China ist nicht mehr the one and only unter den Emerging Markets. Aktienmärkte anderer Schwellenländer entwickeln sich unabhängig vom ehemaligen Zentralgestirn aus eigener Kraft positiv. Hilfreich für sie wirkt auch die zukünftig zinsentspannend auftretende Fed. So gewinnen ihre Währungen Aufwertungspotenzial, was importierten Preisdruck bremst und den Emerging Markets ihrerseits Spielraum für Zinssenkungen gibt.
Zwischenzeitlich verhaltene Zinssenkungsphantasien in Amerika sorgen zwar über einen im Trend wieder festeren US-Dollar noch für Sand im Getriebe von Schwellenland-Aktien.
Zinssenkungen werden sich aber dennoch manifestieren, die weit vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November sogar stärker ausfallen können, um der Fed nicht den Vorwurf der Wahlbeeinflussung einzuhandeln. Das spricht perspektivisch für stabile Währungen der Schwellenländer, beugt Kapitalflucht vor und tut der Aufwärtsbewegung ihrer Aktienbörsen gut.
Zudem verbilligt ein moderaterer Dollar mit geringerer Zinslast den Schuldendienst der Emerging Markets, die ihre Kredite mehrheitlich in US-Valuta aufnehmen. Das bringt Amerika ebenso geopolitische Vorteile. Es stabilisiert die Bindung Südamerikas und Asiens an die Weltleitwährung Dollar. Insgesamt sollen die immer bedeutender werdenden Schwellenländer nicht in die Hände des Erzrivalen China getrieben werden, sondern den USA möglichst wohlgesonnen bleiben.
Der Erholungsprozess der Schwellenländer ist unverkennbar
Das bislang konjunkturelle Zugpferd China hat allerdings viel an Zugkraft verloren, was an den Aktienmärkten auch aufgrund immer neuer staatlicher Eingriffe negativen Niederschlag findet. Mit den alten planwirtschaftlichen Rezepten wird China kaum wieder zur alten Stärke zurückkommen. Immerhin betreibt Peking vor dem chinesischen Neujahrsfest mit Stützungskäufen Schadensbegrenzung an den heimischen Börsen.
Grundsätzlich nimmt die Bereitschaft der Anleger zur Differenzierung unter Schwellenländern zu. Die klassische Sippenhaft, wonach bei Krisen einzelner alle über einen Kamm geschert werden, ist längst aufgebrochen.
Indien nutzt geschickt das geopolitische und wirtschaftliche Vakuum Chinas sowie die Differenzen zwischen Washington und Peking, um sich als Alternative hervorzuheben. Mit seiner voranschreitenden Investitionsoffensive will es bis 2030 den Aufstieg unter die drei größten Volkswirtschaften schaffen. Ein Sieg der aktuellen Regierungspartei von Präsident Modi bei den bevorstehenden Parlamentswahlen im Frühjahr gilt als wahrscheinlich und würde den Wachstumskurs Indiens weiter untermauern. Laut Internationalem Währungsfonds soll die indische Wirtschaft 2024 mit 6,5 Prozent stärker als die chinesische und mehr als doppelt so stark zulegen wie die Weltwirtschaft. Die Börsen reagieren entsprechend.
Auch Länder wie Mexiko und Brasilien und ihre Aktienmärkte profitieren von der fortschreitenden Verschiebung der US-Lieferketten von China in die direkte amerikanische Nachbarschaft. Denn US-Investitionen ziehen zusätzliche Aufträge für die heimische Industrie nach sich.
Und Südkorea und Taiwan sind in puncto High-Tech und Digitalisierung mittlerweile unverzichtbare globale Schwergewichte mit qualitativ immer höherem Reifegrad. Apropos Taiwan, eine Invasion macht für die Chinesen wenig sind. Sie würden den Zugang zu hochleistungsfähigen Halbleitern verlieren und damit ihre wirtschaftlichen Probleme weiter erhöhen. Nicht zuletzt würden sie zum Paria-Staat. Dagegen spricht auch, dass die westliche Welt an der Ein-China-Politik festhält und Taiwan insofern nicht als eigenständigen Staat anerkennt. Auch diese Länder bieten positive Aktien-Perspektiven.
Dennoch befinden sich Aktien der Schwellenländer im „Sonderangebot“. Im Vergleich vor allem zu den USA verfügen sie über ein deutlich niedrigeres Kurs-Gewinn-Verhältnis. Das verleiht ihnen grundsätzlich weiteres Nachholpotenzial.
Nicht zuletzt überflügelt das auf 12-Monatssicht erwartete Gewinnwachstum der Schwellenländer das der etablierten Industrieländer klar.
Ohnehin ist der Begriff „Schwellenländer“ immer weniger zutreffend. Politische Reibungsverluste sind zwar noch vorhanden, ihre Dimension hat jedoch nachgelassen. Überhaupt hat sich die Qualität der Unternehmensbilanzen und Corporate Governance erheblich verbessert. Frühere Black Box-Modelle sind deutlich auf dem Rückzug.
Schwellenländer-Anleihen als Alternative?
Staatsanleihen der Schwellenländer sind für risikofreudigere Anleger als Portfoliobeimischung interessant. So bieten 10-jährige Staatspapiere in Indien immer noch Renditen von rund sieben, in Mexiko und Brasilien sogar von neun und zehn Prozent.
Dass sich der Desinflationstrend auch in den Emerging Markets fortsetzt, spricht perspektivisch ebenso für ein Ende der dortigen geldpolitischen Restriktion. So hat die brasilianische Notenbank seit Sommer 2023 den Leitzins bereits um 2,5 Prozentpunkte gesenkt. Positive Ausstrahleffekte auf Anleihekurse sind zu erwarten.
Marktlage – Tech-Aktien als Alleinunterhalter…noch
Am US-Aktienmarkt geht die Jagd nach neuen Allzeithochs vor allem auf die bekannten dicken Fische aus dem High-Tech Bereich zurück. Dabei scheint es Anleger wenig zu stören, dass die Gewinnrendite der teuren US-Techwerte unter der Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen liegt.
Denn die Tech-Schwergewichte halten die an sie gerichteten Wachstumserwartungen eindrucksvoll und rechtfertigen damit bislang ihre Top-Bewertungen. Tatsächlich haben die „Magnificent Seven“ ihren Umsatz im Vorjahresvergleich im Durchschnitt siebenmal stärker gesteigert als der Rest der Unternehmen aus dem S&P 500 und arbeiten zweieinhalbmal profitabler.
Allerdings bleibt die gleichgewichtete Variante des S&P 500 – bereinigt also um die starke Übergewichtung der Tech-Champions – hinter dem klassischen Index zurück, was eine nur geringe Marktbreite anzeigt.
Doch bieten in Amerika auch konjunkturzyklische Werte zukünftig eine Alternative, die deutlich günstiger zu haben sind und vom soft landing der US-Wirtschaft und von Steuer- und Wirtschaftserleichterungen in einer mutmaßlich zweiten Amtszeit Trumps profitieren. Ein grundsätzlich widerstandsfähiger US-Arbeitsmarkt untermauert die positiven Aussichten für Konsumtitel. Finanzwerte profitieren von einer im Zeitablauf wieder abnehmenden Risikovorsorge bei steigender Kreditnachfrage. Und für Industrietitel allgemein überbrachte zuletzt der Welt-Frühzykliker Caterpillar eine wieder frohere Konjunktur-Botschaft.
Tatsächlich, die Welt-Börsen erhalten durch eine positiv überraschende Weltkonjunktur wieder mehr fundamentale Unterstützung.
Sentiment und Charttechnik DAX – Konsolidierung auf hohem Niveau
Neue Allzeithochs kann der DAX bislang zwar noch nicht erreichen. Doch Moll-Stimmung kommt ebenfalls nicht auf. Und seine Volatilität ist alles andere als mit Sorge zu betrachten.
Insgesamt sind die Zutaten für eine Fortsetzung der Rallye weiter vorhanden. Daher sollten Anleger zwischenzeitliche Rücksetzer als willkommene Kaufgelegenheit nutzen.
Charttechnisch liegen bei fortgesetzter Aufwärtsbewegung die nächsten Widerstände bei 17.003, 17.005 und 17.018 Punkten. Darüber liegen weitere Barrieren bei 17.050, 17.068, 17.115, 17.173 und 17.179. Setzt der Index zur Gegenbewegung nach unten an, trifft er bei 16.965, 16.917 und 16.889 auf erste Unterstützungen. Darunter liegen die nächsten Haltelinien bei 16.850, 16.825, 16.815, 16.752 und 16.750 Punkten.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
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