Wahrscheinlichkeit einer EZB-Leitzinssenkung steigt

Die schwache konjunkturelle Situation in der Eurozone könnte die Europäische Zentralbank zum Handeln zwingen.

(Bildquelle: Pressefoto Europäische Zentralbank)

Sowohl der IWF als auch die OECD haben kürzlich ihre aktualisierten globalen Wachstumsprognosen veröffentlicht. Dabei wurde die Erwartung an das Weltwirtschaftswachstum jeweils leicht nach oben revidiert. Mit insgesamt rund 3 Prozent im laufenden Jahr 2024 fällt es aber weiterhin im historischen Kontext schwach aus. Wachstumstreiber bleibt die Region Südostasien, vor allem Indien und Indonesien sowie mit Abstrichen China.

US-Konjunktur zeigt sich robust

Die Prognosen für die USA wurden nach oben revidiert. Erwartet wird zwar weiterhin eine wirtschaftliche Abkühlung im Vergleich zum Vorjahr, allerdings dürfte das Wachstum mit gut 2 Prozent 2024 nur leicht geringer ausfallen als in 2023. Aktuell befindet sich die US-Konjunktur in einer sehr robusten Verfassung, wie die jüngsten Veröffentlichungen der ISM-Einkaufsmanagerindizes untermauerten.

Sowohl im Dienstleistungsbereich als auch in der Industrie stieg die Unternehmensstimmung deutlich an. Mit steigenden Beschäftigungsaussichten und zunehmenden Auftragseingängen gingen allerdings auch erneut steigende Preiserwartungen einher. Unter anderem bewirkt die weiterhin sehr gute Auslastung am Arbeitsmarkt – mit einer Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent und 317.000 neu geschaffenen Stellen im Segment der privaten Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft im Januar – erneut einen stärkeren Anstieg der durchschnittlichen Stundenlöhne.

Damit besteht aus heutiger Sicht noch keine Veranlassung für die US-Notenbank Fed, die Leitzinsen zu senken. Allerdings dürften die deutlich erhöhten Zinsniveaus über gestiegene Kreditkonditionen sowie die anhaltende Krise im Segment der gewerblichen Immobilienfinanzierungen mit teilweise erheblichen Belastungen des US-Regionalbankensektors künftig für eine leichte konjunkturelle Abkühlung sorgen und der Fed im Sommer erste Leitzinssenkungen ermöglichen.

Deutschland bleibt Schlusslicht

Demgegenüber wurden die Wachstumserwartungen für die Eurozone vom IWF auf nur noch knapp 1 Prozent in 2024 nach unten revidiert. Schlusslicht bleibt vorerst Deutschland mit einem prognostizierten Wachstum von 0,3 bis 0,5 Prozent. Im ersten Quartal dürfte zunächst eine Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung erfolgen, vor allem aufgrund eines immer offensichtlicheren Auftragsmangels bei vielen Dienstleistern und Industrieunternehmen.

Zwar wurde für Dezember ein überraschend deutlicher Anstieg der Auftragseingänge für die Industrie um 8,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat bekannt gegeben, allerdings fußt dieser vor allem auf wenige Großaufträge im Segment Flugzeugbau. Ohne diesen Sondereffekt fielen die Aufträge um 2,2 Prozent.

Eine leichte Besserung dürfte in den kommenden Monaten durch die erwartete leichte Belebung der Konjunktur in wichtigen europäischen Exportabnehmerstaaten sowie die hohe Dynamik in Asien erfolgen. Zudem haben zuletzt viele Unternehmen aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschwäche ihre Lager deutlich abgebaut und dürften diese in der Erwartung einer künftigen wirtschaftlichen Dynamisierung wieder stärker auffüllen.

Hohe Abhängigkeit von China

Trotz dieser leichten zyklischen Erholung wird Deutschlands Wirtschaft aber weiterhin durch diverse strukturelle Wachstumsbremser, wie hohe Energiepreise und Lohnnebenkosten, den Arbeits- und Fachkräftemangel sowie eine langwierige Bürokratie zurückgehalten. Ein aktueller Beleg dafür ist eine kürzlich veröffentlichte Studie der OECD, nach der es selbst für sehr gut ausgebildete ausländische Fachkräfte sehr schwierig ist, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen.

Neben regulatorischen Hürden, werden zudem sprachliche Hürden und eine vielfach nicht vorhandene Willkommenskultur genannt, die einen stärkeren Zuzug verhindern. Offensichtlich können also Politik, Unternehmen und Gesellschaft allesamt etwas unternehmen.

Zudem sollte die beabsichtigte und sinnvolle Reduzierung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten Deutschlands gegenüber China mit Bedacht erfolgen. Eine Ausarbeitung der Bundesbank zeigt, dass bei bestimmten Produktkategorien wie Seltenen Erden, Laptops oder Solarpanels ein außerordentlich hoher Anteil der deutschen Importe aus China stammen und China gleichzeitig einen Anteil an der Weltproduktion von teilweise bis zu 90 Prozent hat.

Eine abrupte Abkopplung von China hätte daher massiv negative Auswirkungen auf die Wachstumsdynamik in Deutschland. Gemäß Kiel Institut für Weltwirtschaft könnte die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung sofort um bis zu 5 Prozent einbrechen. Bei einem sukzessiven Abbau von Abhängigkeiten könnte man diesen Effekt hingegen eingrenzen.

Die schwache konjunkturelle Situation dürfte allerdings den inflationären Druck in der Eurozone weiter absenken, so dass für die EZB die Wahrscheinlichkeit einer ersten Leitzinssenkung im April steigt.

Ein Kommentar von Carsten Mumm

Er ist Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Das Traditionshaus mit Sitz in Hamburg und München setzt auf qualifizierte und umfassende Beratung für vermögende Privatkunden, Unternehmer, Immobilienkunden und institutionelle Kunden.

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Bildquelle: Donner & Reuschel