Turnaround-Spekulation als Value Investment?

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Spricht man an der Börse von einem Turnaround, hat man es mit einem Unternehmen zu tun, das in erheblichen Schwierigkeiten steckt. Das kommt gar nicht so selten vor und Peter Lynch klassifiziert deshalb in seinem Buch “Der Börse einen Schritt voraus” Turnaround-Werte gar als eigene Aktienkategorie. Bei diesen wankenden Unternehmen hat sich der Aktienkurs zumeist entsprechend negativ entwickelt und ist entweder stetig oder plötzlich deutlich zurückgegangen. Die Unternehmen reagieren überwiegend mit den selben Maßnahmen darauf: Stilllegung von Fabriken, Freisetzung von Personal, Veräußerung von Randbereichen, radikale Kostenreduzierung, Konzentration auf das Kerngeschäft. Wenn Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen und ihr Börsenkurs abstürzt, kann dies eine lukrative Chance für Anleger sein. Und zwar nicht nur für Spekulanten, die der Nervenkitzel reizt, sondern auch für langfristig orientierte Value-Investoren.

Doch es gibt bestimmte Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit das Chance-Risiko-Verhältnis für ein Engagement spricht. Denn “nur weil eine Aktie fällt, heißt das nicht, dass sie nicht noch weiter fallen kann”, warnt Peter Lynch. Aktien sind nicht deshalb preiswert, weil ihr Kurs abgestützt ist, denn das würde voraussetzen, dass der Aktienkurs sich wieder auf das alte Niveau erholt. Nur dann lohnt es sich, in diese “gefallenen Engel” zu investieren! Deshalb muss man herausfinden, weshalb das Unternehmen in Schwierigkeiten steckt, was es dagegen zu tun gedenkt und wie erfolgversprechend diese Maßnahmen sein werden.

Beispiele für “gefallene Engel” gibt es immer reichlich: Nokia, BlackBerry, IVG, Praktiker, Commerzbank, E.ON, Twintec, oder die ganze Bandbreite der Solarwerte. Sie alle eint, dass sie einst heiß gehandelt wurden, dass ihre Bewertungen hoch und ihre Aussichten rosig waren. Doch dann kam der Absturz, es wurden Trends verpasst (Nokia, BlackBerry), Fehlinvestitionen getätigt (IVG), zu spät auf sich ändernde gesetzliche Rahmenbedingungen reagiert (Twintec) oder eine selbstzerstörerische Strategie eingeschlagen (Praktiker, IVG, Commerzbank). Die Aktien der einstigen Lieblinge können heute zu Ausverkaufspreisen erworben werden, und zu ihren Glanzzeiten hätte man sich nach solchen Kursen die Finger geleckt. Und doch… die Aktien stehen nicht ohne Grund so tief, manche sind gar zum Penny-Stock verkommen, und Aktionäre sollten sich der Risiken stets bewusst sein: sie sind Eigentümer, keine Gläubiger. Im Insolvenzfall bekommen die Eigentümer als letztes Geld, wenn alle anderen bereits vollständig ausgezahlt wurden. Doch meistens liegt die Insolvenzquote deutlich unterhalb der Forderungen der Gläubiger, so dass Aktionäre nur in ganz seltenen Fällen aus den Masse-Erlösen bedient werden können. Der Totalverlust ist die hässliche Schwester des Turnarounds.

Eine Turnaround-Spekulation setzt auf das Ausbleiben der Insolvenz, auf die erfolgreiche Restrukturierung  des Unternehmens. Als Anleger muss man also einschätzen (können), ob das Unternehmen wieder die Kurve kriegt, oder nicht. Das ist gar nicht so leicht, man braucht sich nur Yahoo anzusehen, die seit Jahren verzweifelt versuchen, mit ständig wechselnden Strategien und Partnern in ihrem einstigen Hauptmarkt, den Internet-Werbeanzeigen, gegen den Branchengiganten Alphabet (Google) zu punkten. Oder Hewlett-Packard, der Inbegriff von Computer-Hardware der vergangenen Jahrzehnte, die den Trend zu Tablets komplett verschlafen haben und bisher kaum zu Hoffnungen Anlass geben, dass sie jemals wieder die Kurve kriegen könnten.

Dass es auch erfolgreiche Turnarounds gibt, beweist Apple. Richtig gelesen, das Unternehmen, das die Trends setzt, die iPods, die iPhones und iPads erfunden hat, das zum Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung wurde und das sich anschickt, als wertvollste Marke die Markenikone Coca-Cola abzulösen. Dieses Unternehmen des vor einigen Jahren verstorbenen legendären Visionärs Steve Jobs stand Mitte der 1990er Jahre vor der Pleite und wurde damals von Erzfeind Microsoft gerettet. Ohne das visionäre Wirken von Steve Jobs wäre Apple heute Industriegeschichte wie Commodore mit ihrem C64. Und ohne Steve Jobs hätte es Microsofts Windows niemals gegeben – aber das ist eine andere Geschichte. Entscheidend ist, dass Turnarounds nicht einfach passieren, sondern dass sie harte Arbeit sind. Und es stellt sich die Frage, ob man als Aktionär, also Außenstehender, seriös bewerten kann, ob ein Turnaround-Versuch gelingt.

Der Totalverlust ist die hässliche Schwester des Turnarounds.
(Michel C. Kissig)

Man kann dies anhand der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen erkennen, wenn also die Verluste verschwinden und wieder Gewinne geschrieben werden, wenn der Cashflow ins Positive dreht, wenn der Verschuldungsgrad sinkt und die Margen steigen. Oder man erkennt es anhand der neuen Produkte, die den Händlern aus den Händen gerissen werden und auf einen unternehmerischen Erfolg schließen lassen. Zu diesem Zeitpunkt kann man in die Aktien investieren und sollte auf der sicheren Seite sein, dass absehbar keine Insolvenz mehr droht. Allerdings kauft man die Aktien auf diese Art keinesfalls mehr zum Tiefstkurs, denn den haben die Spekulanten erwischt, die Zocker, eben diejenigen, die ins fallende Messer gegriffen haben und zufälligerweise zum richtigen Zeitpunkt eingestiegen sind. Denn mehr als Zufall ist es nicht.

Kaufe nicht, wenn der Kurs am niedrigsten ist, verkaufe nicht,
wenn er am höchsten ist. Das können nur Lügner.
(Bernard Baruch)

Es scheint, als wenn für Value-Investoren nicht wirklich etwas zu holen wäre mit Turnaround-Werten. Und doch hat Warren Buffett seine Milliarden gerade mit Unternehmen gemacht, die in Krisen steckten und deren Kurse dramatisch abgestürzt waren. Richtig, jener Investor, der stets auf Ertragsstärke setzt, auf stetige und steigende Unternehmensgewinne, auf Einstiegskurse unterhalb des fairen Wertes der Aktien und dessen Mantra lautet, keine mittelmäßigen Unternehmen zu kaufen, sondern sich ausnahmslos an den Besten zu beteiligen.

Wie das zusammen passt? Buffett setzt auf Top-Unternehmen, auf Coca-Cola, auf American Express, auf Geico, auf Wells Fargo – Unternehmen, die von hervorragenden Leuten geführt werden, die solide Finanzen aufweisen (hohe Renditen und geringe Verschuldung) und die in ihrem Markt schier unangreifbar sind, sich also eine Festung errichtet haben, einen sog. “ökonomischen Burggraben“…

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Kissig Ein Beitrag von Michael C. Kissig

Er studierte nach Abschluss seiner Bankausbildung Volks- und Rechtswissenschaften und ist heute als Unternehmensberater und Investor tätig. Neben seinem Value-Investing-Blog “iNTELLiGENT iNVESTiEREN” verfasst Michael C. Kissig regelmäßig eine Kolumne für das “Aktien Magazin”.

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