Deutschland: Kritische Rahmenbedingungen und zwingende Weichenstellungen

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Für einen Wirtschaftsstandort sind Rahmenbedingungen im Kontext der internationalen Konkurrenz entscheidend. Je besser sie sind, desto besser läuft die Wirtschaft. Wenn die Ökonomie rund läuft, ergeben sich daraus Einkommen für Unternehmen, Arbeitnehmer und den Staat. Diese Einkommensströme fließen in den Konsum, sie werden investiert (Wirtschaftsstrukturen, Kapitalstock), sie dienen dem Vermögensaufbau oder dem Schuldenabbau, sie sind elementar für die Finanzierung des Sozialstaats, der Bildung, der Forschung und Entwicklung (Zukunftsfähigkeit des Kapitalstocks) aber auch des Umweltschutzes. Letzteren muss man sich leisten können

Existentiellen Probleme voraus

Ohne nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg steht das komplexe Staats- und Gesellschaftssystem vor existentiellen Problemen. Diese Kausalität wird politisch, gesellschaftlich und auch medial viel zu wenig in den Fokus gerückt und spielt im politischen Diskurs als auch der gesellschaftlichen Debatte eine untergeordnete Rolle.

Man verlässt sich auf den „Staat“, dabei ist jeder einzelne Bürger Teil des Staats. Wir sind der Staat. Der häufig gehörte Ruf nach dem Staat unter dem Vorwand von Gerechtigkeitsdefiziten ist in Teilen Ausdruck der Negation des Begriffs der individuellen Verantwortung. Häufig ist es Ausdruck von Partikularinteressen gegen das Allgemeininteresse. Aber mehr noch ist es die Abkehr von der Leistungsgesellschaft hin zur Anspruchsgesellschaft. Hinsichtlich der massiven Bedeutung des dargestellten Zusammenhangs ist das Verhalten in größten Teilen der Politik und der Gesellschaft verstörend.

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Zukunftsfähigkeit unseres Geschäftsmodells

Es gilt, gute und zukunftsfähige Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen und politischen Raum zu generieren, um wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Stabilität, aber auch Generationengerechtigkeit zu ermöglichen. Dabei darf der Blick nicht nur auf das innere Gefüge Deutschlands und Europas gerichtet sein, sondern die internationale Konkurrenzlage muss berücksichtigt werden, denn dort entscheidet sich in weiten Teilen die Zukunftsfähigkeit unseres Geschäftsmodells.

Viele Weichenstellungen der deutschen Politik der letzten 16 Jahre der Kanzlerschaft Frau Dr. Merkels sind hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit kritisch zu hinterfragen, denn die Zeit für die richtigen Weichenstellungen wird zunehmend knapper. Die Welt wartet weder auf Deutschland noch auf Kontinentaleuropa. Diese Erwartung wäre Ausdruck einer gefährlichen Selbstüberschätzung.

Die Frage bezüglich unseres Geschäftsmodells und damit auch unserem Gesellschaftsmodells steht übergeordnet im Raum. Das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft, das Grundlage der Substanz Deutschlands ist, hat in den letzten 30 Jahren Schaden genommen. Das diesem System innewohnende Prinzip der Eigenverantwortung und des Leistungswillens hat sich immer stärker in eine staatliche Verantwortung verlagert. Messbar ist das auch an den Folgen der so genannten „kalten Progression“. Der Spitzensteuersatz zog Mitte der 50er Jahre bei Einkommen, deren Kaufkraft heute bei circa 250.000 EUR angesiedelt ist. Heute liegt die Bemessungsgrundlage bei gut 57.000 EUR. Eine derartige Politik fördert nicht den Leistungswillen, sondern forciert Anspruchsdenken.

Wirtschaftsstruktur gibt die Richtung vor

Deutschland ist hinsichtlich unserer Wirtschaftsstruktur geprägt von energieintensiven Branchen. Deutschland brachte es als Reaktion auf Fukushima als einziges Land weltweit fertig, eine Energiewende ohne entsprechendes Netz umzusetzen. Damit ist auch die Versorgungssicherheit bis heute gefährdet.  Deutschland leistet sich als Konsequenz dieser Politik laut einer Studie des Vergleichsportals Verivox aus dem Jahr 2020, das sich der Daten des Energiedienstes Global Petrol Prices bedient hat, die höchsten Strompreise in einem Vergleich von 135 Ländern. Deutschland zahlt 0,3210 EUR pro Kilowattstunde. Der Durchschnitt aller Länder liegt bei 0,1222 EUR. Hier wird ein massiver Standortnachteil deutlich, der potenziell negative Wirkungen auf unseres Kapitalstock, damit auf unseren Wohlstand und ultimativ die gesellschaftspolitische Stabilität entwickelt.

Die Exportabhängigkeit Deutschlands, aber auch Kontinentaleuropas ist ausgeprägt. Zunehmend spielt Ethik als Theorem und Moral als gelebte Ethik eine prägnante Rolle in unserem Außenwirtschaftsverkehr. Diese Wertskala wird jedoch nur spezifisch gegen einige wenige Länder genutzt. Diese Asymmetrie in der Anwendung untergräbt aus internationaler Sicht die Glaubwürdigkeit dieser Positionierung. Der Erfolg der Ostpolitik über Wirtschaftspolitik Entspannungspolitik, daraus folgend Sicherheitspolitik als Grundlage für Friedens- und Annäherungspolitik zu betrieben, ist in bewusste Vergessenheit geraten. Fakt ist, dass das Epizentrum des globalen Wachstums im euroasiatischen Raum liegt und weiter liegen wird. Die deutsche und europäische Politik im Fahrwasser der USA verhindert angemessene Beteiligung an den positiven ökonomischen Wirkkräften, die sich im euroasiatischen Raum ergeben.

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Das Thema Steuern

Vor dem Hintergrund anstehender Wahlen in Deutschland ist es Bürgerpflicht, sich mit den Programmen der Parteien zu beschäftigen.

Das schon anfangs aufgegriffene Thema Steuern gehört dazu. Der Standort Deutschland verliert einer Studie des ZEW zufolge im internationalen Vergleich massiv an Attraktivität. Von 21 untersuchten Industrienationen ist Deutschland 2021 gegenüber 2018 um drei Plätze auf den 17. Rang abgerutscht. Das ist der historisch betrachtet schlechteste Wert (Studien begannen 2006).

Deutschland braucht mit seinem Kapitalstock Investitionen, die nachhaltige Arbeitsplätze sichern oder generieren, um das Wohlstandsniveau aber auch die politische Stabilität zu erhalten. Wer sich in diesem Ranking abschießt, zerstört perspektivisch den deutschen Arbeitsmarkt und auch die Chance auf Wohlstandserhalt inklusive des üppigen Sozialstaats. Nichts könnte unsozialer sein!

Es geht bei vielen Themen um entscheidende Weichenstellungen. Hier ist nicht politische Verwaltung, sondern politische Neugestaltung bitter notwendig!


Ein Beitrag von Folker Hellmeyer

Er hat am Finanzmarkt ursprünglich als Devisenhändler begonnen. Für Deutsche Bank und Helaba war er in Hamburg, London und Frankfurt tätig. Von 2002 bis 2017 war Hellmeyer Chefanalyst der Bremer Landesbank. Heute ist er als Chefanalyst der Fondsboutique Solvecon Invest.
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