Trump ist der ultimative Weckruf an ein politisch völlig verschlafenes Europa

Bildquelle: markteinblicke.de

War Diplomatie früher noch von höflicher Etikette geprägt, scheint heute der herzhafte Umgangston angesagt zu sein. So ist US-Präsident Trump das Gegenteil von Benimmpapst Knigge. Seine Auftritte beim Nato-Treffen und „G6 gegen 1-Gipfel“ erinnern an das Benehmen von Cäsar gegenüber seinen Vasallen. Mittlerweile hat es Frau Merkel sogar lieber mit Seehofer statt mit Trump zu tun.

Zum lieben Jungen wird Trump in seiner Amtszeit nicht mehr. Seinen Trumpisten in Amerika will er zeigen, dass er der einzig wahre Hamburger Royal TS (TS für Trump Style) ist, nicht nur ein gehaltloser Veggieburger. Es wird entweder bis zum 3. November 2020 oder im Extremfall bis 5. November 2024 dauern, bis sich mit seiner Abwahl bzw. seiner Nicht-Wiederwählbarkeit die politische Speisekarte der USA wieder ändert. Zu der Schlammschlacht eines Amtsenthebungsverfahrens werden es die Republikaner nicht kommen lassen, die nur den Demokraten nutzt. Würde Trump gehen, wenn ihm seine Russland-Connection um die Ohren fliegt? Nicht freiwillig! Wir sind wohl noch lange mit ihm „gesegnet“, auch mit seinen Launen der Marke Wackel-Dackel.

Das Ende der US-Führungsära müsste der Anfang der europäischen Leitkultur sein

Nach über 70 Jahren transatlantischer Freundschaft hat der amtierende Führer der freien Welt keinen Bock mehr auf Europa. Selbst für den ehemaligen Erzfeind Amerikas – Russland – scheint Trump mehr übrig zu haben.

Auf diesen dramatischen geopolitischen Strukturbruch müsste der zurechnungsfähige Teil des Westens – Europa – reagieren. Der europäische Hühnerhof, der sich bislang vom amerikanischen Hahn hat führen lassen, muss sich plötzlich emanzipieren, sozusagen entamerikanisieren, ein starkes Gegengewicht zu den USA bilden. Theoretisch bräuchten wir die Vereinigten Staaten von Europa.

Aber wie sieht es mit der praktischen Umsetzung aus? Bislang ist Europa nicht durch Zusammenhalt aufgefallen, eher als bürokratische Egoistenunion. Und ist es etwa ein Signal der Geschlossenheit, wenn ein großes Mitgliedsland die EU-Familie auch im Zwist verlassen will?

Europa muss raus aus seiner politischen Komfortzone

Doch wenn Europa nicht als Stück Parmesan in der geopolitischen Käsereibe enden will, muss es unverzüglich politischen Corpsgeist entwickeln. Um international ernst genommen zu werden, hat Europa die drei klassischen Staatsaufgaben zu erfüllen.

Erstens äußere Sicherheit: Die Sicherung der EU-Außengrenzen darf man keinem Fremden mit erpresserischen Eigeninteressen überlassen, dem sein eigenes Recht immer auch über Rechte anderer geht. War Europa nicht immer stolz darauf, die Wiege der Aufklärung, der modernen Demokratie und der Freiheit zu sein? Heiligt jetzt der Zweck der ausgelagerten Grenzsicherung – ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen – das Mittel der freien Interpretation von Menschenrechten? Europa macht sich hier unglaublich unglaubwürdig.

Zweitens innere Sicherheit. Der Terrorismus muss endlich länderübergreifend und mit allen technischen Möglichkeiten bekämpft werden. Die EU muss den Schutz von Leib, Leben und Eigentum leisten und als Gegenleistung Grundgesetz- bzw. allgemein Gesetzesgehorsam und ein friedliches Zusammenleben konsequent einfordern. Politisch überkorrekt oder tolerant gegenüber Intoleranz zu sein, ist der Anfang vom Ende der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Nur wenn sich die EU-Bürger sicher fühlen, werden sie diesen europäischen Vorzug zu schätzen wissen.

Drittens wirtschaftliches Wohlergehen: Wenn die Menschen den europäischen Makrokosmos nicht mit Wohlstand in ihrem Mikrokosmos verbinden, werden sie den Überbau irgendwann ablehnen. Kann man (jugendlichen) Arbeitslosen in Griechenland oder Italien wirklich verdenken, Europa-kritisch zu sein? Nach dem Wahlsieg Macrons ist das populistische Unkraut eben nicht beseitigt: Auch wenn man eine Streuobstwiese mäht, ist das Unkraut noch längst nicht verschwunden. Im Rahmen der vermutlichen Neuwahl in Italien im Herbst kann es durchaus wieder sprießen.

Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts!

Wenn Europa als von den USA verschmähte Handels-Geliebte jetzt mit China und Indien fremdgeht, um z.B. den deutschen Export zu retten, ist dies zwar eine logische Reaktion, jedoch nicht ohne Gefahr. Beide Länder sind schwierige Handelspartner. Es fehlt an Rechtssicherheit und Indien gilt als Weltmeister der Bürokratie. Zudem denken beide auch nur an sich. Sie wissen, dass Europa angeschlagen ist und nutzen dies aus. Sie werden uns gerne helfen, wenn sie eine Gegenleistung bekommen, z.B. das Freiticket zum Aufkauf europäischer und vor allem deutscher Industriekultur.

Europa muss sich um sich selbst kümmern: Europe first and together! Ich habe prinzipiell nichts gegen eine stärkere Verzahnung der nationalen Fiskalpolitik auf europäischer Ebene. Aber der Preis dieser neuen Gemeinsamkeit darf nicht instabilitätspolitischer Schlendrian sein. Als Alibi gemeinsam viele neue Schulden zum Wohle Europas zu machen, ist keine Lösung. Wenn sich viele finanz- und wirtschaftspolitisch Kranke in Europa zusammentun, wird daraus noch lange kein Gesunder.

Wirtschaftliche Gesundheit fußt auf soliden Standortbedingungen durch Reformen. Hinzu kommt der unbedingte Wille, die Digitalisierung nicht kampflos Asien und Amerika zu überlassen. Übrigens, europäische oder deutsche Unternehmen kennen keine Vaterlandsliebe. Sie sind läufig wie Straßenhunde. Wie auf einer Brautschau suchen sie sich den hübschesten Standort aus. Ist dieser nicht in Europa, gehen sie eben in die USA. Und wenn sie gehen, nehmen sie leider Arbeitsplätze mit. Nur ein wirtschaftlich attraktives Europa hält Unternehmen auf unserem Kontinent ähnlich fest wie Haftcreme das Gebiss. Und dann können wir übrigens auch anderen Ländern Regeln auferlegen und müssen uns nicht den ihrigen beugen.

Europa muss mehr sein als nur ein überdimensionierter Förderverein zur Rettung maroder Länder und Banken

Kritik an Trump ist definitiv gerechtfertigt. Würde man ihm eine Note geben, wäre es die „6“. Warum die „6“? Weil es die „7“ nicht gibt. Doch scheinen die Breitseiten, die momentan von deutschen Politikern über den großen Teich abgefeuert werden, viel mit dem deutschen Wahlkampf zu tun zu haben. Es kommt gut an, Anti-Trump zu sein. Warum wird dann aber ein anderer Staatspräsident an der südost-europäischen Peripherie wie ein rohes Ei behandelt? Ein Ausbund an Partnerschaftssinn ist dieser Herr auch nicht, oder? Im Zweifelsfalle ist Amerika wichtiger für uns. Und selbst acht Jahre Trump vergehen.

Immerhin dient Trump als ultimativer Weckruf, aus Europa viel mehr zu machen. Statt nur die Griechen herauszupauken oder für die Franzosen den Sozialarbeiter zu spielen, müssen unser EU-Politiker sofort Maßnahmen ergreifen, damit Europa langfristig geo- und wirtschaftspolitisch überlebt.

Wenn Europa sich jetzt nicht endlich auf sich selbst verlässt, ist es verlassen. Kann Europa New World Order? Nein, Europa muss es können!

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG:http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / markteinblicke.de