Alles ESG? Alles nachhaltig? Alles jetzt?

Bildquelle: Pressefoto DSW

Das Pariser Klimaabkommen, die Abschlusserklärung der Klimakonferenz in Glasgow und auch viele andere Meilensteine markieren oder – besser gesagt – wollen Änderungen dokumentieren und verbindlich gestalten, die unsere Welt nachhaltiger und damit lebenswerter werden lassen. Auch für Investoren spielt Nachhaltigkeit eine enorme Rolle. Der Geldfluss hin zu nachhaltigen Investments ist von einer solchen Kraft, dass man sich doch die Frage stellen muss, ob all das Geld, was nachhaltig investiert werden will, auch tatsächlich auf entsprechend nachhaltige Projekte, Unternehmen und eben auch Produkte stößt.

Daten und Leitplanken

Doch was ist eigentlich nachhaltig? Was ist grün und was wird unsere Welt und unser Leben tatsächlich nachhaltig verbessern? Um diese Frage beantworten zu können, braucht es vor allen Dingen Daten und Leitplanken. Die werden nun zusammen mit viel Geld aus Brüssel kommen.

Damit beginnt aber erst die eigentliche Diskussion und auch die Transformation. Denn wir müssen erst einmal schauen, dass wir unsere teilweise doch noch recht dreckige und eben wenig nachhaltige Industrie deutlich ESG-konformer und damit grüner ausgestalten. Wir müssen also zunächst in eine Phase der Transformation und des Wechsels eintauchen, bevor wir wirklich davon reden können, dass wir uns in einem nachhaltigen Umfeld bewegen. Das kommt oftmals in der Diskussion und auch in den formulierten Forderungen zu kurz.

ESG wird mess- und vergleichbar

Die Frage dabei ist, wie viel Zeit die Investoren und auch die weiteren Interessengruppen, wie Umweltverbände und Menschenrechtsorganisationen, den Unternehmen für den notwendigen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit gewähren. Auch das macht die kommenden Jahre zu einer besonders sensiblen Phase.

Denn wenn die Ansprüche der Investoren sowie der sonstigen Interessenvertreter, die ihre Forderung immer lauter formulieren, weit über das hinausgehen, was die Unternehmen tatsächlich an Transformation und auch Transformationsgeschwindigkeit leisten können, werden wir enorme Konflikte sehen. Und diese landen dann immer öfter vor Gericht.

Die Unternehmen haben es in der Hand, dieses Konfliktpotential aufzulösen. Sie müssen glaubhaft erläutern, welche Anstrengungen sie unternehmen und mit welcher Geschwindigkeit die Veränderungen überhaupt möglich sind. Das allerdings ist heute oftmals noch nicht der Fall. Oft liest man noch in schönsten Farben und vollendeter Prosa von einer wunderbaren Welt, die den Unternehmen und uns allen bevorsteht.

Das wird sich bald ändern, denn in der Berichterstattung wird den Unternehmen klar vorgegeben, wie sie was zu berichten haben und wie der Stand und das Niveau der Nachhaltigkeit in Unternehmen tatsächlich ausgestaltet ist.

Gefahr Greenwashing

Aber auch die Fondsgesellschaften und damit die Kapitalsammelstellen, die für Anleger das grüne Geld verwalten, müssen sich ehrlich machen. Wenn Investoren von den Unternehmen zu Recht erwarten und darauf pochen, beim Thema Nachhaltigkeit die Karten auf den Tisch zu legen, gilt dies für die Fondsgesellschaften in gleicher Weise. Ein so genanntes Greenwashing, wie es zur Zeit bei verschiedenen Adressen als Vorwurf im Raum steht, ist mehr als kontraproduktiv und zeigt, dass auf beiden Seiten – sowohl auf Seiten der Industrie als auch auf Seiten der Investoren – noch einige Hausaufgaben zu machen sind.

Nicht zu unterschätzen ist der Umstand, dass wir uns durch die gesamte Nachhaltigkeitsdebatte und -regulierung schon heute in einem ganz anderen Umfeld mit anderen Playern wiederfinden. Immer mehr NGOs, wie Umweltverbände oder auch Menschenrechtsorganisation, werden nicht nur lautstark, sondern auch mit sehr konkreten Maßnahmen auf die öffentliche Debatte und unmittelbar auf die Unternehmen einwirken.

Alte Player – neue Player

Wie konkret sich dieses Szenario bereits darstellt, erkennt man an den verschiedenen Klagen, die zum Beispiel Greenpeace gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe gegen verschiedene heimischen Automobilhersteller oder RWE eingeleitet hat. Im Zentrum steht der Vorwurf, dass die Unternehmen zu wenig ambitionierte Nachhaltigkeitsziele formulieren. Ausgangspunkt dabei ist sicher auch die entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Maßnahmen und Ziele der Bundesregierung im Bereich Nachhaltigkeit. Das hat den Umweltverbänden und weiteren NGOs kräftig Rückenwind verliehen.

Aktionen von Greenpeace und der Deutschen Umwelthilfe hierzulande befeuern die Diskussion erheblich. Dies ist sicherlich richtig und wichtig. Zugleich aber beginnt damit auch ein Wettrennen der verschiedenen Interessen und Interessengruppen. Die Forderungen werden immer lauter, immer extremer. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, muss man immer kräftiger trommeln und immer radikalen Maßnahmen greifen. Dies führt zu einer Aufwärtsspirale, die an Geschwindigkeit und Intensität derart zulegt, dass sie von der Industrie niemals umgesetzt oder erfüllt werden kann. Zeit und Geld sind die sensiblen Faktoren.

Und so stellst sich die Frage, ob wir alle und ob die unterschiedlichen Interessengruppen den Unternehmen die Zeit geben, die sie brauchen, um die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und zu nachhaltigeren Unternehmensstrategien zu schaffen. Das wird nicht über Nacht und auch nicht in den nächsten fünf Jahren in jedem einzelnen Fall möglich sein. Schaffen werden wir dies allerdings nur gemeinsam.

Ein Beitrag von Marc Tüngler

Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) und ist ein profunder Kenner des deutschen Aktienmarktes. Als Redner und Aktionärsvertreter auf vielen Hauptversammlungen weiß er um die Befindlichkeiten von Vorständen und Aktionären.
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