Ukraine-Krieg zwingt zum Umdenken

(Bildquelle: Heiko Thieme)

Mit dem rechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar hat trotz vieler Warnungen kaum jemand gerechnet. Die Brutalität der russischen Truppen hat die Welt grundlegend verändert, die globale Wirtschaft, Politik und die Börsen stehen vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg.

Alle bis dahin gemachten Prognosen sind hinfällig. Mein Jahresausblick, den ich Anfang Dezember schrieb, trug die Überschrift: Warum wird 2022 anders? Meine Analyse und Schlussfolgerungen gingen von einem anderen Weltbild aus, als es heute der Fall ist.

Der Krieg in der Ukraine gleicht einem sogenannten schwarzen Schwan. Hierbei handelt es sich um ein unerwartetes Ereignis mit äußerst negativen Auswirkungen. Vor zwei Jahren war die Corona-Pandemie bereits ein solcher schwarzer Schwan, der die gesamte Welt heimsuchte und auch heute trotz Vaccine noch nicht überwunden ist. Zwei schwarze Schwäne in so kurzer Zeit hat es in der modernen Geschichte noch nie gegeben!

Die Politik hat sehr schnell reagiert mit massiven Sanktionen gegen Russland und militärischer Hilfe für die Ukraine. Der Ausgang des Krieges ist noch offen. Putin hat die Kampfbereitschaft der Ukrainer total unterschätzt. Ihre Motivation ist Demokratie statt Diktatur und Europa erlebt den größten Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Hilfsbereitschaft auf allen Ebenen ist beispielhaft. Die freie Welt spricht mit einer Stimme und Putin ist in einer Sackgasse. Ein Rückzug wäre das Ende seiner politischen Ambitionen. Nur ein Kompromiss wäre eine Lösung.

Das globale Wirtschaftswachstum erfährt hingegen einen deutlichen Dämpfer. Deutschland befindet sich eventuell bereits in einer – zumindest technischen – Rezession mit zwei negativen Quartalen. Für das Gesamtjahr ist dennoch ein Wachstum möglich. Auch das restliche Europa wird geringere Wachstumsraten aufweisen. Die Inflation liegt bereits über der 5 Prozent Marke, ohne den Höchstpunkt erreicht zu haben.

Die Rohstoffpreise sind explodiert und Lohnforderungen werden laut. Der Ölpreis kann sein Rekordhoch von 2008 von 148 US-Dollar testen und vielleicht sogar kurzfristig überschreiten. Nahrungsmittel werden teurer. Hungersnöte drohen in Nordafrika wegen ausfallenden Weizen-Ernten in der Ukraine und Russland. Hier könnte China einspringen, aber zu welchem Preis? Stagflation heißt das neue Angstgespenst!

Nun sind die Zentralbanken gefordert. Die Leitzinsen in den USA werden am Jahresende die zwei Prozentmarke nicht nur erreichen, sondern vielleicht sogar überschreiten. Die europäische Zentralbank wird mit etwas langsameren Zinsschritten folgen. Die Zeit der negativen Zinsen ist endgültig vorbei, der Aktienmarkt bekommt spätestens im nächsten Jahr Konkurrenz vom Rentenmarkt.

Und was macht die Börse? Der Weltindex (MSCI) hat von seinem Rekordhoch Anfang Januar bis Ende März gerade einmal knapp vier Prozent eingebüßt. Das entspricht nicht der aktuellen globalen geopolitischen Wirtschaftslage. Ein Rückgang von 10 bis 15 Prozent gemessen vom Rekordhoch wäre realistischer. Richtig ist, dass Nordamerika von dem Ukraine-Krieg wirtschaftlich weniger betroffen ist als Europa.

Dennoch rechne ich damit, dass der Dow Jones seinen Tiefstand von Anfang März (32.300 Punkte) nochmals testen wird und eventuell etwas unterschreiten kann. Der DAX fiel von seinem Rekordhoch zu Jahresbeginn bis Anfang März um 24 Prozent und erfüllte damit die Definition einer Baisse. Seitdem ist der Index bis Ende März um 15 Prozent gestiegen. Nur ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine würde diesen Anstieg rechtfertigen. Ein nochmaliger Rückgang bis sogar zur 12.000 Marke wäre aus meiner Sicht realistischer.

Mit einem Crash wie vor zwei Jahren aufgrund von Corona rechne ich jedoch nicht. Dies würde eine vollkommen desolate Entwicklung im Ukraine-Krieg voraussetzen. Einige Einzelwerte in Amerika, Deutschland und China stehen bereits auf meiner Liste, wo die Kursverluste 40 Prozent oder mehr betragen. Die Rekordhöhen vom Jahresanfang sind eine Herausforderung, die von der Geopolitik abhängen. Ich hätte mir ein anderes Weltbild für 2022 gewünscht, zumal es jetzt keine Gewinner gibt.

Ein Beitrag von Heiko Thieme
Er ist über 45 Jahre im internationalen Anlagegeschäft tätig und schrieb 16 Jahre als freier Kolumnist für die FAZ. Seit dem Jahr 1979 gibt es seine Marktanalysen und Einschätzungen sowie die älteste deutsche Börsenhotline. Heiko Thieme ist über zwei Portale für Anleger zu erreichen: heiko-thieme.club und heiko-thieme.com

 

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