Wirecard und die Suche nach den Schuldigen

Bildquelle: Pressefoto Wirecard

Zu Beginn der neuen Woche deutet sich der Umfang des Desasters rund um Wirecard (WKN: 747206 / ISIN: DE0007472060) nur mühsam ab. Klarheit herrscht darüber, dass die 1,9 Mrd. Euro, die auf den Philippinen vermisst wurden, wohl nie existiert haben. Doch wie steht es sonst um Wirecard?

Bankguthaben bestehen offenbar nicht

Für den neuen Vorstand von Wirecard geht “aufgrund weiterer Prüfungen derzeit davon aus, dass die bisher zugunsten von Wirecard ausgewiesenen Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insg. 1,9 Mrd. Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen.” Das ist per se schon einmal harter Tobak. Die Folge: Die kommunizierten Daten zum vorläufigen Jahresabschluss sind nicht haltbar.

Folgen für die Vergangenheit

Der Vorstand nimmt sämtliche Prognosen der letzten Monate zurück und muss sich erst einmal ein Bild über den Schaden verschaffen. Wie groß der Schaden sein könnte, verät dieser Satz aus der heute nach verschickten Ad-hoc-Mitteilung: “Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden.” Sollten tatsächlich auch Jahresabschlüsse der letzten Jahre revidiert werden müssen, steht nicht nur das Wirecard-Management um den langjährigen Chef Markus Braun äußerst dumm da.

Abschussprüfer im Visier

Der Skandal würde unmittelbar auch die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young bzw. EY erreichen. Die Jahresabschlüsse der letzten Jahre wurden allesamt von EY angefertigt. Bleibt die Frage, warum in diesem Jahr plötzlich die Saldenbestätigungen nicht mehr anerkannt wurden. Ob das nur am ausgetauschten Treuhänder lag oder ob sich in der Zwischenzeit etwas fundamental geändert hat.

Fragen lassen muss sich auch KPMG, warum sie das Ergebnis des Sonderberichts nicht schärfer formuliert haben. Offensichtlich war ja bereits dort Unbehagen über die Geschäfte in Asien mit Dritten vorhanden.

Wo ist die BaFin?

An den Pranger gehört auch die BaFin, deren einzige Reaktion auf die letzten Vorwürfe der Financial Times ein Leerverkaufsverbot war. Erst vor kurzem kam die Finanzaufsicht dann auf den Trichter, genauer hinzusehen. Zu spät und zu wenig tiefgehend.

Die Razzia Anfang Juni im Zusammenhang mit einer Strafanzeige der BaFin wegen des Verdachts auf Marktmanipulation durch den Vorstand brachte offenbar nichts zu Tage. Zumindest hat man keine entsprechenden Ergebnisse vernommen. Doch statt sich den Handel anzusehen, wäre ein Blick in die Bücher wohl sinnvoller gewesen.

Fonds ohne eigene Expertise

Seit Mitte 2019 waren bekanntlich zahlreiche Fonds von DWS und Union Investment überdurchschnittlich bei Wirecard engagiert. Das Heulen über angebliche Täuschung durch das Management sollte man nun nicht ernst nehmen. Wenn DWS-Fondsmanager Tim Albrecht immerhin ankündigt auf seinen Bonus zu verzichten, ist das ein erster, wichtiger Schritt.

Fondsmanager sind hochbezahlte Profis, die deutlich mehr Marktkenntnis und -verständnis haben sollten als kleine Privatanleger. Wenn das Geschäftsmodell eines Unternehmen mehrfach kritisch hinterfragt wird, sollte es normal sein, vielleicht nicht einfach alles nachzuplapperen, was das Unternehmen sagt, sondern eigene Expertise aufbauen. Zumindest, wenn man sich mit Long-Positionen exponiert und wer in einem breiten Publikumsfonds 10 Prozent auf Wirecard setzt, egal ob vor 12, 6 oder 3 Monaten, sollte sich gute Antworten für seine Investoren parat legen.

Fazit

Noch immer ist unklar, ob und wie Wirecard den Skandal überlebt. Die Finanzierungsgespräche mit Banken laufen. Doch ob das reicht? Welches Unternehmen vertraut noch dem Skandal noch seine Abrechnung Wirecard an? Das kann eigentlich kein vernünftiger Kaufmann mehr tun.

Das wichtigste Learning für Anleger: Wo Rauch ist, ist meist auch Feuer. Sprich, wenn es Zweifel an einem Unternehmen gibt, dann nicht ohne Grund. Der Markt hat langfristig immer Recht. Die Weisheit der Millionen Markteilnehmer setzt sich früher oder später immer durch. Jeder Privatanleger, der sich dessen nicht bewusst war, sollte sein Lehrgeld bezahlen. Wir waren an dieser Stelle sicher auch nicht immer kritisch genug.

In diesem Sinne, bleiben Sie gesund und verlieren Sie Ihren Optimismus nicht.

Ihre marktEINBLICKE-Gründer
Christoph A. Scherbaum & Marc O. Schmidt

Bildquelle: Pressefoto Wirecard