Im vergangenen Jahr ist der durchschnittliche Hebesatz für die Grundsteuer B so stark gestiegen wie zuletzt 2016. Ein Anstieg von beinahe fünf Prozentpunkten ist für das Jahr 2022 zu verzeichnen. Die höchsten Durchschnittshebesätze werden in Kommunen in Nordrhein-Westfalen erhoben. Sowohl in Bezug auf den Wert (565) als auch hinsichtlich der Veränderung im Vergleich zum Vorjahr (plus 13 Prozentpunkte).
Das ist eine beunruhigende Nachricht für zahlreiche Immobilienbesitzer in Deutschland. Denn aufgrund der geplanten Grundsteuerreform, die ab 2025 in Kraft treten soll, wurden die Werte von Millionen von Grundstücken und Immobilien in Deutschland neu berechnet.
Als Konsequenz drohen Eigenheimbesitzern – ebenso wie den Bewohnern von Mietwohnungen – aufgrund der erwarteten steigenden Grundsteuerwerte infolge der Neubewertung im Zuge der Reform höhere Abgaben. Es sei denn, die Hebesätze sinken zeitgleich.
In jedem Bundesland ist die Situation unterschiedlich
Im vergangenen Jahr erhöhte sich der durchschnittliche Hebesatz hierzulande in 13 Prozent der Kommunen, während der Anteil der Gemeinden mit gesunkenem Hebesatz im Vergleich zu 2021 lediglich bei einem Prozent lag. In Nordrhein-Westfalen erhöhten sogar 26 Prozent aller Gemeinden den Hebesatz für Grundsteuer B. Im Saarland traf dies auf nahezu jede fünfte Kommune zu (19 Prozent), gefolgt von Rheinland-Pfalz (17 Prozent) sowie Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern (jeweils 16 Prozent).
Hingegen war der Anteil der Gemeinden mit Erhöhungen in Thüringen (vier Prozent), Sachsen (fünf Prozent) und Sachsen-Anhalt (sechs Prozent) deutlich geringer.
Besonders bemerkenswert ist der Anstieg der Hebesätze im Fünf-Jahres-Vergleich. Hier verzeichneten landesweit fast vier von zehn Kommunen (38 Prozent) eine Zunahme des Hebesatzes. Umgekehrt verringerte er sich lediglich bei zwei Prozent der Gemeinden.
Diese Ergebnisse basieren auf einer aktuellen Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) zur Entwicklung der Hebesätze für Grundsteuer B in allen deutschen Kommunen (außer Stadtstaaten) in den Jahren 2005 bis 2022.
Die Gründe für die Erhöhungen in vielen Kommunen
Dr. Heinrich Fleischer, Partner Real Estate, Hospitality & Construction bei EY: „Die schlechte Finanzsituation vieler Kommunen erfordert häufig eine Anhebung der Hebesätze, was zu einer Mehrbelastung der Bürger führt. Die Kommunen ächzen – so wie die Bürgerinnen und Bürger auch – unter Kostensteigerungen, die sie weitergeben müssen.
Weiter führt Fleischer aus: „Auch wenn der politische Konsens besteht, dass es insgesamt nicht zu einer gravierenden Mehrbelastung kommen soll, bleibt für Immobilieneigentümer aktuell ein hohes Maß an Ungewissheit hinsichtlich der künftigen Grundsteuerbelastung.
Dass die bisher genutzten jahrzehntealten Werte sich in vielen Fällen erhöhen werden, ist eine nachvollziehbare Sorge von vielen Immobilienbesitzern.“
Ein Zustand, der sich erst im Laufe des kommenden Jahres ändern wird: Laut Bundesfinanzministerium werden Kommunen, Gemeinden und Städte ihre neuen Werte bis zum Herbst 2024 festgesetzt haben. „
Angesichts der Kostensteigerungen, die die Kommunen zu stemmen haben, ist es wenig wahrscheinlich, dass die angestrebte Aufkommensneutralität der Grundsteuerreform tatsächlich erreicht wird“, prognostiziert Fleischer.
Die Auswirkungen der Grundsteuerreform sind erst ab 2025 sichtbar
Haus- und Wohnungseigentümer hatten – je nach Bundesland – bis Anfang Mai dieses Jahres Zeit, Angaben zu ihrem Grundstück an das Finanzamt zu übermitteln. Erst ab dem 1. Januar 2025 werden die neu berechneten Beträge gelten. Die Grundsteuerwertbescheide bei den Immobilienbesitzern werden jedoch schon vorher eintreffen.
Fleischer warnte: „Millionen Bürger haben Monate damit verbracht, ihre Formulare für die neue Grundsteuer auszufüllen. Inzwischen sind zahlreiche Bescheide hierzu bei Immobilienbesitzern angekommen. Diese sollten die Bescheide gründlich kontrollieren und gegebenenfalls rechtzeitig Einspruch einlegen.“
Andernfalls könnte es spätestens 2025 zu unangenehmen Überraschungen kommen. Denn Einsprüche gegen falsche Werte, wie beispielsweise bei Grundstücksgröße, Wohnungsgröße oder Baujahr der Immobilie, müssen sofort eingelegt werden. Viele Grundstückseigentümer entscheiden sich auch aufgrund der möglichen Verfassungswidrigkeit des neuen Bewertungsrechts für einen Einspruch.
Fleischer betonte: „Wenn dies nicht innerhalb eines Monats geschieht, haben Eigenheimbesitzer keine Möglichkeit mehr, gegen den neuen Grundsteuerbescheid Einspruch einzulegen.“
Die Hebesätze der Grundsteuer steigen immer weiter
Im Jahr 2022 hatten knapp vier von zehn Gemeinden (39 Prozent) einen sehr hohen Grundsteuerhebesatz von 400 oder mehr. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 waren es lediglich fünf Prozent. Andererseits hatten 2005 noch 22 Prozent der Kommunen einen Hebesatz von unter 300. 2022 waren es nur noch drei Prozent.
Fleischer beobachtete: „Wir sehen einen landesweiten Trend zu immer höheren Grundsteuer-Hebesätzen. Anders als bei der Gewerbesteuer ist kein Standortwettbewerb unter den Kommunen zu erkennen. Es gibt zahlreiche Kommunen, die mit niedrigen Gewerbesteuer-Hebesätzen um die Ansiedlung von Unternehmen werben.“
Uneinheitliche Reformen verkomplizieren die Situation zusätzlich
Die zusätzliche Komplexität des aktuellen Prozesses bereitet sowohl den Steuerprüfern als auch den Rechtsexperten Ein Problem ist laut Fleischer „Flickenteppich“-Ansatz.
Neun Bundesländer (Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen) setzen die neuen Regelungen nach dem sogenannten Bundesmodell um.
Das Saarland und Sachsen weichen leicht davon ab. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen hingegen wenden laut Bundesfinanzministerium eigene Grundsteuermodelle an. Fleischer erklärt: „Am Ende kocht jeder sein eigenes Süppchen.“
Ist die Grundsteuerreform überhaupt verfassungsgemäß?
Für viele Immobilienbesitzer wird die Situation weiter verkompliziert: Für die Berechnung der Grundsteuer wurden die Werte der Häuser und Wohnungen auf den Stand von 2022 festgelegt. Das Problem:
„In den vergangenen Monaten gab es in zahlreichen Regionen Deutschlands Preisrutsche bei den Immobilienpreisen, viele Wohnungen und Häuser sind einfach weniger wert – dadurch kann die neue Grundsteuer die Besitzer noch härter treffen. Der Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts der Immobilie ist nach den neuen Bewertungsvorschriften nicht vorgesehen, was zugleich ein Grund für die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuerreform ist“, so Fleischer.