Wer hätte gedacht, dass das alt-ehrwürdige Auktionshaus Sotheby’s auch aufgrund von Punks und Apes in Form der NFT CryptoPunks und Bored Apes, die mittlerweile teilweise Millionen wert sind, binnen relativ kurzer Zeit einen eigenen Marktplatz für digitale Kunst aufbaut, das Sotheby’s Metaverse?
Allein diese Maßnahme zeigt schon, wie heftig die Kunstwelt von der Disruption durch Corona getroffen wurde. Der Wegfall der Messen als wichtigster Platz von Begegnung und Nachfrage führte bei einigen wenigen Galerien und Auktionshäusern zum schnellen Umdenken, wenngleich manche Ideen bereits diskutiert worden sein mögen.
Die Einschränkungen des Marktes jedenfalls sorgten für eine rasche Umsetzung, gepaart mit der Tatsache, dass mit digitalen Kunstwerken in Form von NFTs (Non-Fungible Tokens) neue Kunden in den Kunstmarkt gespült wurden. Dankbare Umsatzbringer im Auktionsmarkt waren das – und während die große Mehrzahl der Kunstfreunde weiterhin verwundert den Kopf schüttelt, gibt es eine steigende Zahl von Sympathisanten, die vom langfristigen Erfolg von NFTs überzeugt ist.
Aus gutem Grund, denn die Vorteile und Chancen überwiegen und treffen vor allem in der Gruppe der jungen und aufstrebenden Sammler auf eine Schicht, deren Status Symbol nicht mehr an der Wand hängt, sondern als sogenannte Smart Contracts wohl verwahrt auf der Blockchain gespeichert, auf jedem Smartphone sichtbar und 24/7 in jeder virtuellen Galerie gezeigt werden kann – egal ob im „normalen“ Internet oder einer virtuellen Welt wie Decentraland und Sandbox.
Apropos Bild an der Wand. Zu einem der berühmtesten Werke wurde das Werk „Girl with Balloon“ von Banksy. Nicht, dass es nicht schon zuvor populär war und sehr gute Preise erzielt hatte. Da das Blatt in verschiedenen Macharten existiert, u.a. in einer Auflage als Papierarbeit, ist es sehr marktbekannt und häufiger auf Auktionen. Durch das Schreddern eines der Werke live, direkt nach der erfolgreichen Auktion bei Sotheby’s, wurde im Jahr 2018 Kunstgeschichte geschrieben.
Im Rahmen des Werkes war ein Mechanismus eingebaut worden, der diese publikumswirksame Aktion ermöglichte. Noch niemals zuvor wurde ein Werk vor den Augen der Kunstöffentlichkeit in einem Auktionsraum vorsätzlich zerstört bzw. zum Teil geschreddert. Banksy, um dessen Identität sich weiterhin Gerüchte ranken, wollte damit angeblich Kritik am Kunstmarkt üben. Wenig glaubwürdig erscheint das vor dem Hintergrund, dass sich Menschen grundsätzlich nach spektakulären Aktionen sehnen und Banksy für gezielte und öffentlichkeitswirksame ebensolche Aktionen bekannt ist.
Und das Schreddern eines Werkes war eine der beachtenswertesten Demonstrationen in der Kunstwelt. Sogleich bekam das Bild auch einen neuen Namen: „Love is in the Bin“. Ein späterer Preisrekord für das zerstörte Werk war, nach dem anfänglichen Schock der Augenzeugen, kalkuliert. Und so überrascht es auch nicht, dass das Werk bei der neuerlichen Auktion am 14. Oktober bei Sotheby’s in London einen Rekordpreis für Banksy-Werke realisierte:
16 M Britische Pfund (Hammerpreis, knapp 19 M Euro) wurden für das Werk gezahlt, welches 36 Monate zuvor einen Preis von 860.000 Britischen Pfund (Hammerpreis, rund 980.000 Euro) erzielt hatte – dies entspricht einer Verachtzehnfachung des Bildwertes in drei Jahren bzw. einer Rendite von 587 % p.a. (sic!).
Eine noch höhere Rendite hatte das Werk von Leonardo da Vinci erzielt: Salvator Mundi. Nach einem spektakulären Bietergefecht wurde am 15. November 2017 bei Christie’s in New York der Preis weit über den Schätzpreis von 100 M USD hinausgetrieben. Nach 45 Geboten und einem Ergebnis von 400 M USD (Hammerpreis, rund 340 M Euro) war ein neuer Auktionsrekord aufgestellt.
Historisch! Das war durchaus überraschend, war doch zwischen Wissenschaftlern und Kunstexperten umstritten, ob es sich wirklich um einen echten da Vinci handele. Noch im Jahr 1958 war das Werk als eher unbedeutendere Arbeit aus der Werkstatt von Leonardo da Vinci klassifiziert worden, um dann 2005 nach gewissen Experteneinschätzungen ihm zugeschrieben zu werden.
Ein Kunsthändler hatte das Gemälde zuvor für 1.750 USD erworben und es umfangreich restaurieren lassen, ehe es nach Zwischenverkäufen im Jahr 2013 weitere vier Jahre später bei Christie’s versteigert wurde. Die Bildpreisentwicklung in der Zeit von 2005 bis 2017 betrug demnach kaum vorstellbare 2,7 Millionen Prozent pro Jahr.
Der Bieter blieb zunächst anonym und so war unklar, wer der oder diejenige mit den tiefen Taschen denn gewesen sein möge. Dann sickerte durch, dass ein Vertreter des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman es war, der das Werk ersteigert hatte, wohl in dessen Auftrag.
Ein ursprünglicher Ausstellungsplan für das Louvre in Abu Dhabi für das Jahr 2018 wurde nicht verwirklicht und das Bild schien verschwunden zu sein. Das heizte die Gerüchteküche zusätzlich an, was denn mit der Arbeit geschehen sei und künftig passieren werde.
Genau drei Jahre nach dem spektakulären Coup die Wende? Zumindest in eine Richtung, die dem heutigen Inhaber nicht schmecken dürfte. Das Museo del Prado in Madrid, eines der bedeutendsten Museen weltweit, bekräftigte im November 2021 seine Zweifel an der Echtheit des Werkes. Statt es in einen Katalog von Arbeiten aufzunehmen, die direkt Leonardo da Vinci zugeordnet werden, wurde es lediglich in den Prado-Katalog der Werke übernommen, die da Vinci zugesprochen werden bzw. die unter seiner Aufsicht entstanden sind.
Da sich Zeugen schwerlich finden lassen, bleibt also die Frage offen, ob es sich tatsächlich um die „größte künstlerische Wiederentdeckung der letzten 100 Jahre“ handelte, wie Christie’s damals wissen ließ, oder aber ob sich der monetäre Wert eines Bildes in kürzester Zeit wieder minimiert.
Die Experten des Prado jedenfalls verwiesen darauf, dass man mit der Einordnung keine Stellungnahme zur Urheberschaft abgeben, sondern lediglich einer öffentlichen Diskussion gerecht werden wolle, die die Skepsis zur Urheberschaft artikuliere. Wohl nicht ohne Grund, denn auch das Louvre Abu Dhabi hatte nach dem Kauf bei Christie’s offenbar Zweifel angemeldet, dass das Werk der Pinselführung von da Vinci entstamme.
Damit schließt sich der Kreis im Kunstjahr 2021. Während die neue Kunst in Form von NFTs in den Markt drängte, belächelt, aber mit Echtheitsmerkmalen bzw. Fälschungssicherheit überzeugend, zeigt die alte große Kunst ihre Achillesferse: was kann zugewiesen werden und was nicht? Was ist möglicherweise gefälscht und was korrekt?
Das Jahr 2022 verspricht die Fortführung spannender Diskussionen.
Ein Beitrag von Arne von Neubeck
Er ist Gründer & Geschäftsführender Gesellschafter von The Global Fine Art. Das Augsburger Kunsthandelshaus verbindet die Leidenschaft für die Kunst mit der kaufmännischen Analyse von Kunstwerken.
www.tgfag.de
Der obige Text/Beitrag spiegelt die Meinung des oder der jeweiligen Autoren wider. Die CASMOS Media GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.
Bildquelle: Pixabay / PIRO4D