Und Sie bewegt sich doch – die Aktienkultur in Deutschland. Die Zahl der Anleger, die in Aktien oder Aktienfonds investieren steigen in diesem Jahr. Das ist sicher ein positives Signal und lässt zunächst hoffen.
Sparen ist keine gute Idee
Immer mehr Bundesbürger erkennen offenbar, dass Sparen mit Geld oder verzinslichen Anlageprodukten für die nächsten 20 bis 30 Jahre bei negativen Realzinsen nicht nur nichts bringt, sondern am Ende sogar Wert vernichtet. Auf lange Sicht bleibt eben deutlich weniger im Portemonnaie als real eingezahlt wurde.
Die Bürger hierzulande verlieren durch die realen Negativzinsen rund 60 Milliarden Euro Kaufkraft – und das Jahr für Jahr. Was das für die Altersvorsorgesysteme und auch für jeden Einzelnen bedeutet, liegt auf der Hand. Auch deshalb kann man die Nachricht von steigenden Anlegerzahlen gar nicht laut genug feiern. Endlich ändert sich was, was sich schon vor 40 oder 50 Jahren hätte ändern müssen.
Aktienkultur: Kein Eitel Sonnenschein
Soweit die positiven Nachrichten. Doch leider ist nicht alles Eitel Sonnenschein, wenn es um die Aktienkultur geht. Denn es gibt natürlich auch schlechte Nachrichten in der Welt der Anleger und der Börse. Ein besonders negatives Beispiel ist das Delisting von Rocket Internet.
Rund fünf Jahre ist es her, dass exakt das Szenario im politischen Berlin an die Wand gemalt wurde, was sich nunmehr bei Rocket Internet realisiert hat. So war im Rahmen der Beratung und der Anhörung zu den neuen Delisting-Regeln im Jahre 2015 immer wieder und vehement – auch von mir – vorgetragen worden, dass als Grundlage für ein notwendiges Übernahmeangebot im Falle eines Delistings nicht der Kurs der letzten sechs Monate, sondern der wahre Wert der Aktie heranzuziehen ist.
Die Causa Rocket Internet zeigt, wie fatal es war, dass die Politik nicht zugehört hat und stattdessen den Durchschnittskurs der letzten sechs Monate als Basis für das Übernahmeangebot ins Gesetzt geschrieben hat. Damals wurde bereits deutlich, wie wenig Bedeutung dem Anlegerschutz in Berlin zugebilligt wird. Jetzt zeigen sich die erwartbaren Folgen. Gute und gelebte Aktienkultur sieht anders aus.
Delisting-Urteil
Ausgangspunkt für das seinerzeitige Gesetzgebungsverfahren war das sog. Delisting-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2012. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Makrotron-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2002, mit der die DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz) erkämpft hatte, dass es eine wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit des Aktieneigentums darstellt, wenn sich eine Gesellschaft aus dem regulierten Markt verabschiedet.
Heute wird der Rat aus dem politischen Berlin sein, dass man seine Aktien ja nicht weggeben muss, wenn der im Rahmen des Delisting angebotene Kurs zu niedrig ausfällt. Und tatsächlich drängt sich eine solche Entscheidung gerade bei Rocket auf, da der tatsächliche Wert der Aktie nahezu doppelt so hoch ausfällt, wie der gebotene Übernahmepreis. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht: Denn ohne regulierten Marktplatz ist eben die große Frage, ob die Aktionäre überhaupt jemals den wahren Wert ihrer Aktien sehen werden.
Was ist also zu tun?
Am Ende werden auch die Samwer-Brüder kein Interesse daran haben, sich Jahr für Jahr mit freien Aktionären auf der Hauptversammlung rumzuärgern. Ein Squeeze-Out und damit ein zwangsweises Herausdrücken der verbliebenen Rocket-Aktionäre könnte also irgendwann auf der Tagesordnung stehen.
Der dann gebotene Preis wird sich auch am wahren Wert der Aktie orientieren, ist aber vor allem gerichtlich überprüfbar. Wer also Zeit und Geduld hat, wartet ab. Entscheidend wird sein, dass die Gesellschaft von heute an bis zu einem irgendwann einmal stattfindenden Squeeze-Out nicht ausblutet. Darauf müssen wir Aktionäre achten, denn eine Aktienkultur wird einem nicht geschenkt, jeder von uns ist Teil dieser Kultur und hat seine Rolle auszufüllen.
Marc Tüngler ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und ist ein profunder Kenner des deutschen Aktienmarktes. Als Redner und Aktionärsvertreter auf vielen Hauptversammlungen weiß er um die Befindlichkeiten von Vorständen und Aktionären.
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Bildquelle: Pressefoto Rocket Internet