Neobanken: Nicht jedes Kunden Liebling

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Sie haben vor allem in der Corona-Krise einen großen Kundenzuwachs erfahren können: Neobanken und -Broker. Laut einer Erhebung des deutschen Ifo Instituts sind die Assets under Management (AuM) – damit wird das Volumen an Kundengeldern bezeichnet – von Investment- und Banking-Fintechs in Deutschland zwischen den Jahren 2013 und 2019 jährlich um 265 Prozent gewachsen.

Eine von Wirtschaftswissenschaftlern der Universitäten Regensburg und Bremen fortgeführte Studie des deutschen Bundesfinanzministeriums bescheinigte dem Fintech-Markt von 2015 bis 2019 gar ein jährliches Wachstum von 120 Prozent.

Fintechs profitieren von der Digitalisierungswelle

Die Fintechs profitieren seit Jahren von der Digitalisierungswelle der Bankenszene und krempeln zeitgleich die gesamte Branche um. Das liegt daran, dass sich auch das Kunden-Klientel und somit die Bedürfnisse verändern: „Wir sehen uns heute einer neuen Generation von Anlegern gegenüber. Sie sind jung, technikaffin und ihre Bedürfnisse haben sich verändert. Anleger von heute, besonders die Generation Y, schätzen schnelle, einfache Lösungen und eine digitale Verfügbarkeit ihrer Anwendungen – rund um die Uhr“ erklärt Max J. Heinzle, CEO des FinTechs 21finance.

Eine internationale Analyse der Unternehmensberatung Oliver Wyman gibt Heinzle recht. Der Untersuchung zufolge sind Neobank-Kunden jung, einkommensstark, urban und digital aktiv. So sind 60 Prozent des Klientels unter 36 Jahre alt, 38 Prozent verdienen über 40.000 Euro pro Jahr und fast die Hälfte lebt in Städten. Diese Kundenschicht gelte es auch für klassische Bankhäuser zu erschließen.

Neobanken- und Broker sind vor allem bei jungen Anlegern beliebt. Bildquelle: Unsplash/Jeremy Bezanger

Neobanken sind nicht jedermanns Sache

Also keine Bank-Filialen mehr, keine Überweisungen auf Papier und auch kein klassisches Online-Banking per Computer am Schreibtisch. Stattdessen wird vom Konto bis zum Sparplan per Video-Ident-Verfahren alle finanziellen Angelegenheiten am Smartphone erledigt. Es ist das reine Online-Banking mit Lösungen, die bei den traditionellen Bankwettbewerbern zum Teil immer noch undenkbar sind.

Doch die neuen Neobanken sind augenscheinlich nicht jedermanns Sache. Lediglich ein Viertel der Bundesbürger kann sich vorstellen, die Bankgeschäfte bei einer Smartphone- oder Neobank zu erledigen, weitere 9 Prozent haben derweil bereits ein Konto bei einer solchen Bank, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom Anfang des zweiten Quartals herausfand.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass Neobanken bislang eher eine Ergänzung für die bestehende Bankverbindung für viele Verbraucher sind. Denn nur für 14 Prozent käme ein Hauptkonto bei einer Neobank in Frage, für 45 Prozent wäre es eine Ergänzung zum Konto bei einer Direktbank, 35 Prozent würden es ergänzend zu einer klassischen Filialbank nutzen.

„Das Smartphone ist für viele Menschen der digitale Hub für Alltag und Arbeit. Die Verlagerung der eigenen Bank komplett und ausschließlich auf dieses Gerät ist da nur ein weiterer logischer Schritt“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.

„Neobanken haben großes Potenzial, das in Deutschland noch lange nicht ausgeschöpft ist.“

Bisher eher eine Banken-Lösung für jüngere Kunden

Bisher ist eine Neobank wohl eher eine Banken-Lösung für jüngere Kunden. 4 von 10 der 18- bis 29-Jährigen (38 Prozent) stehen demnach Neobanken interessiert und aufgeschlossen gegenüber, nur 11 Prozent sehen sie kritisch oder ablehnend.

Unter den 30- bis 49-Jährigen überwiegt mit 31 Prozent Interesse gegenüber 21 Prozent Ablehnung ebenfalls noch eine positive Sichtweise. Ganz anders sieht es bei den älteren Verbrauchern aus. Unter den 50- bis 64-Jährigen lehnen 32 Prozent Neobanken ab, nur 17 Prozent sind interessiert. Bei den Über-65-Jährigen ist sogar die Hälfte (48 Prozent) ablehnend und nur 10 Prozent sind interessiert.

Vielen Bankkunden fehlt laut der Umfrage vor allem die fehlende individuelle Beratung (45 Prozent). Gefragt nach den Nachteilen einer Neobank geht ein Drittel der Kunden einfach lieber in eine Filiale und 28 Prozent reicht das klassische Online-Banking am Computer – und rund ein Viertel (23 Prozent) hält Banking auf dem Smartphone schlicht für zu kompliziert und 20 Prozent sind ein bisschen „Technikmuffel“ und vertrauen klassischen Finanzinstituten mehr.

Es geht nicht nur um Kosteneinsparungen

Dass Neobanken ein dauerhafter Trend ist, glauben die meisten Verbraucher, lediglich 15 Prozent gehen davon aus, dass Neobanken eine kurzfristige Modeerscheinung sind, die bald wieder verschwinden. Fast die gleiche Anzahl der Befragten ist dagegen der Meinung, dass Neobanken die klassischen Filialbanken vollständig verdrängen werden.

Die Mehrheit (56 Prozent) geht davon aus, dass Neobanken dauerhaft neben etablierten Banken existieren werden. Diesen Trend haben entsprechend die klassischen Banken erkannt. Jede zweite Bank in Deutschland investiert entsprechend massiv in automatisierte Geschäftsprozesse.

Mainhattan, Frankfurt: Deutschlands etablierte Banken hat erkannt, dass es ohne automatisierte Geschäftsprozesse keine Zukunft gibt. Bildquelle: markteinblicke.de

Die Strategie ist mittlerweile so wichtig wie Neukundenakquise und wird in den Chefetagen nicht mehr nur als Mittel zum Kostensparen betrachtet, wie der aktuelle „Branchenkompass Banking” von Sopra Steria aufzeigt. Das Ziel ist es, den Kunden besseren und schnelleren Service zu bieten. Sofortkredite und Online-Kontoeröffnung sind zwar verbreitet, die Automatisierung endet allerdings häufig nach dem Antrag oder einer Vorabzusage. Das soll sich künftig ändern.

„In den kommenden zwei Jahren werden Banken im Vorteil sein, die ihre IT-Systeme mithilfe von robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA), antrainierten Regeln und einer Datenstrategie mit einer gewissen Entscheidungskompetenz ausstatten – kontrolliert vom Menschen”, sagt Tobias Keser, stellvertretender Leiter des Geschäftsbereichs Banking bei Sopra Steria.

Der Unternehmensberater sieht allerdings das Risiko, dass Banken technologisch zu einseitig agieren. “Um Erträge mit Automatisierung zu erzielen, ist es wichtig, die Disziplinen Data Analytics, RPA und Künstliche Intelligenz zusammen einzusetzen”, so Keser.

Etablierte Banken lernen von Fintechs

Das Szenario der vollautomatisierten Bank in der Beratung sieht die Mehrheit der befragten Entscheider beim „Branchenkompass Banking” nicht. Nur 38 Prozent glauben, dass künftig immer mehr Kunden komplett automatisierte digitale Beratungsangebote nachfragen.

Bitkom-Präsident Achim Berg sieht es anders: „Die Finanzbranche war immer an der Spitze, was die Nutzung digitaler Technologien angeht. Neobanken sind eine weitere Innovation der Finanzwelt, die vor allem jüngerer Menschen in ihrer Lebenswelt anspricht“, und ergänzt: „Gleichzeitig lernen die etablierten Institute von den Neobanken und digitalisieren die eigenen Angebote. Wir erleben einen digital getriebenen Innovationszyklus, der mit Entwicklungen wie Open und Embedded Finance noch lange nicht zu Ende ist.“

Dass die Entwicklung der Bankenszene weitergehen muss, ist auch im Sinne der Kunden. Denn 13 Prozent der Befragten in der Bitkom-Umfrage halten rein digitalen Kundenservice nicht für ausreichend und ebenso viele haben sogar Angst, ohne ihr Handy nicht mehr an ihr Geld zu kommen. Ein Zehntel (10 Prozent) fühlt sich durch digitales Banking grundsätzlich überfordert und 4 Prozent beklagen eingeschränkte Funktionen von Neobanken.

Vielen Kunden fehlt die Beratung bei Neobanken. Bildquelle: marktEINBLICKE.de

 „Gerade bei der individuellen Finanzberatung werden wir in den kommenden Jahren große Veränderungen sehen. Dazu gehört der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für automatisierte persönliche Beratung ebenso wie der Einsatz von Videoberatung, die bequem, kostengünstig und unabhängig von Ort und Zeit in Anspruch genommen werden kann“, so Berg und unterstreicht damit auch die Umfrageergebnisse.

Vor allem mit den geringen Kosten können Neobanken bei Kunden punkten. Bildquelle: marktEINBLICKE.de

Denn als größte Vorteile von Neobanken werden die einfache und schnelle Kontoeröffnung (43 Prozent), geringe Kosten (38 Prozent) und ein besonders guter Überblick über die Finanzen (37 Prozent) genannt. Dahinter folgen schnelle und kontinuierliche Verbesserung der Bankdienstleistungen (34 Prozent), der auf dem Smartphone besonders sichere Zugang dank biometrischer Identifikation (23 Prozent), eine größere Kostentransparenz (21 Prozent) sowie die digitale Darstellung, die dabei hilft, seine finanziellen Ziele zu erreichen (17 Prozent).

Stichwort digital: Genau darin liegt für Heinzle der Vorteil, den Neo-Banken für sich nutzen: „Die Anforderungen, die Kunden an ihre Geldinstitute stellen, werden stärker von neuen Technologien getrieben und ändern sich rasant. Dies verlangt auf Anbieterseite eine ebenso schnelle Reaktion darauf“, so Heinzle. So würden sich mehr und mehr Kunden zusätzlich zu klassischen Bankdienstleistungen neue Services wie den Zugang zu Kryptowährungen oder Blockchain-basierten Produkten wünschen.

mE-Fazit

Aus Sicht eines Fintech-CEO ist diese Einschätzung verständlich. Auf EU-Ebene mag das stimmen, bezogen auf den deutschen Markt wohl eher nicht. Denn Online-Banking setzt sich in Deutschland nur schwer durch.

Erst jeder zweite Deutsche wickelt seine Bank- und Zahlungsgeschäfte digital ab. Das zeigt eine Studie des Zahlungsdienstleister Unzer zum Potential von EU-Märkten für den E-Commerce. Wie wenig Online-Banking in Deutschland verbreitet ist, zeigt insbesondere der Blick ins Ausland:

Kopenhagen: Die Dänen sind viel online-affiner als die Deutschen. Bildquelle: Unsplash/ Jesse De Backer

Im Nachbarland Dänemark ist Online-Banking flächendeckend verbreitet. 95 Prozent der dänischen Bevölkerung sind mit Pin, Tan und dem digitalen Zahlungsverkehr vertraut und tätigen Bankgeschäfte über das Internet.

Auch in den Niederlanden wird Banking weitestgehend digital abgewickelt. 9 von 10 Niederländern nutzen die Flexibilität des Online-Bankings. Mit einem Anteil von 50 Prozent gehört Deutschland beim Thema Online-Banking demnach zu den Schlusslichtern in Europa. Nur in Griechenland, Italien, Rumänien und Bulgarien nutzt die Bevölkerung anteilig noch seltener digitales Banking.

Bei aller Innovation und neuen Technologien seitens der Fintechs, haben diese in der aktuellen Markt- und Inflationslage mit einer Sache zu kämpfen, die die Branche bisher nicht kannte: Das Wachstum hält inne, es werden rote Zahlen geschrieben. Die Folge sind Kündigungen – auch bei prominenten Namen wie dem Payment-Anbieter Klarna oder dem Berliner Online-Broker Trade Republic.

Bildquelle: Unsplash/Austin Diestel, Jeremy Bezenger, Jesse De Backer