Nemetschek: Silberstreifen am Horizont!?

Bildquelle: Pressefoto Nemetschek

Die Bauindustrie erlebte in Deutschland in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom. Einer der großen Treiber dieser Entwicklung war das anhaltend niedrige Zinsniveau. Doch im laufenden Jahr gibt es diesbezüglich eine Zeitenwende. Wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs und der extrem hohen Inflation ziehen die Notenbanken die geldpolitischen Zügel nun straffer.

Die Leitzinsen wurden angehoben und schlagen auch auf die Baukredite durch, die wieder teurer werden. In Verbindung mit Lieferkettenproblemen sowie den hohen Energie- und Rohstoffkosten steht die Bauindustrie im laufenden Jahr unter Druck. Das macht sich auch bei den Aktien der einstigen Bau-Boom-Profiteure bemerkbar, wie sich am Beispiel von Nemetschek (WKN: 645290 / ISIN: DE0006452907) zeigt.

Nemetschek-Aktie weit unter ehemaligen Tops

Über viele Jahre hinweg kannte die Aktie des Unternehmens, das unter anderem Software für Architekten, Ingenieure und Bauunternehmen entwickelt, nur eine Richtung, nämlich steil nach oben. Doch Anfang 2022 wendete sich das Blatt. Die Nemetschek-Aktie wechselte in einen Sinkflug, im Zuge der die Notierungen aktuell rund 60 Prozent unter dem November-2021-Allzeithoch bei 116 Euro notieren.

Viele Anleger stellen sich bei Nemetschek derzeit die Frage, ob die zahlreichen Belastungsfaktoren der Bauindustrie nicht mittlerweile hinreichend in den niedrigen Kursen der MDAX- und TecDax-Aktie eingepreist sind. Mit Spannung wurden dementsprechend die neuesten Geschäftszahlen erwartet, die am 27. Oktober veröffentlicht worden sind. Und diese Zahlen zeigen, dass der bisherige Wachstumskurs nach wie vor ungebrochen ist.

Nemetschek übertrifft Analysten-Prognosen

Nemetschek konnte den Umsatz im dritten Quartal auf Jahressicht um knapp ein Fünftel auf rund 203 Mio. Euro steigern. Ohne Rückenwind vom schwachen Euro hätte das Erlösplus aber nur 11,8 Prozent betragen. Für den Betriebsgewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen ging es um 15,7 Prozent auf 62,9 Mio. Euro nach oben. Die entsprechende EBITDA-Marge lag bei 31 Prozent und damit 1,1 Prozentpunkte unter dem Vorjahr. Unter dem Strich wurde im dritten Quartal ein Gewinn von 38,8 Mio. Euro eingefahren, was einen Zuwachs von 13,3 Prozent bedeutet. Mit diesen Ergebnissen wurden die Analysten-Schätzungen leicht übertroffen.

Lieferkettenprobleme, steigende Zinsen und hohe Rohstoffkosten setzen die Bauindustrie im laufenden Jahr unter Druck. Ungeachtet dessen konnte Nemetschek den Wachstumskurs auch im dritten Quartal fortsetzen. (Bildquelle: Pixabay / 889520)

Vorsichtiger Ausblick

Wegen des ordentlichen Wachstums im dritten Quartal hat Nemetschek die bisherige Prognose bestätigt. Der Vorstand avisiert für das Gesamtjahr 2022 nach wie vor ein währungsbereinigtes Wachstum zwischen zwölf und 14 Prozent (Januar bis September: +15,2 Prozent). Die Prognose fällt mit Absicht etwas vorsichtig aus, da laut Nemetschek die wichtige US-Bau-Software-Marke Bluebeam auf Abo-Modelle wechselt. Dieser Umstieg dürfte die Umsätze zunächst tendenziell belasten.

Der Vorteil von Abo-Modellen ist aber bekanntlich, dass die Erlöse dadurch künftig stetiger und damit besser planbar ausfallen. Außerdem soll der verhaltene Ausblick die aktuell zunehmende Eintrübung des Wirtschaftsumfelds berücksichtigen.

Baader Bank sieht kräftiges Aufholpotenzial

Die Analysten bewerten die neuesten Nemetschek-Geschäftszahlen mehrheitlich als „solide“. Weiterhin sehr optimistisch bleibt beispielsweise die Baader Bank. Nach der Bekanntgabe der Quartalszahlen wurden die bisherige Kaufempfehlung für die Nemetschek-Aktie und das Kursziel von 77 Euro noch einmal bestätigt, womit hier ein Aufholpotenzial von 60 Prozent gesehen wird. Laut dem Baader-Bank-Analysten Knut Woller hat der Bau-Software-Anbieter die Markterwartungen einmal mehr übertroffen.

Für den einstigen Börsen-Highflyer Nemetschek ging es an der Börse im laufenden Jahr steil nach unten. Viele Anleger fragen sich, ob die zahlreichen konjunkturellen Belastungsfaktoren inzwischen hinreichend im Aktienkurs eingepreist sind.

Nemetschek-Aktie: Heiße Turnaround-Wette?

Obwohl sich Nemetschek im dritten Quartal erfolgreich gegen die allgemeine Schwäche der Bauindustrie stemmen konnte, brach die Aktie nach der Zahlenbekanntgabe am 27. Oktober um rund sieben Prozent auf 48,92 Euro ein, konnte aber am nächsten Tag zeitweise wieder auf 50 Euro hinzugewinnen. Charttechnisch ist die Nemetschek-Aktie damit weiterhin schwer angeschlagen.

Die Nemetschek-Aktie ist damit ein Beispiel dafür, dass hochbewertete Wachstumsunternehmen in Zeiten der Zinswende bei den Anlegern eher unbeliebt sind. Nichtsdestotrotz ist der Digitalisierungstrend in der Baubranche weiterhin intakt. Nemetschek bleibt deshalb zuversichtlich, bis 2024 beim Umsatz die Milliardenschwelle zu erreichen.

Perspektivisch könnte sich damit bei der Nemetschek-Aktie großes Aufholpotenzial eröffnen. Allerdings muss sich bei der Aktie erst einmal ein tragfähiger Kursboden ausbilden. Anleger, die sich des hohen Risikos bewusst sind, sollten den MDAX- und TecDAX-Titel als spekulative Turnaround-Wette auf ihrer Beobachtungsliste lassen.

Flo | Bildquelle: Pressefoto Nemetschek