Clere – noch ein net-net

Bildquelle: Clere AG

In den Kommentaren zum australischen net-net CMI taucht auch die deutsche Clere AG (WKN: A2AA40 / ISIN: DE000A2AA402) auf. Die Clere AG firmierte früher mal unter Balda AG. Die war mir geläufig und ich hatte auch mitbekommen, dass sich da eine Menge geändert hat. Die neue Firmierung hatte ich hingegen noch nicht auf dem Schirm genauso wenig wie die niedrige Bewertung. Nach Abzug aller Verbindlichkeiten zahlt man bei der Clere AG für jeden Euro Cash oder Festgeld nur 70 Cent. Zählt man noch ein paar weitere durchaus plausible Vermögenswerte hinzu, liegt das KBV nur noch bei 0,61. Auf Basis der Substanz ist die Aktie also sehr günstig bewertet, aber gibt es auch berechtigte Gründe für die niedrige Bewertung? Ich habe mich mal auf die Suche gemacht.

Balda

Gegründet wurde Balda 1908 als Kamerahersteller. Seit den 1950‘er Jahren kam die Herstellung von Kunststoffteilen für die Elektronik- und Medizintechnikindustrie hinzu. Mit dem Mobilfunk Boom ab den 90‘er Jahren war Balda als Hersteller von Handyschalen bekannt. Dieses zunächst boomende Geschäft wurde später defizitär und im Dezember 2011 verkauft. Damit kehrte bei Balda aber keine Ruhe ein. Mit dem Einstieg des heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas van Aubel ergaben sich einige, auch gerichtliche, Querelen um die Strategie und die Besetzung des Aufsichtsrats. Am Ende dieses Prozesses wurde das gesamte operative Geschäft der Balda inklusive dem Namen verkauft. Ursprünglich sollte der Verkauf für 66,7 Mio. an den Finanzinvestor Paragon erfolgen. Dann entstand ein Bieterwettstreit mit mehreren Bietern an deren Ende die italienische Stevanato Gruppe das operative Geschäft von Balda und den Namen im Februar 2016 für 95 Mio. übernahm.

handelnde Personen bei Clere

Großaktionär und Aufsichtsrat

Wie bereits erwähnt ist Dr. Thomas van Aubel der Aufsichtsratsvorsitzende der Clere AG und mit indirekten 33% ist er gleichzeitig auch ihr einziger Großaktionär. Van Austen verfügt über viel, wenn auch nicht restlos positive Erfahrung im Bereich Photovoltaik. Laut meiner Internetrecherche war er einer der „Gründungsväter“ des Solarzellenherstellers Q-Cells und war von 1999 bis 2009 deren Aufsichtsratsvorsitzender. Q-Cells war einer der gehypten deutschen Solarunternehmen, das aber wie einige anderen Unternehmen der Branche die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt hat und 2012 in die Insolvenz ging.

Herr van Aubel hatte die Zeichen der Zeit hingegen vielleicht schon früher erkannt. Er schied aus dem Aufsichtsrat deutlich früher aus und verkaufte auch seine Aktien zu noch den hohen Kursen. Die Erlöse aus diesen Verkäufen dürften es ihm ermöglicht haben etwa 2012 / 2013 als Großaktionär bei Balda einzusteigen und den Strategiewechsel zu erzwingen.

Neben dem Timing, das gut für Herrn van Aubel und schlecht für die späteren Kleinaktionäre war, gibt es im Zusammenhang mit seinem Nahmen weitere Vorwürfe aus seiner Zeit bei Q-Cells. In dem Spiegel Artikel, den Roger schon verlinkt hatte, wird geschildert, dass es vorsichtig formuliert seltsame Verquickungen mit dem Chef der Beteiligungsgesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt gab, wo Q-Cells seinen Sitz hatte. Ich glaube allerdings nicht, dass diese Geschichte etwas mit der späteren Insolvenz zu tun hatte.

Vorstand

Seit 2017 ist Thomas Krupke der Alleinvorstand der Clere AG. Auch er hat eine nicht 100% überzeugende Historie in der Photovoltaik Industrie. Krupke war Vorstandsvorsitzender des Berliner Solarmodulherstellers Solon. Solon war die erste börsennotierte Solargesellschaft in Deutschland und Teil des PV Booms in den Nullerjahren. Im Dezember 2011, als Herr Krupke schon nicht mehr im Vorstand war, ging Solon wie Q-Cells in die Insolvenz.

An der Spitze von Aufsichtsrat und Vorstand würde man vielleicht lieber Personen sehen, die nihct eng mit späteren Insolvenzen verbunden sind. Das frühere Scheitern von QCells und Solon sind für mich trotzdem keine Ausschlusskriterien. Es ist aber sicherlich gerechtfertigt möglichst genau zu verfolgen, wie die neue Strategie umgesetzt wird.

Clere AG Geschäftsmodell

Seit April 2016 firmiert das Unternehmen nun unter Clere AG und verfolgt ein völlig neues Geschäftsmodell und zwar die Investition in erneuerbare Energie Projekte. Im Gegensatz zur Herstellung von Anlagen oder der Projektentwicklung ist der Betrieb von Erneuerbare Energie Projekten ein recht einfaches Geschäftsmodell. Die Projekte werden meistens über eine Laufzeit von 20 Jahren kalkuliert, die die Anlagen technisch auf jeden Fall durchhalten sollten. Für die Vergütung des in dieser Zeit erzeugten Stroms gibt es entweder Einspeisegesetze, wie das bisherige deutsche Erneuerbare Energien Gesetz (EEG), Vergütungen aufgrund von Ausschreibungsverfahren, wie zukünftig nach dem EEG, oder Abnahmeverträge mit Stromversorgern. Wind und Sonne schwanken natürlich von Jahr zu Jahr, aber grundsätzlich sollte sich das im langfristigen Durchschnitt ausgleichen. Die Kostenseite lässt sich ebenfalls extrem gut planen, Personal braucht man kaum, die technische und kaufmännische Betriebsführung können langfristig vertraglich gesichert werden und werden häufig in Abhängigkeit vom erzeugten Strom vergütet.

Erneuerbare Energie Projekte sind also per sé ziemlich sichere Geschäfte. Wie in fast allen Fällen von relativ sicheren, kapitalintensiven Investitionen, kommt aber über den Fremdkapitaleinsatz wieder Risiko dazu. 80% Fremdkapitaleinsatz sind absolut keine Ausnahme und mit so einem hohen Leverage muss natürlich nur relativ wenig schief gehen, bevor das Eigenkapital in Schwierigkeiten geraten kann. Ich war selber lange im Einkauf von erneuerbare Energie Projekten tätig und wir haben viele, viele Projekte nicht bekommen, weil wir immer darauf geachtet haben Puffer für Unwägbarkeiten der Ertragsprognose und unerwartete Kosten zu haben. Gegen Konkurrenten die maximales Fremdkapital einsetzen und auf Sicherheitspuffer in der Kalkulation verzichten, ist es dann natürlich schwierig den Zuschlag zu bekommen.

Erneuerbare Energie Projekte können also langweilige, sichere Investments sein oder relativ riskante hoch finanzierte Investments oder durch zu aggressive Annahmen und zu hohe Preise Geldgräber. Die Pressemitteilungen von Clere sind an dieser Stelle recht dünn und damit auf Projektebene für mich nicht einschätzbar. Positiv ist allerdings aus meiner Sicht, dass Clere mit einem internen Management eigene Mittel investiert. Die Gefahr von zu aggressivem Vorgehen, ist viel höher wenn ein externer Manager wie bei geschlossenen Fonds daran verdient neue Fonds für externe Investoren aufzulegen.

Bewertung

Ein KBV von rund 0,6 ist, wenn das Vermögen gleichzeitig fast nur aus Cash besteht, offensichtlich eine sehr niedrige Bewertung. Normalerweise sind net-nets eher ausgelutschte Unternehmen am möglichen Ende ihres Lebenszyklus. Wenn das eigentliche Geschäftsmodell schon defizitär ist, besteht die Gefahr, dass sich die net-net Situation dadurch auflöst, dass niemand einen Schlussstrich zieht und das überschüssige kurzfristige Vermögen an die Aktionäre verteilt. Stattdessen kann das Geld einfach in jahrelangen Defiziten verbrannt werden. Bei Clere ist die Situation genau umgekehrt. Das Unternehmen hat zwar eine lange Historie, aber was den aktuellen Geschäftszweck angeht, steht es wie ein start-up da. Neuer Standort in Berlin, neue Mitarbeiter, völlig neue Strategie, noch nicht viel Geschäft aber dafür viel Geld auf dem Konto. Da noch nicht viele Investments erfolgt sind, können die Kosten am Anfang auch noch nicht mit Erträgen gedeckt werden. Außerdem ist noch nicht bewiesen, dass überhaupt genügend Investments mit einem attraktiven Chance Risiko Profil gefunden werden können. Diese Unsicherheiten rechtfertigen sicherlich einen Abschlag, aber in welcher Höhe?

Der Verlust vor Steuern im Rumpfgeschäftsjahr 01.07.2016 bis 31.12.2016 belief sich auf EUR 3,5 Mio. Darin enthalten waren allerdings auch Kosten für Rechtsstreitigkeiten und Steuern, die sich noch auf das alte Geschäft bezogen. Außerdem hatte die Gesellschaft im Rumpfgeschäftsjahr noch 2 Vorstände. Wenn ich optimistisch davon ausgehe, dass diese Kosten nicht mehr anfallen, würde sich der Vorsteuerverlust ohne zusätzliche Umsätze auf rund EUR 2 Mio. pro Jahr reduzieren. Ich bin mal davon ausgegangen, dass die Gesellschaft 2 Jahre benötigt, um so viele Investition zu tätigen, dass diese Kosten gedeckt werden können. Entsprechend müssen vom Vermögen EUR 4 Mio. abgezogen werden. Die aktuelle Marktkapitalisierung liegt dann trotzdem nur bei 63% vom Substanzwert.

Stünde eine Liquidation an, wäre Aktie ein klarer Kauf. Dies ist aber nicht der Fall und deshalb stellt sich die Frage, wie die zukünftigen Gewinne aussehen könnten. Wie oben schon beschrieben, sind Bestandshalter die verlässlichsten aber auch am niedrigsten rentierlichen Investments im Erneuerbare Energie Bereich. Ich habe zwar selber mal Projekte eingekauft, wie sie Clere heute machen möchte, aber das ist schon eine Weile her, so dass ich keinen Überblick habe, welche Renditen aktuell erzielt werden können. Ich bin mal von 5% ausgegangen, was in Anbetracht der aktuell niedrigen Zinsen und der Verzweiflung mit der z.B. Lebensversicherungen langfristige Erträge suchen, möglicherweise schon ziemlich hoch gegriffen ist. Dies würde dann zu Erträgen in Höhe von rund EUR 7,2 Mio. führen. Davon abzuziehen wären dann die EUR 2 Mio. Kosten, die ich oben grob geschätzt habe. Dem verbleibenden Gewinn würde ich Aufgrund der Stabilität des Geschäftsmodells eine für mich normalerweise absurde Bewertung mit dem 20-fachen zugestehen. Im Ergebnis ergibt sich dann trotzdem nur eine Ertragsbewertung von rund EUR 87 Mio. Das sind 97% der aktuellen Marktkapitalisierung. Scheinbar haben andere Marktteilnehmer ähnliche Überlegen angestellt. Andererseits bin ich mit dem 20-fachen vielleicht noch zu konservativ. EDP Renováveis ein Bestandshalter aus Portugal wird Beispielsweise aktuell mit einem KGV von 31,6 gehandelt. Mit einem KGV von 30 entspricht auch bei Clere die Ertragsbewertung wieder in etwa dem Substanzwert. Niedrige Zinsen hin oder her bin ich persönlich allerdings nicht bereit so ein Geschäftsmodell mit dem 30-fachen zu bewerten…

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Mario BrünjesEin Beitrag von Mario Brünjes

Mario Brünjes studierte in Deutschland und England Finanzwirtschaft und Rechnungswesen und ist seit mehr als 15 Jahren als professioneller Sachwertinvestor in den Bereichen Flugzeugleasing, Immobilien und Erneuerbare Energien tätig.

In seinem Value Investing Blog www.value-shares.de schreibt er regelmäßig über seine privaten Value Investments mit Schwerpunkt Sachwerte.

Bildquellen: Mario Brünjes / Clere AG