Kunst und Krieg: Die Macht der Bilder

Bild: Nick Út: The Terror of War, 8. Juni 1972 © Nick Út / The Associated Press

Geschichte wiederholt sich. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern viel mehr eine Bittere in diesem Jahr 2022. Das freie Wort und das freie Bild sind hohe Güter, welche wir seit vielen Jahrzehnten als selbstverständlich wahrnehmen, die es in letzter Konsequenz aber zu verteidigen gilt. So manche – berechtigte – Kritik an der Institution Europäische Union hat viele in den letzten Jahren vergessen lassen, dass diese EU das höchste Gut sichergestellt hat: Frieden und Freiheit in Europa.

Es sind die Bilder, die einen derzeit teilhaben lassen an einem Krieg mitten in Europa. Während es in der Vergangenheit zumeist mutige Fotoreporter gewesen sind, die aus Krisenregionen berichtet haben, häufig unter Einsatz von Leib und Leben, sind es jetzt abertausend Handykameras, die tagtäglich zum Einsatz kommen und die Funktion der Krisen- und Kriegsberichterstattung stärken.

Dadurch hat sich die internationale Berichterstattung in den letzten Jahren drastisch verändert. Trotz dieser Fülle an Informationen und Bildmaterial bleibt eines aber weiterhin unklar, auch in der Ukraine: das Lagebild. Dieses sei unübersichtlich, ist häufig zu hören in den Medien, was belegt, dass selbst modernste Kommunikationsmittel den Wirren kriegerischen Auseinandersetzungen nicht folgen können. Genauso wie der Verstand dem Krieg nicht folgen kann.

Ein Bild geht um die Welt

Das berühmte Bild in seiner Gesamtheit – Nick Út: The Terror of War, 8. Juni 1972 © Nick Út / The Associated Press

Unübersichtlich war auch die Lage am 8. Juni 1972 in Trảng Bàng im Süden von Vietnam, als eines jener Bilder entstanden ist, das fortan zu den bekanntesten Fotos der Geschichte zählt.

Es war Huynh Cong Út, international bekannt als Nick Út, der, gerade einmal 21 Jahre alt, mitten im Krieg diese Aufnahme machte. Es zeigt die 9-Jährige Kim Phúc, die durch den Abwurf von Napalm-Bomben lebensgefährlich verletzt wurde.

Sie war ein unschuldiges Opfer, oder wie man heute zynisch sagen würde, vermutlich auch weil es harmloser klingt, ein „Kollateralschaden“ des Krieges. Das Foto wurde das World Press Photo 1972 und Nick Út erhielt daraufhin den Pulitzer-Preis.

Aufgrund der erschütternden Bildsprache hatte das Motiv bedeutenden Einfluss auf die Auseinandersetzung der amerikanischen Gesellschaft mit dem Krieg in Vietnam. Fast 50 Jahre nach seiner Entstehung, hat es an Aussagekraft für unnötiges Leid und Elend nicht verloren.

Nick Út (*1951) ist ein vietnamesisch-amerikanischer Fotograf, der seine Laufbahn im Fotolabor begann und in jungen Jahren als Kriegsfotograf durch das Bild der schwer verletzten 9-jährigen Phan Thi Kim Phúc berühmt wurde.

Nach Ende des Kriegs floh er in die USA und erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft. Seine komplette Laufbahn verbrachte er als Fotoreporter der Associated Press (AP).


Der ungarische Volksaufstand

Vor 66 Jahren war es der US-amerikanische Fotograf Russ Melcher, der auf der Suche nach dem einen aussagekräftigen Bild nach Budapest reiste, um den Ungarischen Volksaufstand zu dokumentieren. Die Ungarn hatten sich ab dem 23. Oktober 1956 in friedlichen Massenprotesten gegen das kommunistische Regime aufgelehnt und für Demokratie und Freiheit gekämpft.

Der Anfang vom Ende dieser Protestbewegung war das Eingreifen sowjetischer Truppen. Durch massiven militärischen Einsatz wurden die Demonstrationen am 15. November im Wesentlichen niedergeschlagen. Tausende wurden getötet oder verwundet. Die Suche nach diesem einen Bild, nach der Aufnahme, die die Titelseiten bestimmen sollte, war es, was ihn antrieb.

Eines schwingt dabei häufig mit, wie Russ Melcher, heute 91 Jahre alt, in einem persönlichen Gespräch im März feststellte: „Peace doesn’t sell“.

Bild: Russ Melcher: Heroes of Budapest, 30. Oktober 1956 ©

Russell W. Melcher (*1930) ist ein amerikanischer Fotograf, der im Zuge des Korea-Krieges nach Europa entsendet wurde und seit 1953 in Frankreich lebt. Melcher arbeitet in der Folge für verschiedene Agenturen und wurde 1966 Europa-Chef der legendären Fotoagentur Magnum. 1972 verließ er Magnum um für Magazine wie Paris Match zu fotografieren.


Die aktuellen Bilder in der Ukraine und die aus den vergangenen Konflikten gleichen sich. Zivilisten bewaffnen sich und Unschuldige werden Opfer eines sinnlosen Krieges. Kinder leiden und sterben. Genauso wie ihre Eltern und alte Menschen. Begleitet werden sie dabei nicht selten von Menschen mit der Kamera. Auch diese Fotografen bezahlen die eingegangenen Risiken immer wieder mit dem Leben.

So war bspw. Robert Capa (1913-1954) als Berichterstatter am D-Day vom 6. Juni 1945 beteiligt und landete mit seinen Kameraden am Omaha Beach. 1947 gründet er zusammen mit Henri Cartier-Bresson und andern die Fotoagentur Magnum. Er starb 1954 im Ersten Indochinakrieg, als er auf eine Mine trat.

Eine weitere war die deutsche Fotojournalistin Anja Niedringhaus (*1965), Pulitzer-Preis-Trägerin und erfahrene Reporterin aus Krisengebieten in Jugoslawien, Palästina oder dem Irak. Sie berichtete von den Wahlen von 2014 aus Afghanistan und wurde einen Tag vor ebendiesen erschossen.

Die dokumentarische Fotografie war bereits lange wichtiger Bestandteil von Journalen und Magazinen. Als Kunstform anerkannt wurde sie allerdings deutlich später, als an ihr zunehmend die scharfe und objektive Wiedergabe der Realität geschätzt wurde. Durch die konkrete Ausdrucksform entwickelte Fotografie in Kriegen herausragende dokumentarische Bedeutung und wurde so zum Treiber für die Veränderung von Gesellschaften. Heute ist die Fotografie längst fester Bestandteil des Kunstmarktes.

Krieg in anderen Kunstformen

Aber auch andere Kunstformen sind selbstverständlich von großer Wichtigkeit, wenn es um kriegerische Themen geht. Berühmte Malerinnen und Maler haben sich mit den Folgen von Kriegen auseinandergesetzt. Der Erste Weltkrieg war bspw. Thema bei Max Beckmann, Emil Nolde oder Otto Dix.

Dix hatte als Soldat die Schrecken des Kriegs selbst erlebt und dies in seinen Bildern verarbeitet – verwüstete Landschaften, verrückt gewordene Soldaten, Tod und Elend. Zeitlich viel früher hatte Francisco Goya (1746-1828) zwischen den Jahren 1810-14 in zahlreichen Radierungen die „Schrecken des Krieges“ aufgezeigt.

Anlass waren die Gräueltaten der Soldaten Napoleons gegenüber der spanischen Bevölkerung, die sich gegen die Besatzung aufgelehnt hatte.

Nachbildung des Picasso-Gemäldes auf Fliesen als Wandbild in Originalgröße in der baskischen Stadt Guernica. (Bildquelle: Pixabay / Almudena_Sanz_Tabernero)

Eines der berühmtesten Anti-Kriegs-Werke stammt von Pablo Picasso. Das Mammut-Werk Guernica (7,77 x 3,49 m), war die Reaktion, man ist geneigt zu sagen Inspiration, für Picasso. Die Legion Condor der deutschen Wehrmacht hatte mit italienischer Unterstützung die gleichnamig baskische Kleinstadt am 26. April 1937 bombardiert.

Das Ereignis selbst löste Empörung und Proteste aus, war Anlass für umfassende Propaganda, blieb aber letztlich ohne Folgen für die Aggressoren. Zwei Jahre später begann der Zweite Weltkrieg.

Das Bild von Picasso wirkt barbarisch und grausam, zeigt Verstümmelungen, aufgerissene Münder und tote Menschen. Es verkörpere den Aufschrei der Wut, sei ein Aufruf zum Widerstand, so die Beobachter, und es sorgte für schockierte Reaktionen.

Es zeigt aber kein Blut und bleibt dadurch für den flüchtigen Betrachter eher abstrakt. Die Schrecken des Krieges zeigen Fotografien häufig konkreter und übertragen das Leid deswegen in die Welt. Vor allem Fotografien wurden so zum führenden Medium beim Transport der Gräuel des Krieges.

Krieg war immer wieder Thema in der Aufarbeitung, seit Jahrhunderten. Er ist zunächst abstrakt dargestellt worden und dann zunehmend konkreter. Seit vielen Jahren kann man ihn nicht selten live verfolgen – die Sinnlosigkeit und Schrecklichkeit immer vor Augen geführt. Was die Frage aufwirft: Warum wiederholt sich Geschichte?

Ein Beitrag von Arne von Neubeck

Er ist Gründer & Geschäftsführender Gesellschafter von The Global Fine Art. Das Augsburger Kunsthandelshaus verbindet die Leidenschaft für die Kunst mit der kaufmännischen Analyse von Kunstwerken.
www.tgfag.de

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Bild: Nick Út: The Terror of War, 8. Juni 1972 © Nick Út / The Associated Press