Paradox? Produktivität sinkt – Lebensstandard steigt!

Bildquelle: markteinblicke.de

Notenbanken warnen davor, dass sinkendes Produktivitätswachstum das Wirtschaftswachstum begrenzt und zu einem stagnierenden Lebensstandard führt. Genau das Gegenteil könnte jedoch der Fall sein.

In den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt (Japan, EU) mangelt es an Investitionen

Sowohl Unternehmen als auch Privathaushalte investieren seit Jahren wenig. In den USA sinken die Investitionen inzwischen seit mehreren Quartalen. Das ist zu erheblichen Teilen auf die Ölpreisschwäche zurückzuführen. Allein der Ölsektor hat Dutzende Milliarden an Investitionen aufgeschoben oder gleich ganz gestrichen.

Es allein auf den Ölsektor zu schieben führt jedoch nicht weit. In den meisten Industrien kommt es zu einer nachlassenden Investitionstätigkeit. In der Folge schwächt sich das Produktivitätswachstum langsam aber sicher ab. Gestern veröffentlichte das US Arbeitsministerium Daten zum Produktivitätswachstum im zweiten Quartal 2016. Die Produktivität wuchs nicht, sondern fiel zum dritten Mal in Folge. Grafik 1 zeigt diesen Rückgang der Produktivität (als Index dargestellt) sowie den engen Zusammenhang zu den Investitionen.

Quelle: GodmodeTrader.de
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Auf längere Sicht ist die Korrelation nicht immer ganz so eindeutig und schön wie in dem Zeitraum 2009 bis 2016. Grafik 2 zeigt das Produktivitäts- und Investitionswachstum im gleitenden Zehnjahresdurchschnitt. Der Zusammenhang ist noch immer gut zu erkennen, die Korrelation bleibt auch hoch, doch phasenweise kommt es zu Abweichungen. So stieg das Produktivitätswachstum bis 2005 stark an, obwohl sich das Wachstum der Investitionen knapp 10 Jahre zuvor bereits abzuschwächen begann.

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Wie man es dreht und wendet, es kommt immer auf dasselbe hinaus: Ohne Investitionen kein Produktivitätswachstum

Das Produktivitätswachstum schwächt sich bereits seit vielen Jahren ab und ist nun in einigen Ländern, wie auch den USA, negativ. Notenbanken und Ökonomen blicken mit Sorge auf diese Entwicklung.

Es geht bei dieser Sorge nicht nur darum, dass das Wirtschaftswachstum geringer ausfällt als es ausfallen könnte, sondern auch um den Lebensstandard. Produktivität beschreibt ja nichts weiter als die Menge an Output, die durch Arbeit in einer bestimmten Zeit erreicht werden kann. Wird pro Arbeitnehmer immer weniger produziert, dann stehen auch weniger Produkte zur Verfügung, die verkauft werden können und für die Arbeitnehmer entlohnt werden.

In der Theorie führt steigende Produktivität dazu, dass mehr produziert wird und Arbeitnehmer entsprechend mehr verdienen. Vereinfacht ausgedrückt sollte es so sein: der Output steigt um 10 % und der Lohn steigt ebenfalls um 10 %. In der Praxis ist das nicht der Fall. Seit den 70er Jahren kam es zu einem deutlich langsameren Lohn- als Produktivitätswachstum. Es wurde also mehr produziert, doch die Löhne stiegen nicht im gleichen Ausmaß.

Die Reallöhne stagnierten oder sanken über viele Jahre hinweg. Das war auch bis vor kurzem in Deutschland der Fall. Wird immer mehr produziert, ohne dass die Löhne steigen, dann findet die Mehrproduktion irgendwann keine Abnehmer mehr. Bis zur Finanzkrise wurde dies gelöst, indem Konsumenten auf Kredit kauften.

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Nun lässt sich der Konsum nicht mehr auf Kredit finanzieren. In der Folge konnte sehr viel mehr produziert als abgenommen werden. Es kam zu Überkapazitäten. Diese können nur auf zwei Arten abgebaut werden: entweder sinken die Produktionskapazitäten oder die Löhne steigen schneller als die Produktivität.

Letzteres sehen wir gerade. Mehr Menschen kommen in Arbeit und verdienen real mehr. Dadurch können sie sich mehr leisten und die Überkapazität über einen längeren Zeitraum abbauen.

Es kommt so paradoxerweise gerade durch sinkende Produktivität zu einem Reallohnanstieg. Mittelfristig sollte man die sinkende Produktivität daher nicht verteufeln. Langfristig, wenn die Überkapazitäten erst einmal abgebaut sind, sieht es anders aus. Wird chronisch zu wenig investiert, kann es langfristig zu Engpässen und einem rasanten Anstieg der Inflation kommen. Dann sind die Reallohngewinne auch schnell wieder weg.

Lesen Sie dazu auch: Steigen die Zinsen auf sehr lange Sicht nicht mehr?

Autor: Clemens Schmale, Finanzmarktanalyst bei GodmodeTrader.de

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