North-Stream I, EZB und der Euro als entscheidende Faktoren

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Am 22. Juli verfolgen viele in Europa und weltweit gespannt die Nachrichten rund um die Gaspipeline „North-Stream I“. Denn an diesem Tag sollte die jährliche Wartung voraussichtlich beendet sein und erneut russisches Gas nach Deutschland geliefert werden.

Kann Rezession verhindert werden?

Wenn dieser Fall einträte, könnte Europa eine zeitnahe Rezession verhindern. Falls aber weiterhin Gaslieferungen nur zögerlich oder möglicherweise gar nicht mehr erfolgten, wäre eine negative Wirtschaftsentwicklung spätestens im 4. Quartal wahrscheinlich. Der weitere Ablauf hinge dann vor allem von der Bundesregierung ab, die voraussichtlich die dritte Stufe des Notfallplans Gas ausrufen und den Versorgern möglicherweise das Durchreichen erhöhter Gaspreise an die Endverbraucher gestatten würde.

Fraglich wäre dann noch, ab wann der Unternehmenssektor mit Gasrestriktionen zu rechnen hätte. Das Ausmaß der anzunehmenden Rezession kann aktuell kaum genau beziffert werden. Schätzungen zufolge könnte der wirtschaftliche Einbruch etwa 2 bis 6 Prozent weniger Wachstum in den folgenden Monaten bedeuten. An den Aktienbörsen dürfte es erneut zu größeren Kursstürzen kommen und der ohnehin derzeit sehr schwache Euro würde im Vergleich zum US-Dollar die Parität weit hinter sich lassen, also deutlich unter die Marke von 1 EUR/USD.

Schlechtes Timing

Und damit auf ein Niveau fallen, welches zuletzt vor rund 20 Jahren erreicht wurde. Beide Ereignisse, ein Gasstopp mit der Folge einer Rezession sowie ein weiteres Abrutschen des Eurokurses hätten massive Rückwirkungen auf die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Vor diesem Hintergrund kann es schon als unglücklichen Zufall bezeichnen, dass die nächste EZB-Ratssitzung auf den 21. Juli terminiert wurde, also unmittelbar vor der Auflösung der entscheidenden Gasstopp-Frage.

Zwar wäre im Zweifel mit der Ansetzung einer akuten Notfallsitzung des EZB-Rats zu rechnen, allerdings wäre die zu treffende Entscheidung der Notenbanker alles andere als leicht. Auf einen noch deutlich schwächeren Euro müsste die EZB mit einer größeren Zinserhöhung reagieren, denn das Problem der importierten Inflation nähme ein immer größeres Ausmaß an.

Andererseits würde ein gaslieferbedingter wirtschaftlicher Einbruch dadurch zusätzlich befeuert werden. Sollten die Gaslieferungen hingegen wieder aufgenommen werden, dürften Aktienkurse und der Euro Ende Juli ordentlich zulegen. Die wesentliche Entscheidung über die Richtung an den Börsen im Sommer wird somit im Kreml getroffen – keine gemütliche Situation für Anleger.

Ein Kommentar von Carsten Mumm

Er ist Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Das Traditionshaus mit Sitz in Hamburg und München setzt auf qualifizierte und umfassende Beratung für vermögende Privatkunden, Unternehmer, Immobilienkunden und institutionelle Kunden.
www.donner-reuschel.de

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