Ist die Happy Hour an den Finanzmärkten vorbei?

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Aufgehellte Konjunkturprojektionen in der Eurozone – auch die Weltbank hat die Wachstumsprognose 2015 von 1,1 auf 1,5 Prozent angehoben – und steigende Inflationserwartungen machen sich in wieder steigenden Renditen bei Staatsanleihen der Euro-Länder bemerkbar. Und angesichts der vermeintlich erfolgreichen reflationierenden Wirkung der Anleiheaufkäufe der EZB wird bereits über deren vorgezogenes Ende spekuliert.

Bislang hatte die Liquiditätshausse der EZB die Attraktivität von Zinsanlagen immer mehr geschmälert, damit den Euro abgewertet und eine beispiellose Aktien- bzw. Exporthausse losgetreten. Im II. Quartal jedoch hat sich der Umkehrschwung eingestellt. Die Entwicklungen von Bund Future, Euro/US-Dollar-Wechselkurs und DAX seit dessen Höchststand am 10. April sprechen eine deutliche Sprache.

Für besondere Marktunsicherheit sorgen Bemerkungen von EZB-Präsident Draghi selbst, wonach sich die Anleihemärkte an Phasen mit höherer Renditevolatilität gewöhnen müssten. Für viele Marktteilnehmer zieht die EZB damit ihre eigene Rettungsmission in Zweifel. Damit leitet ausgerechnet Draghi Wasser auf die Mühlen US-amerikanischer Anleihemanager, die seit Wochen auf die Renditewende in der Eurozone wetten. Als Ausdruck der Verunsicherung zeigt sich die Renditevolatilität im Bund Future bereits wieder auf einem Niveau wie zuletzt im Jahr der Euro-Staatsschuldenkrise 2012.

Für eine nachhaltige Renditewende nach oben fehlen die fundamentalen Argumente

Eine nachhaltige Inflationsbeschleunigung in der Eurozone, die das Ende der geldpolitischen Lockerung begründen würde, ist aber nicht zu erwarten. Zwar dürfte die Preissteigerung – aktuell 0,3 Prozent zum Vorjahr – ihr Tal durchschritten haben. Hintergrund ist insbesondere die Erholung des Rohölpreises seit Jahresbeginn. Grundsätzlich dürfte dieser bis Jahresende zwar noch weiter steigen. Mit Blick auf ausbleibende Produktionskürzungen der OPEC ist jedoch keine drastische Ölpreiserhöhung und damit auch kein deutlicher Inflationseffekt zu erwarten.

Im Gegensatz zum Ölpreis hat die steigende Liquiditätsausstattung in der Eurozone noch keinen entsprechenden Effekt auf die Preissteigerung. Im Gegenteil, um das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent zu erreichen, ist die langfristige Fortsetzung der Liquiditätszuführung dringend erforderlich.

Ohnehin bleibt ein nachhaltiger Wirtschaftsaufschwung in der Eurozone, der auch die Inflation antriebe, Utopie. Ein massives Handicap bleibt die schwache Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte. Nach dem dramatischen Einbruch in Folge der Euro-Staatsschuldenkrise zeigt sich zwar eine Verbesserung, doch im Vorjahresvergleich bauen Kreditinstitute netto immer noch Kreditengagements ab. Die konjunkturelle Unterstützung der Eurozone seitens der EZB ist ein Marathonlauf, kein Sprint.

Nicht nur in der Eurozone und Deutschland zeigt sich die Konjunkturstimmung zuletzt verhaltener. Auch in Asien, Japan und den USA überwiegen laut Finanzdatenanbieter Sentix für die kommenden sechs Monate eher moderatere Konjunkturtöne.

Weltweit ist das Problem eher De- weniger Inflation

Damit bleibt auch weltweit der Inflationsdruck begrenzt. Dafür sorgt auch die Rohstoffpreisentwicklung insgesamt. Nach deutlichem Rückgang von ihrem Hoch im September 2011 von 5,2 Prozent hat sich laut IWF die Welt-Inflationsrate zuletzt nur leicht auf etwa 2,7 Prozent stabilisiert.

Die konjunkturell und rohstoffseitig bedingt schwache Inflation ist eine Sorge der internationalen Notenbanken. Sie fürchten einen Rückfall in die Deflation, der sie mit reflationierenden Zinssenkungen entgegenwirken wollen. Der Welt-Notenbankzins – gemessen als gleichgewichteter Durchschnitt der Leitzinsen der Eurozone, Japans, der USA, des Vereinigten Königreichs, Kanadas, China und Indiens – hat sich weiter abgeschwächt.

Ein besonderes Inflationssorgenkind ist China. Das Land zeigt seit Mitte 2013 eine klar rückläufige Preisentwicklung. Die Inflation liegt für eine der bedeutendsten Weltkonjunktur-Lokomotiven auf ungewöhnlich niedrigem Niveau von zuletzt 1,2 Prozent. Auch um die chinesische Tripleblase – Immobilien-, Kredit- und Aktienblase – nicht zum Bersten zu bringen, hat die chinesische Notenbank ihren Leitzins auf ein historisch tiefes Niveau gesenkt.

Neben dem IWF betonte zuletzt ebenso die Weltbank die Gefahren einer US-Leitzinswende für die Volkswirtschaften in den Schwellenländern. Sie könnte zu einem investitionsunfreundlichen Kapitalabzug in die USA führen. Über die globale Bedeutung ihrer Zinspolitik ist sich die US-Notenbank sehr bewusst. Dies ist auch ein Grund, warum sich Fed-Präsidentin Janet Yellen in ihren Zinsäußerungen nach allen Seiten biegsam – wie eine Schlangenfrau – zeigt. Sie will sich alle Zins-Hintertürchen offen halten.

Eine nachhaltige Renditewende nach oben würde das Vertrauen in die EZB torpedieren

Die EZB ist die entscheidende „Vertrauensperson“ der Eurozone. Als zentrale Rettungsinstitution kann sie kein Misstrauen der Finanzmärkte in ihre Rettungspolitik riskieren. Ansonsten wären erneut heftigen Spekulationen auf steigende Staatsanleiherenditen der Euro-Länder und damit einer Euro-Krise 2.0 Tür und Tor geöffnet.

So bestätigte EZB-Direktoriumsmitglied Coeré bereits, dass man übermäßige Marktbewegungen nicht tolerieren werde. Ohnehin verpasst die EZB keine Gelegenheit, zu versichern, dass sie ihr im März begonnenes Anleiheaufkaufprogramm zur Stabilisierung von Konjunktur und Finanzmärkten planmäßig bis September 2016 umsetzten und nicht vorzeitig einschränken oder gar beenden werde.

In der Griechenland-Frage geht es um den Machtkampf zwischen Geo- und Finanzpolitik

Die mittlerweile fünfmonatige Verhandlungsrunde im griechischen Schuldenstreit hat bereits zu irreparablen Vertrauensschäden für die Stabilitätskultur in der Eurozone geführt. Wenn Athen als Kreditnehmer – der sich unverantwortlich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, die kleinste Reformanstrengung zu unternehmen, um der volkswirtschaftlichen Misere zu entkommen und auch noch jeder goldenen Brücke, jedem Friedensangebot der Kreditgeber barsch die kalte Schulter zeigt – den Kreditgebern die Bedingungen für einen Schuldenkompromiss diktiert, soll bitte kein Euro-Politiker mehr ernsthaft von Europäischer Stabilitätsunion sprechen. Jedoch war genau diese die Bedingung, um überhaupt die Währungsunion zu gründen, um die Deutschen von der Aufgabe ihrer heiß geliebten Mark zu überzeugen und ihnen den Euro schmackhaft zu machen. Allerspätestens jetzt geböte es die finanzpolitische Vernunft, Griechenland eine Zukunft außerhalb der Eurozone zu gewähren, damit die Stabilitätsunion nicht als große Lüge enttarnt wird und sich Politiker nicht im höchsten Grad unglaubwürdig machen.

Und warum sind dann Politiker nicht endlich finanzpolitisch konsequent, zumindest so konsequent wie der IWF, der eine deutlich härtere Gangart gegen Athen zeigt? Eben weil es Politiker sind. Sie scheuen sich vor den Konsequenzen eines Grexit. Einen Austritt eines Landes aus einer Währungsunion gab es in der Neuzeit noch nie. Das wäre ein finanzpolitischer Feldversuch mit vermeintlich unkalkulierbaren Risiken und Nebenwirkungen für die Eurozone, für die Staatsanleihemärkte, für die Konjunktur und für die Politiker selbst.

Für die Politiker steht politisch viel auf dem Spiel. Niemand von ihnen will sich angesichts einer griechischen Pleite und eines Grexit die peinliche Blöße geben, dass dann all die teuren Hilfsmaßnahmen für Griechenland seit fünf Jahren umsonst gewesen sind und allein der deutsche Steuerzahler ca. 80 Mrd. Euro öffentlicher Gelder abschreiben kann. Dabei wissen sie längst, dass die griechischen Schulden auch bei einem Verbleib des Landes im Euroraum niemals zurückgezahlt werden.

Und als Zugabe hätten sie dann auch noch die meisten Maastricht-Stabilitätskriterien umsonst auf dem Altar der Solidarität zu Griechenland geopfert, ohne dass man das Land in der heiligen Euro-Familie halten konnte. Ohnehin gibt kein Euro-Politiker gerne zu, dass der Beitritt Griechenlands zur Eurozone ein Fehler gewesen ist. Überhaupt, wie will man erklären, dass man der Ukraine – einem Land, das schuldentechnisch längst jenseits von Gut und Böse und noch nicht einmal in der EU ist – großzügig finanzielle Unterstützung gewährt, wenn man das eigene Euro-Familienmitglied hartherzig in die Pleite schickt?

Vor allem aber geht es um knallharte geopolitische, geostrategische Gründe für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Herr Obama wird Frau Merkel auf dem G7-Gipfel in Bayern – zwischen Pusteblumen und Löwenzahn – sehr deutlich die Marschrichtung vorgegeben haben, den Status Quo zu bewahren. Die USA fürchten, dass das Nato-Land außerhalb der Eurozone leichte Beute für Russland und somit die östliche Mittelmeerregion instabil werden könnte. In der Tat hat dieses Argument seine Berechtigung.

Vor diesem geopolitischen Hintergrund will die EU-Kommission einen Deal mit Griechenland um jeden Preis, notfalls auch in Form eines stinkendfaulen Reformkompromisses. Denn Herr Tsipras als bekennender Linksradikaler wird definitiv keine großen, notwendigen wirtschaftsliberalen Reformen in Griechenland umsetzen, für die er weder Wahlkampf gemacht hat noch für die er ein Wählermandat besitzt. Eine nochmalige Verlängerung der Hilfszusagen von Ende Juni bis z.B. März 2016, um Zeit zu gewinnen, wäre so ein typischer europäischer Kompromiss. So kann die griechische Regierung stolz vor ihre Wähler treten, sie habe sich nicht verbiegen lassen, der starke griechische Herkules habe es den Ungeheuern in Brüssel und Berlin einmal so richtig gezeigt. Und die Gläubigerstaaten können verkünden, dass Griechenland auf dem richtigen Weg ist, vom Reform-Saulus zum Reform-Paulus zu werden. Die Rechtfertigung für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist damit erbracht.

Die politische Schlacht um den Zusammenhalt der Euro-Familie wäre zwar gewonnen, aber der Krieg um eine finanzpolitisch stabile Eurozone ginge verloren

Der Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist jedoch nur ein Pyrrhus-Sieg. Es mag zuerst einmal Ruhe in den Euro-Karton einkehren, aber es ist nur eine trügerische Ruhe. Denn bedenken wir auch die längerfristigen Folgen des Euro-politischen Wegs des geringsten Widerstandes. Ein finanzpolitisch hoch instabiles Griechenland mit einer wettbewerbs- und reformunwilligen Regierung würde die Eurozone schwächen. Die für Griechenland hoffähig gemachte, mangelnde Reform- und damit Wettbewerbsfähigkeit wird in anderen Euro-Ländern streuen und auch dort das Wachstum begrenzen und die Schulden weiter hochtreiben. Insgesamt wird die gesamte Eurozone am Ende verarmen und gegenüber den großen Wirtschaftsregionen der Welt nicht mehr ernst genommen.

Es gilt abzuwägen: Schadet Griechenland mehr innerhalb oder außerhalb der Eurozone. Insgesamt betrachtet ist der Verbleib ein zu hoher Preis.

Die Entscheidung für einen Grexit hielte die Eurozone aus. Zunächst würde es sicher nicht einfach: Der Sommer 2015 an den europäischen Finanzmärkten würde sicherlich volatil und es käme auch zu erheblichen Kurskonsolidierungen an den Renten- und Aktienmärkten. Doch dieser Preis sollte gerne bezahlt werden. Denn im Herbst hätten sich die Finanzmärkte mit tatkräftiger Hilfe der EZB wie nach einem reinigenden Gewitter wieder abgekühlt. Die Märkte hätten dann begriffen, dass es nicht um die Rettung Griechenlands in der Eurozone ging, sondern um die Rettung der Eurozone vor der griechischen Finanzunkultur.

Lieber Grexit als Brexit! Großbritannien, ein Land, das Wettbewerbsfähigkeit, Privatwirtschaft und Haushaltskonsolidierung groß schreibt, darf die EU nie verlassen. Ansonsten sind die schuldengläubigen Gutmenschen unter sich.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung

Der Non-Grexit würde zwar kurzfristig zu einer deutlichen Beruhigung an den Euro-Finanzmärkten führen, denn die Kuh wäre einstweilen vom Eis. Das Problem ist aber, dass die Kuh immer wieder auf das Eis zurückläuft und die Gefahr für Anleihen und Aktien darin besteht, dass bei zukünftig erforderlichen Rettungsaktionen auch die Gläubigerländer im Eis einbrechen können.

Zuletzt haben Anleger Anleihen nicht unbedingt verkauft, weil sie einen Strukturbruch der Geldpolitik befürchten. Sie haben vorbeugend verkauft, um sich einem theoretischen geldpolitischen Risiko nicht auszusetzen und insbesondere, um ihre gewaltigen Buchgewinne zu sichern. Dies gilt auch für Aktienverkäufe, um die Performance des starken I. Quartals zu sichern. Insbesondere große institutionelle Anleger halten in der typischerweise impulsarmen Sommerzeit dann zunächst Kasse, um bei positiven Aktienimpulsen wieder günstiger einsteigen zu können.

Insgesamt sind aber strukturelle Zweifel an Aktien, die sogar für einen Crash sprechen, nicht gerechtfertigt. Weder wird der Euro zu einer Starkwährung, noch werden die Renditen von Zinsanlagen auf ein Niveau ansteigend, dass Aktien ernsthafte Konkurrenz macht. Außerdem wird die internationale Geldpolitik weiter an einer weltkonjunkturellen Besserung arbeiten.

Charttechnik DAX: Kurzfristig übernehmen die Bullen die Oberhand

Aus charttechnischer Sicht gilt es zunächst, die Auffanglinie bei 11.167 Punkten zu verteidigen. Wird diese durchbrochen, wartet die nächste Haltelinie an der Marke von 11.000. Darunter verläuft eine steigende Unterstützung bei derzeit 10.671 Punkten, gefolgt von der 200-Tage-Linie bei zurzeit 10.476.

Kann der DAX hingegen den Widerstand bei 11.167 Punkten verteidigen, könnte eine Erholung bis in den Bereich zwischen 11.500 und 11.600 Zähler gelingen. Darüber wartet die nächste bedeutende Hürde am kürzlich durchbrochenen mittelfristigen Aufwärtstrend bei derzeit 11.900 Punkten.

Und was passiert in der KW 25?

In Japan dürfte die Bank of Japan auf ihrer Zinssitzung vorerst keine weitere Aufstockung ihrer Liquiditätshilfen beschließen

In den USA deutet eine allmähliche Erholung der US-Industrieproduktion, die gemäß Baubeginnen und -genehmigungen langsam fortschreitende Erholung auf dem Immobilienmarkt sowie ein wieder etwas freundlicherer Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed auf eine konjunkturelle Wiedererstarkung im II. Quartal hin. Die Inflation zeigt sich jedoch weiterhin schwach. Vor diesem Hintergrund erwarten Anleger auf der anstehenden Sitzung der US-Notenbank noch keine Leitzinswende. Mehr als das Verweisen auf die zinspolitische Konditionalität der konjunkturellen Datenlage ist von der Fed nicht zu erwarten.

In der Eurozone dürfte die Vorabschätzung einer Mini-Inflation von 0,3 Prozent zum Vorjahr bestätigt werden. Die Konjunkturstimmung insbesondere in Deutschland zeigt sich gemäß ZEW Konjunkturerwartungen weiterhin verhalten.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

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