Noch liegen die Statistiken und Zahlen zum Kunstjahr 2022 nicht vor, der Trend dürfte aber klar sein: Während an der Börse ein Bärenmarkt regierte, war es in der Kunstwelt eher der Bulle, der tonangebend gewesen ist.
Das zeigen viele Highlights auf dem Auktionsmarkt. Diese grundsätzliche Freude über eine starke Entwicklung am Kunstmarkt wird massiv getrübt durch die Situation in Europa, wo im Osten seit Monaten ein wahnsinniger und völlig sinnloser Krieg herrscht. Bedingt durch eine galoppierende Inflation und wirtschaftliche Sorgen ist eines spürbar geworden: der Mittelstand, eine wichtige Käuferschicht für die Kunstwelt, teilt sich in zwei Lager: das eine Lager übt Kaufzurückhaltung, aus Sorge vor dem was kommt. Das andere Lager kauft Kunst, aus Sorge vor dem was kommt. Wie so häufig steht das Konsumverhalten in direkten Zusammenhang mit der persönlichen Lebenssituation und dem Blickwinkel auf ebendiese.
Ein Ausrufezeichen setzte ausgerechnet jener längst verstorbene Vertreter der gegenständlichen Kunst, über den der Spiegel einst „Botschafter des Banalen“ titelte. Gar nicht so banal war das Jahresergebnis seines Auktionsvolumens: 500 Millionen US-Dollar. Andy Warhol – ohnehin dauerhafter Gast in den jährlichen Auktions-Top-Ten, enterte wieder mal Platz 1 der Volumen-Hitparade, angetrieben vor allem durch den Verkauf seines Gemäldes der Marylin Monroe für 195 Millionen USD im Mai bei Christie’s in New York. Die Auktion an sich war eine Enttäuschung – man hatte mehr erwartet (sic!). Als Akteur der Kunstwelt ist man einiges gewöhnt, aber manchmal überrascht dann doch der Blick auf die Dinge.
Mit Andy Warhol verbunden sind die Namen Steve Schapiro (1934-2022), Ron Galella (1931-2022) und Douglas Kirkland (1934-2022), alle drei Ikonen der Fotografie-Welt, die Warhol immer wieder fotografiert haben. Sie – und nicht zu vergessen auch ihr großer Kollege der Modefotografie, William Klein (1926-2022), – sind im abgelaufenen Jahr verstorben. Für die Fotografie-Szene war es somit ein trauriges Jahr. Der Generationenwechsel ist im vollen Gange. Die Fotografen, die die Nachkriegszeit geprägt haben, gehen nach und nach und mit ihnen echte Dokumentaristen und Abenteurer, die mit ihren Kameras den Blick auf die Welt wesentlich geprägt haben.
Federn gelassen haben die NFTs. Gut so, ist man geneigt zu sagen. Nicht, weil das Thema nicht spannend und vielversprechend ist, sondern weil so mancher aberwitzigen Übertreibung der Gar ausgemacht wurde. Nicht jedes Katzenbildchen und nicht jeder geklonte Affe hat es verdient, durch gepeitschte Nachfrage in fünf- oder sechststellige Höhen getrieben zu werden. Während der Markt der NFT-Collectibles dramatisch eingebrochen ist, war das bei der NFT-Art gar nicht möglich. Schlicht weil das Volumen bis dato kein nennenswertes war. Mancher Galerist wird sich bestätigt fühlen – und vergisst dabei allzu leicht, welche Vorteile NFTs in Bezug auf Transparenz und Provenienz mit sich bringen. Die Chancen dieser neuen Technologie haben sich noch nicht im Bewusstsein der Kunstmarktteilnehmer durchgesetzt und so werden NFTs auf den großen Kunstmessen in Europa 2022 vergeblich gesucht. Ein Fehler wiederholt sich dabei: NFTs, dargestellt auf Bildschirmen, werden verglichen mit Gemälden an der Wand. Genauso regiert häufig die Annahme, dass ein einfaches digitales Abbild eines bereits bestehenden Werkes, ein sogenannter „Digital Twin“, die Innovation sein soll. Dass da viel mehr möglich ist, liegt auf der Hand – dennoch bleibt aus 2022 allzu oft ein Satz von Gesprächspartnern im Ohr: „Wer möchte denn Kunst auf einem Monitor an der Wand sehen?“ Andy Warhol kassierte in Deutschland zunächst Kopfschütteln für seine Kunst, als er von Gunter Sachs im Oktober 1972 das erste Mal in Hamburg gezeigt wurde. Ob NFTs einen ähnlichen Siegeszug durch die Kunst antreten werden wie Andy Warhol, ist schwer zu prognostizieren. Dass sie das Potenzial bieten, Kunst weiterzuentwickeln, steht außer Frage.
Das NFT-Ereignis des Jahres 2022 schaffte im Sommer ein ganz Großer der zeitgenössischen Kunst. Großartig inszeniert hatte Damian Hirst auf dem Höhepunkt des NFT-Hypes die Sammlung „The Currency“ geschaffen. 10.000 relativ unscheinbare NFT-Werke verkaufte er damals, denen jeweils ein physisch vorhandenes Bild zugrunde lag. Im Juni 2022 mussten sich dann die Eigentümer entscheiden, ob sie das NFT behalten, oder aber dieses gegen eine originale Papierarbeit tauschen möchten. Trotz der trüben Stimmung auf dem NFT -Markt: die knappe Hälfte, 4.851 Käufer, entschied sich für das NFT. Den anderen Teil der Papierarbeiten verbrannte Hirst im Rahmen eines Kunst-Events. Maximale Aufmerksamkeit und viele Millionen Euro Umsatz brachte ihm das ein. Hirst gelang es, wie keinem anderen aus der etablierten Kunstwelt, mit dem Thema zu spielen.
Dass Kunst polarisieren, zu Diskussionen anregen und die Gemüter erregen kann, bewies aber nicht nur Damian Hirst. Vor allem die fünfzehnte Ausgabe der documenta stand im Fokus des Kunstjahres 2022. Dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa wurde die kuratorische Leitung der alle fünf Jahre in Kassel stattfindenden Kunstmesse überlassen. Schon im Vorfeld der Eröffnung wurde Kritik laut, ob die Weltbühne in Kassel nicht für die Zurschaustellung antisemitischer Botschaften missbraucht werden würde.
Und so bediente die documenta fifteen, neben vielen und drängenden weltpolitischen Themen unserer Zeit, eben auch Klischees. Ein eindeutig judenfeindliches Banner wurde zunächst verhüllt und dann abgebaut. Der Skandal war perfekt und die Messe politisiert. Über die eigentliche Kunst wurde infolge relativ wenig diskutiert, was schade ist, denn die Themen hätten es hergegeben und der Hunger auf Kunst war im Jahr 2022 ohnhin groß genug.
Und so waren auch die Kunstmessen wieder reichlich besucht. Während 2020 die Umsätze in der Kunstwelt heftig eingebrochen waren – durch die Absage fast aller Kunstmessen konnten Angebot und Nachfrage nicht zusammenfinden – hatte das Jahr 2021 mit reduziertem Publikum stattgefunden, trotzdem erholte sich der Markt bereits. 2022 war die Lust der Menschen auf Kunstevents allerorts spürbar.
Zwar hatte der Markt auf die Pandemie zügig mit Digitalisierungsmaßnahmen reagiert, Online-Messeräume inszeniert, Online-Auktionen durchgeführt, aber das Kunst-Erlebnis stellte sich erst im vergangenen Jahr wieder ein. Etliches war also. Spektakuläres. Politisches. Rekordverdächtiges. Der Kunstmarkt hat sich in 2022 wieder als einer mit vielen Facetten präsentiert. In diesem Sinne: willkommen im Kunstjahr 2023!
Ein Beitrag von Arne von Neubeck
Er ist Gründer & Geschäftsführender Gesellschafter von The Global Fine Art. Das Augsburger Kunsthandelshaus verbindet die Leidenschaft für die Kunst mit der kaufmännischen Analyse von Kunstwerken.
www.tgfag.de
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