemeinen Anlegerverunsicherung auch nach dem Brexit-Referendum und mit Blick auf die erbärmlich schwachen Aktienkurse der Banken illusionär.

Gegenüber der Bankenkrise in Italien war die Finanzkrise in Griechenland ein Picknick

Der IWF stellt der italienischen Bankenwelt ein verheerendes Zeugnis aus und betont sogar, dass Italien das größte Risiko für Europa darstellt. Dramatischer hätte es auch ein Regisseur für Katastrophenfilme nicht formulieren können. Kein Wunder, wird das Land doch vom Trio Infernale heimgesucht: Schuldenkrise, Wirtschaftskrise, Polit-Krise. Die Wirtschaftsleistung Italiens ist heute nicht wirklich höher als vor 15 Jahren. Gewachsen ist im gleichen Zeitraum jedoch die Staatsverschuldung von etwa 108 auf ca. 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese volkswirtschaftliche Misere zeigt sich in Not leidenden Bankenkrediten von 350 Milliarden Euro. Das sind fast 20 Prozent des gesamten Kreditbestandes. Leider hat es die italienische Lässigkeit versäumt, den Kreditstall frühzeitig auszumisten. Lieber haben die Banken schöne Dividenden gezahlt.

Doch auch in anderen Euro-Ländern besteht kein Anlass für hämische Genugtuung. Die gesamte Bankenbranche sitzt auf ungefähr zwei Tausend Milliarden faulen Kredit-Eiern. Hoffentlich werden sie niemals ausgebrütet.

Sich an Regeln zu halten, richtet mehr Schaden an, als sie zu brechen

Und jetzt müssten in Italien gemäß neuer EU-Bankenrichtlinie die italienischen Gläubiger von Bankanleihen und Spareinlagen für die Bankenschieflagen haften. Ganze Einlagenberge gingen den Bach – besser gesagt Tiber und Po – herunter. Insgesamt würden weit über 30 Mrd. Euro an Spargeldern absaufen.

Wie würde das wohl beim italienischen Sparer ankommen? Um zu retten, was zu retten ist, würden sie die Banken stürmen wie hungrige Gäste das Büffet. Bank Runs würden zu zahlreichen Bankrotten führen. Und wenn es italienischen Banken schlecht geht, wie gut kann es dann noch den mit ihnen verbandelten anderen europäischen Banken gehen. Zur Erinnerung, die Bankenbranche ist die globalste aller Branchen. Erinnern Sie sich noch an die Pleite der Lehman-Bank in den USA, eine Bank, die übrigens weder das Einlagen- noch das Kredit- noch das Zahlungsverkehrsgeschäft betrieb. Wenn diese kleine Kleckerbank schon für große internationale Ansteckungsgefahr sorgte, welches Schadenspotenzial muss dann erst die Pleite einer großen europäischen Voll-Bank entfalten?

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Die Banken in Italien stehen unter besonderer Beobachtung

Und was für „Freuanfälle“ würde dann wohl die in Europa geplante, vergemeinschaftete EU-Einlagensicherung auslösen, bei der auch die deutschen Sparguthaben von zwei Billionen als Sicherheit verwertet würden? Die Anlegerstimmung in Europa wäre wohl ähnlich gut wie bei Fröschen, denen man die Sümpfe trockengelegt hat. Schon jetzt befindet sich Europa in der größten politischen Existenzkrise seit seiner Gründung. Kein Euro-(Geld-)Politiker wird weiteres Öl in das bereits lodernde Feuer der europäischen Verunsicherung gießen.

Wer in Europa eine neue Bankenkrise zulässt, muss mit der Muffe gepufft sein

Da muss also wieder eine typisch europäische Notlüge her, diesmal eine große. Italien will die Kapitalausstattung seiner Banken mit staatlicher Hilfe aufstocken, damit endlich der alte Kredit-Dreck abgeschrieben und in die ewigen finanzpolitischen Jagdgründe überführt werden kann. Aber ist das nicht laut Bankregeln verboten? Ja, aber Not kennt kein Gebot. Europa ist das (sozial-)politische Hemd näher als der regelkonforme Rock.

Erst versprochen, dann gebrochen. Keine Regel ohne Ausnahme. Pragmatismus, dein Name ist Eurozone. Die europäischen Gesetze sind Gummiparagraphen, man kann sie mühelos in die gewünschte Richtung interpretieren. Rund kann auch eckig sein, weiß auch schwarz und Fünfe kann man auch mal gerade sein lassen. Ich bitte Sie, wer will sich da sklavisch an Regeln halten? Dass teuer bezahlte Rechtsanwälte die neuen Regeln der Bankenunion eigentlich für den Mülleimer geschrieben haben, ist doch nur von sekundärer Bedeutung. Sind wir doch bitte nicht so pingelig. Es geht doch um ein höheres Ziel, eine gute Sache, die Rettung europäischer Banken. Und da Italien als großes Land systemrelevant ist, geht es schließlich auch um die Rettung der Eurozone.

So wird der italienische Banken-Patient die sehr frühe erste Ausnahme von den noch jungen Bankenregeln sein. Und wie steht die EZB als oberste Bankenaufseherin dazu? Sie wird doch dem Glück der Eurozone und seinen Banken nicht im Wege stehen wollen. Damit der italienische Staat die Rekapitalisierung seiner Kreditinstitute schafft, könnte die EZB noch mehr italienische Staatsanleihen aufkaufen. Dass würde nicht zuletzt die italienischen Renditen noch weiter senken. Insgesamt hätte Bella Italia also weder ein Absatz- noch ein Zinsproblem. Alternativ bzw. gleichzeitig könnte die EZB das Abschreibungs- bzw. Eigenkapitalproblem auch pragmatisch lösen. Sie könnte ihr Aufkaufprogramm auf Bankanleihen ausweiten. Und dann ist man doch auch nicht mehr so weit davon entfernt, Not leidende Kredite italienischer Banken in verbriefter Form aufzukaufen. So hat es die Finanzindustrie schon einmal bis 2008 gemacht. Die anschließend passierten schlimmen Folgen blenden wir einfach mal aus. Man will doch keine Spaßbremse sein.

Ein Regelbruch löst das Problem nicht nachhaltig

Leider wird der wiederholte Bruch von Stabilitätsregeln die Probleme der Banken in Italien oder sonst wo in der Eurozone nicht nachhaltig beheben. Denn bei schwachem Wirtschaftswachstum durch die stinkend reformfaulen Politiker und erwartungsgemäßer Zinslosigkeit bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag wird es nicht lange dauern, bis auch das neue Bankenrettungsgeld aufgebraucht ist.

Man hat es versäumt, die eurozonalen Banken nach der Finanz- bzw. Euro-Krise – wie in den USA – mit Staatsmitteln flächendeckend durchzufinanzieren, sie danach kernzusanieren, um sie schließlich mit Gewinn für den Steuerzahler wieder in die freie Wirtschafts-Wildbahn zu entlassen. Insbesondere Italien hat mit charmanter Lockerheit immer so getan, als habe es kein Bankenproblem. Das erinnert mich an die frühere Nescafé Werbung mit Angelo, dem netten Italiener von nebenan: „Isch habe gar keine Auto“.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann wurschteln sie sich noch morgen durch

Aber immerhin, mit unnachahmlich viel Pragmatismus kommt die Eurozone zunächst einmal gut über den nächsten Banken-Winter.

Und auch danach solle bitte niemand europäische Politiker und die EZB in ihrem grenzenlosen Bemühen unterschätzen, zur Vorbeugung einer erneuten Bankenkrise, die zu unkontrollierbaren System- und politischen Risiken führen würde, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Europäische Stabilitäts- und Bankregeln sind offenbar dafür da, gebrochen zu werden.

Die Eurozone und ihre Bürger müssen ruhig gestellt werden: Keine Krise darf aufregender sein als einem Kaktus beim wachsen zuzusehen.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / dieboersenblogger