DSW: Lehren aus dem Wirecard-Desaster

Bildquelle: Pressefoto Wirecard

Es ist nun etwas über ein Jahr her, dass die Wirecard-Story ein jähes Ende nahm. Konkret war es der 18. Juni 2020 um 10:43 Uhr, als die Wirecard AG die alles entscheidende und das Ende markierende Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichte.

Seither ist sehr viel passiert und heute wissen wir, dass wir es mit einem multiplen Versagen auf allen Ebenen zu tun hatten. Das fängt beim Aufsichtsrat an, geht weiter zum Wirtschaftsprüfer EY und setzt sich bei der BaFin, der Staatsanwaltschaft München und auch in sonstigen Behörden fort.

Was wussten die Wirtschaftsprüfer?

Insbesondere die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY sieht sich dabei im Zentrum der Vorwürfe und auch der Schadenersatzklagen der betroffenen Anleger. Nach dem, was wir bis heute wissen, scheint dies auch zu Recht der Fall zu sein.

Schier unglaubliche Abgründe haben sich im Rahmen der Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss aufgetan. So war es wohl EY selbst, die die Treuhandkonstruktionen empfohlen haben, um Wirecard die Bilanzierung in der dann erfolgten Form zu ermöglichen.

Durch den Sonderermittler des Untersuchungsausschusses haben wir zudem lernen dürfen, dass EY sich nicht an verschiedene IDW-Grundsätze und damit an die Grundsätze des Branchenverbandes gehalten hat. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses liest sich insofern auch wie eine Anklageschrift – und auf der Anklagebank sitzt EY.

Die Aufarbeitung dauert

Bis wirklich alles aufgeklärt ist und wir tatsächlich wissen, was passiert ist, wird es noch einige Zeit dauern. Trotz dieser Tatsache haben verschiedene Anwaltskanzleien zur Attacke und zu einem Windhundrennen aufgerufen und sehr früh erste Klagen eingereicht. Das Dilemma:

Diese sind nunmehr beim Landgericht München verloren gegangen, da sie eben nicht auf den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses aufbauten. Gegen diese Urteile muss nun wieder angearbeitet werden, was sehr misslich und mühsam ist. Insofern kann man nur unterstreichen, dass eine schnelle Klage keine gute und schon gar nicht die beste Klage ist.

Der Wirecard Hauptsitz in Aschheim war der Schauplatz für vieles. (Bildquelle: Pressefoto Wirecard)

Die DSW hat immer davor gewarnt, sich frühzeitig klageweise zur Wehr zu setzen. Die Verjährung läuft frühestens 2023 ab. Ein Windhundrennen ist nicht gegeben, so dass jeder Anleger auf einer soliden Informationsbasis entscheiden kann, ob er eine Klage einreichen möchte oder nicht. Anwälte oder sonstige Adressen, die kurze Fristen und damit die geschädigten Anleger unter Zeitdruck setzen, agieren wenig fair.

Am Ball bleiben mit der DSW

Bei der DSW haben sich rund 20.000 Anleger registriert, um laufend über die aktuellen Entwicklungen in Sachen Wirecard informiert zu sein. Die DSW-Lösung für die geschädigten Anleger ist übrigens primär nicht die Einreichung einer Klage, sondern ein Vergleich über eine niederländische Stiftung, die für die geschädigten Anleger, aber auch zugleich für EY eine schnelle, auskömmlichere und auch attraktive Lösung darstellen könnte. Der Vorteil liegt auf der Hand:

Es fallen keine Kosten an, eine Einigung kann schnell erfolgen und vor allen Dingen ist es weiteren Adressen möglich, sich diesem Vergleich anzuschließen. Dabei denken wir insbesondere an die internationale EY-Gruppe, die ein gesteigertes Interesse daran haben sollte, dass EY Deutschland nicht in die Insolvenz rutscht.

Wie bei so vielen Betrugsfällen, bei denen es um viel Geld geht, konnten wir ein Phänomen beobachten, das ein ganz eigenes Problem darstellt. Dabei handelt es sich um die Ungeduld und auch die Empfänglichkeit der geschädigten Anleger für lautstarke Versprechen, die allesamt gemein haben, dass selbstverständlich und sehr schnell Schadenersatz in Aussicht gestellt wird.

Das wiederum passt sehr stark zu dem intensiven Anlageverhalten der geschädigten Investoren. So war der durchschnittliche Wirecard-Aktionär mit einem sehr viel höheren Betrag investiert, als dies sonst der Fall ist. Sehen wir sonst bei Privatanlegern durchschnittliche Investitionen von 5.000 Euro, waren es bei Wirecard im Durchschnitt ca. 40.000 Euro, die ein Privatanleger bei dem Münchener Unternehmen investiert hatte.

Wer, war wie involviert?

Diese „All in“-Mentalität hat bei den einzelnen Anlegern zu einem deutlichen Verlust geführt, wie er wahrscheinlich bei anderen Investments so gar nicht aufgetreten wäre. Dies war nur möglich, weil es Markus Braun und Jan Marsalek verstanden hatten, aus den Anlegern der Wirecard AG Überzeugungstäter werden zu lassen.

Je mehr Kritik geäußert wurde, je mehr verlor sich Markus Braun in Legenden und erhöhte so die Bindung der Aktionäre an sich und an die Wirecard AG. Dadurch entstand ein System, das sich immer wieder selbst bestätigte und Kritik von außen entweder nicht mehr wahrnahm oder aber nicht mehr wahrnehmen wollte. Dies führte zu einem Hochschaukeln der Emotionen, aber auch der Anlagebeträge in den Depots.

Und das ist vielleicht etwas, was wir alle weit über die Causa Wirecard hinaus und unabhängig davon, ob man bei Wirecard investiert war oder nicht, als Lehre mitnehmen sollten. Je emotionaler und intensiver die Bindung an ein einzelnes Investment ausgeprägt ist, umso verzerrter wird der kritische Blick, der aber beim Anlegen niemals verloren gehen darf. Bleiben Sie also immer kritisch – auch mit sich selbst und erst recht mit Ihren Anlageentscheidungen!

Ein Beitrag von Marc Tüngler

Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) und ist ein profunder Kenner des deutschen Aktienmarktes. Als Redner und Aktionärsvertreter auf vielen Hauptversammlungen weiß er um die Befindlichkeiten von Vorständen und Aktionären.
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